Kapitel 39 - Distanz

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Alec trat der kommenden Nacht mit gemischten Gefühlen gegenüber. Natürlich freute er sich irgendwie, Magnus wiederzusehen.
Aber wie könnte er das denn auch genießen, wenn er sich doch eigentlich vorgenommen hatte, Abstand zu nehmen und die Mauern um sein Herz langsam wieder hochzufahren?

Er konnte es nicht und außerdem befürchtete er, dass sein Vorsatz bröckeln würde, sobald er Magnus sah. Er hatte es schließlich schon mal geschafft, dass er alles vergaß und die Kontrolle abgab. Er würde es sicherlich auch ein zweites Mal hinbekommen.

Deshalb musste Alec versuchen hart zu bleiben, nicht nur seiner selbst sondern auch und vor allem um Magnus' Willen. Während des Nachmittags hatte er nämlich noch weitere Gründe aufgelistet, warum es gut war, wenn er jetzt die Notbremse zog.

Nicht nur würde sein Herz schmerzfrei und das Königreich sicher bleiben, sondern es wäre auch Magnus' Sicherheit gewahrt. Alec wusste, dass er sich durch seine konsequenten Entscheidunden bei vielen Leuten unbeliebt gemacht hatte und manche waren vielleicht so radikal, dieser harten Herrschaft ein Ende setzten zu wollen oder Alec da zu treffen, wo es besonders weh tat.

Um seine Familie machte er sich dabei weniger Sorgen, denn diese war sicher im Nordpalast untergebracht, der nicht nur gut bewacht sondern auch weit abgelegen von der Hauptstadt lag. Aber Magnus würde genau neben ihm stehen und somit die perfekte Zielscheibe abgeben, um Alec leiden zu lassen. Magnus ware wegen ihm in Gefahr und weil er ihn schützen wollte, musste er ihn wegdrücken.

Das war einer der überzeugenderen Gründe, denn alles Leid der Welt wäre es wert, wenn Magnus nur sicher war. Sicher ... und frei. Magnus wäre nicht so frei wie er es verdiente, wenn er bleiben würde und das wollte er nicht.

Er redete sich ein, dass es besser so wäre. Besser, wenn er weiterhin allein herrschte, um ihn nicht in Gefahr zu bringen.

Und wer sagte ihm denn, dass das mit Magnus überhaupt etwas für die Ewigkeit war?

Vielleicht fühlte sich das zwischen ihnen auch nur so intensiv an, weil sie noch nicht weit gegangen waren. Was wenn die Luft aus ihrer Beziehung raus wäre, sobald sie es getan hatten. Was wenn Magnus doch nicht bei ihm bleiben wollte und sich wieder nach Freiheit sehnte und sie in Begegnungen mit anderen suchte?

Alec war gerade sehr hysterisch und unglaubwürdig, das wusste er, aber er konnte rein gar nichts dagegen tun. Diese Gedanken waren nunmal da und er zweifelte, dass er sie so bald wieder loswerden könnte.

Warum hatte er überhaupt zugelassen, dass Magnus ihm so nahe kam?! Er hatte doch gewusst, dass es nicht gut enden konnte.

Aber wahrscheinlich hatte sich ein großer Teil von ihm doch nach diesen intensiven Gefühlen gesehnt, die ihn vollkommend verzauberten und schweben ließen. Naja, jetzt war er auf dem harten Boden der Tatsachen angekommen und ob er wieder die Kraft finden würde, in die Lüfte aufzusteigen, war fraglich.

Er wurde aus seinen Gedanken gerissen, als es an der Tür klopfte. Mit mulmigen Gefühl öffnete er sie und wurde von einem lächelnden Magnus begrüßt.

Heute trug er ein blaues Tuch, das die Abdrücke auf seinem Hals verdeckte und auch der Rest seines Outfits war farblich darauf abgestimmt. Elegant schwebte er auf ihn zu und verschränkte seine Arme hinter Alecs Nacken.

Dann drückte er ihm einen kleinen Kuss auf die Lippen und in einem Moment der Schwäche erwiederte er ihn verzweifelt. Alec konnte rein gar nichts dagegen tun, denn selbst mit halb hochgezogenen Mauern war es ihm unmöglich, sich Magnus' ganz persönlicher Magie zu entziehen.

Deshalb musste er sich von ihm fernhalten, auch körperlich. Also löste er sich schnell wieder und entfernte auch Magnus' Arme von seinem Nacken, die nun wieder an seinem Körper herabhingen. Seinen verwirrten, aber auch verletzten Blick versuchte er zu ignorieren, denn dann würde sich sein Herz nur schmerzhaft zusammenziehen.

Stadessen ging er ungefragt zum Bett, setzte sich aber wieder davor auf den Boden -wie bei ihren ersten beiden Nächten. Er versuchte einfach Distanz zu schaffen, um es ihnen leichter zu machen und das in jeder erdenklichen Weise.

Magnus folgte ihm und setzte sich mit einem skeptischen Blick neben ihn. Seine stille Fragen ignorierte Alec erneut und fragte stadessen~Und was willst du mir heute erzählen?~
~Das wirst du schon noch herausfinden.~, antwortete Magnus mit leicht rauer Stimme.

Alec riss überrascht, aber auch empört die Augen auf.
~Du solltest doch nicht ...?~
~Reden? Der Arzt hat mir heute Nachmittag die Erlaubnis gegeben, aber du hattest ja leider zu viel zu tun.~, meinte er schnippisch. Alec hatte es definitiv verdient, weshalb er auch nicht weiter darauf einging.

Magnus' Stimme war leise und sein Blick lag in weiter Ferne als er begann zu erzählen.

Der Tag, der das Leben des noch jungen Hexenmeisters ändern würde, begann wie jeder andere Tag auch.

Er verließ das Haus früh, noch ehe sein Vater oder sein Onkel aufwachten und es noch angenehm ruhig war. Clary erwartete ihn bereits und nachdem er mit den Fairchilds gefrühstückt hatte, machte er sich mit seiner besten Freundin auf den Weg.

Sie hatten nicht viel geplant, aber er genoss die Zeit dennoch. Doch er hätte sich bestimmt mehr Mühe gegeben, sich jedes Detail einzuprägen, wenn er gewusst hätte, dass das sein letzter Mittag mit ihr war. Leider musste Clary schon früh wieder gehen, denn ihre Familie brauchte sie, aber der junge Hexenmeister würde auch allein klar kommen -dachte er jedenfalls.

Am Nachmittag schlenderte er durch die Straßen seiner Heimat und kam dabei zufällig an der Dorfkneipe vorbei, die zu dieser Zeit noch leer stand. Erst am Abend würde sich eine Gruppe von älteren Herren an den schmalen Tresen quetschen und ihre tägliche Ration Alkohol einnehmen, um den Tag ausklingen zu lassen.

Der junge Hexenmeister verstand nicht so recht, wieso man nicht einfach rausging und den Sonnenuntergang genoss, statt in der muffigen Stube zu hocken und zu trinken. Eigentlich hätte ihn gar nicht interessiert, was sich da drin abspielte, hätte er nicht eine vertraute Stimme gehört.

~Was willst du damit sagen?~, zischte sein Vater. Der junge Hexenmeister zuckte zusammen, denn diese Stimme klang so ... kalt und doch voll heißer Wut. Natürlich war er es gewohnt, dass der sanfte, liebende Ton seid dem Tod seiner Mutter fort war, aber so ... hasserfüllt hatte er sich während keiner der Streitereien mit seinem Onkel angehört.

Was auch immer er meinte, musste ihn furchtbar wütend gemacht haben. Neugier packte den jungen Hexenmeister, denn er wollte wissen, wie es weiterging. Nein, er musste es einfach erfahren! Also stellte er sich ganz nah an die angelehnte Tür und versuchte so flach zu atmen, wie nur möglich, damit niemand ihn hören würde.

Plötzlich hörte er ein raues und absolut bösartiges Lachen, das viel zu laut durch die niedrigen Wände schallte. Es jagte ihm einen kalten Schauer über den Rücken, aber er blieb, wo er war.
~Das, was auf der Hand liegt, Asmodeus!~, blaffte Azazel,~Du solltest mir danken! Deine Frau war bestimmt auch nicht überragend im Bett, wenn sie nicht geschrien und geweint hätte. Sie hat es verdient, dass ich ihrem verabscheuungswürdigen Leben ein Ende gesetzt habe. Außerdem ...~

Der junge Hexenmeister stieß die Tür ruckartig auf und das Gespräch verstummte.

Zehn und eine NachtWhere stories live. Discover now