Kapitel 5 - Die Anfänge des kleinen Hexenmeisters

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Eine Geschichte? Will er mich veräppeln?, fragte Alec sich verwirrt. Das war noch nie vorgekommen und er war nun wirklich nicht erst seit Gestern auf der Suche nach einem Partner.

Die Idee war anders, originell und er wusste noch nicht, was er davon halten sollte. Zwar hatte sich ihm nicht jeder der früheren Anwärter hingegeben, aber die Alternativvorschläge hatten Alec dann hinterher nicht gerade besser gefallen. Fürs Kochen hatte er beispielsweise einen persönlichen Koch und für Kunst hatt er sich auch noch nie interessiert.

Warum sollte es also bei dieser Geschichte anders sein?
Nur weil Magnus derjenige war, der ihn für diese Nacht unterhalten sollte? So naiv war selbst er nicht.

Also verschränkte er skeptisch die Arme vor der Brust und betrachtete Magnus, der ihn seinerseits musterte. Sein Blick hatte etwas ungewohnt Ernstes an sich und er hatte beinahe trotzig das Kinn vorgeschoben, als erwarte er bereits, dass Alec ihn auslachte oder seinen Wunsch nicht ernst nahm.

Wenn er ehrlich zu sich selbst war, tat er das auch nicht wirklich.
Wie sollte ihn eine Geschichte denn davon überzeugen, Magnus am nächsten Morgen nicht umbringen zu lassen wie jeden anderen zuvor auch? Eine Geschichte war doch nur eine Zusammensetzung erfundener Wörter. Nichts Ausdrucksstarkes.

Aber andererseits konnte er es ihm ja schlecht verbieten, denn es war seine Entscheidung. Außerdem war eine der Grundregeln, die er für diese Nächte festgelegt hatte, dass der Anwärter in seiner Nacht alles machen durfte, was er wollte.

Wenn Magnus also sein Leben wegwerfen und ihm eine Geschichte erzählen wollte, musste er das wohl so hinnehmen.

Er seufzte.
~Meinetwegen. Was für eine Geschichte soll das denn sein?~

Kurz huschte ein überraschter Ausdruck über sein schönes Gesicht, bevor sich ein geheimnisvolles Lächeln breit machte. Alec war erleichtert, dass er nicht mehr so abwehrend zu sein schien wie noch vor ein paar Sekunden.

~Das wirst du schon noch herausfinden. Lass dich einfach überraschen.~
~Ok, aber bevor du anfängst, gibt es da noch etwas zu wissen~, wandte er ein,~Die Nacht über kannst du zwar alles machen, was du willst, aber sobald die ersten Sonnenstrahlen durch das Fenster fallen und den neuen Tag beginnen, sagst du kein Wort mehr. Du wirst schweigen und geduldig auf mein Urteil warten.~

~Natürlich.~, bestätigte Magnus, bevor er mit der Geschichte begann.

Es war einmal vor langer Zeit im fernen Orient ein Junge. Natürlich hatte er einen Namen, aber er wurde in seiner Kindheit nur Hexenmeister genannt.

Er wusste nicht recht, wieso, denn wenn er seine Mutter danach fragte, antwortete sie immer mit denselben, mysteriösen Worten~Du verzauberst alle mit deinem Aussehen und deinem guten Wesen. Mit deiner Magie verbesserst du die Welt.~
Er glaubte ihr, auch wenn er sie nicht verstand.

Der kleine Hexenmeister lebte mit seiner Mutter und seinem Vater in einem kleinem, namenlosen Dorf und hätte nicht glücklicher sein können. Er liebte seine Eltern über alles und sie liebten ihn.

In ihrem kleinem Häuslein lebte zwar auch sein Onkel, der Bruder des Vaters, aber mit dem hatte der kleine Hexenmeister nie viel Kontakt gehabt. Dazu war er zu gruselig mit dem stets dunklen Gesichtsausdruck und dem seltsamen Verhalten.

Das passte einfach nicht zu dem Kleinen, der das sonnige Gemüt seines Vaters und die sanfte Art seiner Mutter geerbt hatte. Der Vater war oft arbeiten und da er keine Geschwister hatte, hatte er oft mit seiner Mutter gespielt, die ihm immer neue Dinge gezeigt hatte.

Von ihr hatte er so viel über das Leben gelernt, wie es eigentlich nur Alte mit ihrer Erfahrung konnten. So wusste er zum Beispiel, dass es sich nicht lohnte, seinen Geist mit dunklen Gedanken zu trüben oder dass man das Leben leben und nicht zerdenken sollte. Egal wie viel Mieses einem widerfuhr, es gab immer einen Grund, wieder aufzustehen.

Der kleine Hexenmeister saugte alles auf wie ein Schwamm und versuchte schon bald, das Wissen anzuwenden.

Also begegnete er jedem Fremden mit einem Lächeln und versuchte freundlich und aufgeschlossen zu sein. Nur leider wurde ihm nur selten dieselbe Nettigkeit und Neugier entgegengebracht, denn meist besah man ihn mit einem seltsam mürrischen Blick.

Er wusste nicht, wieso man das tat. Er war doch ganz normal und nur er selbst. Nur schien genau das für andere wohl nicht so normal zu sein wie für ihn.
Die anderen Dorfkinder waren ihm gegenüber oft abweisend, obwohl er sein Bestes versuchte, um dazuzugehören.

Irgendwann, als er wieder von den anderen Dorfkindern ausgelacht worden war, rannte er mit Tränen in den Augen nach Hause direkt zu seiner Mutter. Auf ihrem Schoß weinte er sich bei ihr aus, denn er hatte gelernt, dass Emotionen nichts Schlimmes waren und man sie stets offen und mit Stolz zeigen sollte.

Schniefend berichtete er ihr vom Geschehen.

Dass ihn die anderen Jungen endlich bei ihrem Ballspiel haben mitmachen lassen. Dass er den Ball sogar gefangen hatte, dann aber über ein gestelltes Bein gestolpert und hingefallen war. Die lauten Rufe und das hönische Gegacker hatten sich in sein Gedächnis eingebrannt und noch immer spürte er die Scham über seine Ungeschicklichkeit.

Seine Mutter hörte ihm schweigend zu und strich ihm immer wieder durchs pechschwarze Haar, als der Onkel hineinkam.
~Dann sei kein Weichei und schlag dem Übeltäter ins Gesicht. Sei doch endlich mal ein Mann!~

Der kleine Hexenmeister zuckte bei dem barschen Ton des Onkels zusammen, schluchzte aber weiter. So bemerkte er auch nicht den warnenden Blick, den die Mutter in die Richtung ihres Schwagers warf. Deser verschwand kopfschüttelnd.

~Hör nicht auf Azazel. Er hat keine Ahnung~, meinte sie und beim Klang ihrer lieblichen Stimme hob der kleine Hexenmeister den Kopf,~Gewalt ist keine Lösung, sondern nur ein Mittel, um verzweifelt seine Meinung durchzusetzen. Andere sind gemein zu dir, weil sie sehen, wie hell du strahlst. Sie sind nicht so frei und mutig wie du, zu sagen, was sie denken. Sie wissen nicht, wie sie mit so jemanden umgehen sollen und deshalb sind sie gemein. Doch insgeheim möchte jeder das haben, was du hast: Glück und unbeschwerte Freude. Anstatt dich also darüber aufzuregen, solltest du viel lieber versuchen, dein Glück zu teilen, damit jeder etwas haben kann. Glück ist kostenlos und doch so schwer zu bekommen. Aber lass dir das nicht nehmen, mein Schatz, denn dazu sind Freude und Glück zu wertvoll und selten. Du bist etwas Besonderes, weshalb es deine Aufgabe ist, auch andere besonders fühlen zu lassen.~

Mittlerweile waren seine Tränen getrocknet und er schenkte seiner Mutter ein kleines Lächeln. Wie immer hatte sie recht. Er war glücklich und es wäre unfair, das nicht zu teilen.

Es wurde noch ein entspannter und ereignissloser Tag, den er nicht in Erinnerung behalten wollte, immerhin würde es noch viele weitere davon geben.

Nur wusste der kleine Hexenmeister zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht, dass sein Glück begrenzt war und es schon bald getrübt werden würde.

Zehn und eine NachtWhere stories live. Discover now