Kapitel 23 - Ein Gefühl der Sicherheit

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Magnus' Sicht

Magnus kämpfte um seine Fassung, als er seine Erzählung beendet hatte. Diese Geschichte, die verdammt nah an seinem eigenem Erlebnis dran war, wühlte ihn auf und versetzte ihn in eine Zeit, die er nicht mehr gehasst haben könnte.

Vor allem weil er es nicht vergessen konnte. Immer wieder holten ihn die Erinnerungen an eine raue Stimme, graumellierten Haaren und dunklen Augen ein und legten seinen ganzen Körper lahm, so wie damals.

Er bekam zwar keine Panikattacken mehr, aber die bloßen Erinnerungen reichten meistens, um ihn in einen Zustand zu bringen, in dem er sich wünschte einfach nicht mehr zu existieren.

Dank dieses traumatischen Erlebnisses hatte Magnus später auch nie irgendeine Art von Intimität zugelassen. Allein der Gedanke an Berührungen hatte in ihm einen Würgereiz erzeugt, dem er öfters nachgegangen war als ihm lieb war.

Es wurde mit der Zeit besser, aber nie gut genug, als dass er einen neuen Versuch starten konnte. Weder mit einer Frau und schon gar nicht mit einem anderem Mann. Er konnte diese Bilder in seinem Kopf und das ätzende Gefühl auf seiner Haut einfach nicht loswerden.

Das war der Hauptgrund, wieso er bei Alexanders erstem Kussversuch zurückgeschreckt war und er mit ihm alles in seinem Tempo machen wollte. Oder wieso ihm inmer so übel geworden war, wenn er die Blicke andere Mitinsassen im Gefängnis bemerkt hatte.

Es erinnerte ihn immer wieder an dieses Erlebnis, das ihn einfach nicht mehr losließ. Dabei lag es schon so weit zurück.

Dennoch hatte es bewirkt, dass er mit seinen jungen siebzehn Jahren beschlossen hatte, so etwas nie wieder zuzulassen.
Er wollte sich von Intimität mit den falschen Menschen fernhalten, um zu verhindern, dass er noch schwächer wurde als ohnehin schon.

Doch mit Alexander war es anders. Er vertraute ihm und er wollte seine Grenzen überwinden. Wirklich. Aber die Ängste, die sie bewachten, waren so stark, dass er sie bislang einfach nicht besiegen konnte.

Er hoffte einfach, dass Alexander sich an sein Wort halten und ihm die Zeit geben würde, die er brauchte, denn er wollte ihn nicht verlieren. Er mochte den Gedanken nicht, aber er wusste, dass es ihm das Herz brechen würde, wenn der König ihn fallen ließ.

Wie hatte er es überhaupt so schnell verlieren können? Er hatte doch die letzten Jahre über so gut darauf aufgepasst und es gehütet wie seinen Augapfel.

Aber nun war es passiert und er hoffte einfach nur noch, dass Alexander es akzeptierte, ihn akzeptierte. Er hoffte, dass der König nun verstand, wieso er sich manchmal seltsam verhielt, aber ihn trotzdem noch wollte. Magnus hoffte, dass er warten würde.

Magnus fühlte sich im Schweigen, das schwer im Raum lag, verletzlich. Er wusste nicht, was in dem König vorging.

Gott, er wusste doch noch nicht einmal, was in ihm selbst vorging! Es war das pure Chaos, das ihn imner weiter in seine Vergangenheit abdriften ließ und ihn mit immer mehr Bildern angriff.

Er erinnerte sich noch gut daran, dass er weggelaufen war, sobald er seine Beine wieder gespürt hatte. Er erinnerte sich an das Gefühl der gepeinigten Leere, während er versuchte die Furcht in ihm zu bekämpfen.

Er war sich nicht sicher, aber er glaubte, dass nach diesem Erlebnis das Gefühl von Schwäche sein ständiger Begleiter geworden war, genau wie sein beständiger Wunsch nach Freiheit. So Vieles, was er zuvor gewesen war, war einfach zerbrochen und hatte ihn als leere Hülle zurückgelassen.

Er hatte kaum noch ehrlich gelächelt, geschweige denn gelacht. Er war kaum wirklich glücklich gewesen sondern hatte es viel eher vorgegeben, um andere zu beruhigen.

Wenn er so genau darüber nachdachte, hatte er niemandem von diesem Erlebnis erzählt. Sein Vater hatte es nie erfahren und seine Freunde ebenfalls nie, obwohl sie vielleicht etwas geahnt hatten.

Während seiner Flucht war ihm niemand nah genug gewesen, dem er es hätte erzählen können und im Gefängnis wäre es dumm gewesen, jemandem so etwas Wertvolles anzuvertrauen. Eigentlich war Alexander der erste, der es in einer etwas abgewandelten Form erfuhr und nach seiner bisherigen Reaktion, war das auch gut so gewesen.

Magnus wusste nicht, was er dachte, aber er schien genauso aufgewühlt zu sein wie er. Schließlich schien er sich ein Herz zu fassen und blickte ihm wieder in die Augen.

~Ist ... das der Grund für deine Unerfahrenheit?~, fragte er leise. Da Magnus seiner eigenen Stimme nicht traute, nickte er bloß.

Unschlüssig knabberte Alexander an seiner weichen Unterlippe herum.
~Und ... d-darf ich dich umarmen?~

Trotz der vielen hässlichen Bilder, die in seinen Gedanken herumwirbelten, lächelte er schwach, aber ehrlich. Gleichzeitig fühlte er die Wärme in seinem Herzen, die bei dieser Frage dorthin zurückkehrte.
Er ist so rücksichtsvoll...

Er nickte wieder leicht und seufzte daraufhin erleichtert auf, als Alexander ihn in seine starken Arme zog.

Eine weitere Sache, die er nach dem Erlebnis ... eigentlich schon nach dem Fortgehen seiner Mutter verloren hatte, war das Gefühl der Sicherheit sowie das der Geborgenheit. Er hatte sich nirgendo mehr sicher gefühlt und war immer auf der Hut gewesen.

Aber hier und jetzt in Alexanders Armen war diese Sicherheit plötzlich wieder da und umgab ihn wie eine weiche Decke. Er fühlte sich geborgen und beschützt und er genoss diese Gefühle in vollen Zügen.

Er würde wohl nie damit aufhören darüber nachzudenken, wie viel sich geändert hatte, seid er sich hatte fallen und von Alexander auffangen lassen. Es waren nur wenige Tage, aber dennoch hatte sich in diesen so unglaublich viel geändert.

Es war verrückt, aber Magnus dachte gar nicht mehr daran, es zu ändern. Im Gegenteil, er wollte dass Alexander ihn weiter verzauberte und er irgendwann zu dem freien Mann werden konnte, der er gerne sein würde. Alexander würde ihn befreien. Da war er sich sicher.

Dass irgendwann einzelne Tränen seine Augenwinkel verließen und er zu zittern begann, fiel ihm gar nicht auf. Es gab einfach so viel anderes, mit dem er sich gerade beschäftigte oder das er genoss.

Auch die sich öffnende Tür, die seinen Abschied einleutete, hörte er nicht und die Worte, die Alexander mit den eingetroffenen Wachen wechselte, verschwammen für ihn.

Das Chaos war einfach zu stark, auch wenn es Dank der Umarmung immer mehr zur Ruhe kam. Er wollte diesen Moment weiter auskosten, ihn weiter leben. Mit Alexander.

Und so war es ihm mehr als recht, als Alexander sie beide nach hinten sinken ließ, nachdem er die Wachen offenbar verjagt hatte, und ihn weiterhin festhielt. Er wollte gerade alles andere als alleine sein und er war froh, dass Alexander das wohl genauso sah.

Und so lagen sie beide noch voll angezogen eng umschlungen im Bett und drifteten gemeinsam in einen erholsamen, traumlosen Schlaf ab.

Zehn und eine NachtWhere stories live. Discover now