Kapitel 32 - Naive Lügner

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Magnus' Sicht

Panik. Das war die beherrschende Emotion in ihm, denn wieder holte ihn seine Vergangenheit ein und jetzt war kein Alexander da, der ihn festhielt, damit er den Sturm sicher überstand. Nein, er war ihm ausgesetzt, genau wie er Andrew nun ausgesetzt war, der unglaublich selbstzufrieden aussah.

Magnus hatte ihn noch nie so gesehen. Er war doch immer so freundlich und harmlos erschienen, hilfsbereit und verständnisvoll.

Nun jedoch wirkte er förmlich bösartig und verrückt, wie er ihm da diesen Dolch an die Kehle hielt. Magnus atmete flach und versuchte seine Hände zu bewegen, die noch immer ausgestreckt über seinem Kopf lagen, aber er konnte sich nicht rühren.

Sie waren zusammen gebunden.

Kurz setzte sein Herz aus und kalte Schauer liefen ihm über den Rücken. Er hatte Angst und sein Verstand schien ihm Streiche zu spielen, denn im einem Moment sah er Andrew mit dem Dolch und im nächsten befand er sich wieder in diesem dunklen Zimmer mit seinem damaligen Arbeitgeber, der ihn lustvoll anblickte.

Er konnte noch immer nicht recht glauben, dass dieser wunderschöne, heiße Traum von Alexander in Wahrheit nur Andrew war, der ihn am Bett festband, sodass er nicht entkommen könnte.

Da dieser offiziel sein Diener während seines Aufenthaltes hier war, hatten ihn die Wachen selbstverständlich durchgelassen und nicht als Gefahr eingestuft.

Magnus hatte das ja auch nicht und er verfluchte seine Naivität dafür. Die Naivität, die nur wegen dem König überhaupt da war.

Wie konnte er nur so dumm sein, seinen Verstand zu ignorieren, der ihn davor warnen wollte, dass etwas Schlimmes geschehen würde? Wieso nur hatte er auf seine Gefühle gehört, die er doch sonst immer so gut unter Verschluss hielt?

Die Antwort war sehr einfach und niederschmetternd: Alexander.

Natürlich könnte Magnus jetzt versuchen, um Hilfe zu schreien, aber er bezweifelte, dass er dann noch lange zu leben hatte. Und er hang an seinem Leben.

Also schwieg er und versuchte sich das Chaos aus Angst, Panik und sanfter Wut nicht anmerken zu lassen sondern möglichst entschlossen auszusehen.
~Was machst du hier?~, fragte er leise.

Andrew grinste breit, während seine freie Hand abwesend über seine nackte Brust strich. Magnus bekam eine Gänsehaut, aber dieses Mal keine der guten, aufregenden Sorte.

Er wollte weg. Ganz weit weg von hier. Er wollte frei sein. Das wollte er schon immer und er hatte gedacht, dass er bei Alexander im Palast frei wäre, aber gerade fühlte er sich so gefangen wie nie zuvor. Er hasste dieses Gefühl.

~Das, was jeder anständige Kerl machen würde, sein Revier makieren.~
~Und wer soll dieses Revier sein?~, fragte er durch zusammengebissene Zähne.
~Alec natürlich.~

Kurz überschwemmte ihn Erleichterung, denn dann war dieses Dejavu nur teilweise eins. Gleichzeitig ploppten mehrere Fragen in seinem Kopf auf und er zog verwirrt die Stirn kraus.

~Und warum bist du dann bei mir?~
~Ist das nicht offensichtlich?~

Um seine Worte zu unterstreichen, drückte er die Klinge leicht in die Haut seines Halses, was ein Brennen erzeugte. Schmerzerfüllt keuchte er auf, versuchte seinen Atem aber weiterhin flach zu halten, damit er nicht unnötig mit dem Dolch in Berührung kam.

Kurz überlegte er, wie er frei kommen könnte, aber zu seiner Ernüchterung fand er keinen Weg, der nicht seinen Tod bedeutete. Seine Hände waren aneinandergefesselt sowie am Bettgestell befestigt und so ziemlich nutzlos. Andrew blockierte den Rest seines Körpers mit seinem Gewicht, weshalb er ihn auch nicht wirklich abschütteln konnte.

Aber der gefährlichste Teil war immernoch dieser verdammte Dolch an seiner Kehle. Von alleine konnte er nicht entkommen und Hoffnungslosigkeit zog ihn mit sich.

Er würde es nicht schaffen und einem Verrückten zum Opfer fallen. Er hatte gewusst, dass er mit dem, was er getan hatte, nicht allzu lange leben würde. Dazu hatte er sich zu viele Feinde gemacht, aber er hatte nicht erwartet, dass es so kurz sein würde.

Jedes Glück fand sein Ende, das hatte Magnus mittlerweile gelernt und er verkniff sich ein resigniertes Seufzen.

Was ihn selbst überraschte, war, wie ruhig er plötzlich war. Natürlich schlug ihm das Herz bis zum Hals und er hatte Angst, aber das fühlte sich so ... weit entfernt an. Er wusste nicht genau, wie er es beschreiben sollte.

~Doch, schon, aber ich meine etwas anderes. Wenn du an Alexander interessiert bist, wieso hast du dann sein Angebot nicht angenommen? Er hat schließlich nicht wirklich einen Hehl daraus gemacht, dass er auf der Suche war. Warum dann so lange zögern?~, fragte Magnus betont ruhig.

~Ganz einfach. Ich wusste, dass Alec es nicht ernst meint. Dieses Angebot war doch nur Schein! In Wahrheit wollte er sich nur austoben und ich wollte ihm diese Freiheit lassen bis er dann endlich erkennen würde, dass der Richtige die ganze Zeit direkt vor ihm stand. Aber du musstest meinen Plan ja vereiteln, Magnus.~
~Glaub mir, das war nicht meine Absicht. Ich wollte nur frei kommen.~, scherzte er und schluckte, als Andrews Gesicht vor Wut verzerrt wurde.

~Ich wusste schon immer, dass du es nicht ernst mit meinem Alec meinst und ihn nur für deine Zwecke ausnutzen wolltest! Aber damit wirst du nicht durchkommen, denn ich werde nicht zulassen, dass du mir meinen Alec wegnimmst!~

~Denkst du nicht, dass Alexander selbst entscheiden kann, wen er an sich ran lässt und wen nicht?~, fragte Magnus ruhig,~Wenn du mich fragst, solltest du ihn dir aus dem Kopf schlagen und jemanden finden, der dich auch sieht und deine Gefühle erwiedert. Ich bezweifle auch, dass das bei Alexander der Fall ist und ...~

~Lügner! Du sagst nichts als Lügen!~, knurrte Andrew,~Alec sieht nur dein Äußeres und ist zu verzaubert davon, um zu erkennen, was du wirklich bist. Aber ich sehe dich, Magnus. Ich sehe all deine Lügen, du Vatermörder!~

Magnus erstarrte und schluckte schwer, sodass der Dolch noch etwas tiefer in seine Haut drang, aber das nahm er kaum wahr.

Er wollte es nicht recht zugeben, aber irgendwie hatte Andrew recht. Er hatte schon so viele Male in seinem Leben gelogen, dass er zu einer anderen Zeit noch nicht einmal mehr selbst wusste, was wahr und was falsch war. Lügen waren einfach ein praktisches Mittel gewesen, um Menschen auf Abstand zu halten, genau wie unnahbare Fassaden.

Aber Andrew lag auch falsch, denn er war kein Vatermörder, auch wenn er sich manchmal doch die Schuld am Tod seines Vaters gab, aber aus einem anderen Grund. Er hatte kein Blut an den Händen. Er war unschuldig, auch wenn ihm das niemand glauben würde.

Wahrscheinlich noch nicht einmal Alexander ... Dieser Gedanke versetzte ihm einen Stich, aber es gab gerade Wichtigeres als das.

~Und Mörder verdienen es zu sterben. Alec wird mir dankbar sein.~, murmelte Andrew abwesend, bevor er unerwartet den Dolch entfernte.

Magnus wollte schon befreit aufatmen, als er plötzlich kleine, raue Hände an seinem Hals spürte, die langsam immer fester zudrückten. Er rang nach Luft und wand sich unter dem harten Griff, konnte aber nicht entkommen.

Bilder flackerten vor seinem inneren Auge auf. Bilder von seiner liebenden Mutter, von seiner Kindheitsfreundin und von anderen Personen, die er zwar nur flüchtig gekannt, aber doch sehr lieb gewonnen hatte, und schließlich von Alexander, wie er ihn glücklich anlächelte.

Wenn dieser Tag wirklich sein letzter gewesen sein sollte, dann konnte er sich zumindest sicher sein, dass er die Welt nicht lieblos verlassem würde. Es gab Menschen da draußen, die ihn schätzten und denen er wichtig war.

Von diesen wichtigen Menschen nahm er gedanklich Abschied, während ihm langsam die Luft zum Atemn ausging.

Zehn und eine NachtNơi câu chuyện tồn tại. Hãy khám phá bây giờ