Kapitel 38 - Herz und Verstand

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Isabelle Lightwood war zwar nicht besonders groß, aber sie hatte eine nahezu allmächtige Aura, vor der jeder Respekt hatte. Sie war wunderschön mit den langen schwarzen Haaren, den dunklen Augen und einem perfekten Körper. Sie wusste diese Waffen allerdings auch einzusetzen und so lag ihr die Männerwelt zu Füßen. Sie hatte ein unglaubliches Temperament und sagte meist genau das, was sie dachte.

Das war alles bekannt, doch was kaum einer wusste, war, wie herzlich und liebevoll sie sein konnte. Sie konnte auch sanft sein und fürsorglich, aber diese Seite war mur ihrer Familie vorbehalten.

Alec stand ihr sehr nahe, denn sie war seine engste Vertrauensperson. Sie war die erste, die erfuhr, dass er für Frauen nichts übrig hatte und auch war sie diejenige, die ihn nach Jace' Tod aufgefangen hatte.

Er liebte sie über alles, aber sie konnte nunmal auch nerven wie jede andere kleine Schwester auch. Izzy, wie er sie liebevoll nannte, war nämlich verdammt neugierig und hatte immer das Gefühl, sich in seine Angelegenheiten einmischen zu müssen, vor allem in sein Liebesleben.

Klar, sie meinte es nur gut, aber Alec wollte einfach nicht über so etwas reden, noch nicht einmal mit seiner Schwester.
Deshalb trat er ihrem Treffen auch mit gemischten Gefühlen gegenüber, denn zwar freute er sich, war aber auch nervös.

Doch ersteinmal überwog die Freude, sie wiederzusehen und er stand auf, um sie fest zu umarmen.

~Izzy, schön dich mal wieder zu sehen. Was macht Mom und wie geht's dir?~
~Mom geht es gut, was du wissen würdest, wenn du sie mal öfters besuchen würdest. Sie vermisst dich.~

~Kann ich mir denken, aber ...~
~Du hast keine Zeit, schon klar~, meinte sie mit einem schnippischen Unterton, als sie sich von ihm löste,~Aber genau deshalb bin ich ja hier. Wenn du uns nicht besuchst, besuch ich eben dich. Also, wie läuft es bei dir so?~

Nun lächelte sie zwar wieder, aber er kannte Izzy gut genug, um zu wissen, dass es nicht ganz von Herzen kam. Und Alec war der Grund dafür und er hasste das.

Er fühlte sich schuldig, aber er hatte wirklich keine Zeit. Regieren war leider ein Fulltimejob und in die restlichen Stunden verbrachte er mit Essen, Trinken, Schlafen oder dem Abwimmeln von lästigen Anwärten -Magnus ausgenommen.

Da konnte er nicht auch noch einmal quer durchs Land reisen, um seine Familie zu besuchen, die sich im Nordpalast niedergelassen hatte. Das hieß aber nicht, dass er nicht versuchen könnte, sich zu bessern.

Während er wieder zu seinem wuchtigen Schreibtisch ging, legte er sich seine Worte zurecht.
~Gut, schätze ich. Es ist noch kein Krieg ausgebrochen und dem Volk geht es auch mehr oder weniger gut.~

~Und dir?~
~Was?~, fragte er verwirrt.
~Und wie geht es dir?~

Izzy setzte sich neben ihn auf die Kante des Tischs und blickte durchs Fenster hinaus auf den prachtvollen Garten. Dieser Anblick verschaffte Alec immer eine Art friedvolle Ruhe, weshalb er sein Arbeitszimmer genau in diesem Raum im ersten Stock hatte. Es war beruhigend und half ihm oft, sich wieder zu fokussieren.

Oder zumindest tat es das, bis Magnus in sein Leben getreten war und es schwungvoll auf den Kopf gestellt hatte, damit er herausfinden konnte, was wirklich wichtig war. Nur war er bisher noch zu keinem Ergebnis gekommen und desalb nur verwirrter als vorher.

Plötzlich war nichts mehr so wie es sein sollte und all seine Pläne waren für die Katz. Natürlich war es irgendwo auch aufregend nicht zu wissen, wo die Reise hinging, aber gerade beängstigte ihn dieser Gedanke mehr als dass er ihn erfreute.

Isabelle schien seine innere Anspannung zu bemerken, denn sie legte beruhigend eine Hand auf seine und drückte sie fest.
~Du kannst mir alles sagen. Das weißt du, oder?~

Und wie immer brach sein Vorsatz, seine Sorgen für sich zu behalten, in Stücke, denn vor seiner Schwester konnte er irgendwie nichts geheim halten. So sehr er es auch versuchte und manchmal auch wollte.

~Ja, es ist nur ...~, suchte er nach den richtigen Worten,~Da gibt es jemanden, der ... mir nicht egal ist. Sein Name ist Magnus und er ist ... einfach wundervoll. In allem, was er tut. Ich werde nicht lügen, ich fühle mich zu ihm hingezogen und ... ich hab einfach keine Ahnung, was ich jetzt tun soll.~

Es war so etwas wie die Wahrheit, nur eben nicht die komplette. Seine Schuldgefühle wegen des Vorfalls ließ er weg oder dass er sich viel mehr als nur hingezogen zu Magnus fühlte.

Aber dennoch stimmte es auch, denn er hatte keine Ahnung, wie er mit alle dem fertig werden sollte.

Wie sollte er seine Schuld begleichen? Würde er diesen Vorfall je vergessen können? War es überhaupt eine gute Idee gewesen, Magnus so nahe an sich heranzulassen und ihm damit so viel Macht über sich zu geben?

Er fragte sich auch, warum all diese Gedanken erst jetzt kamen, aber wenn er ehrlich war, kannte er zumindest darauf die Antwort.

Bis vor kurzem hatte er in einer wundervollen rosaroten Blase gesteckt. Ähnlich jener, die er immer beim Küssen betreten durfte, nur eben im realen Leben. Er hatte seinen Verstand ausgeschaltet und sein Herz die Führung übernehmen lassen.

Jetzt jedoch war es genau andersherum und Alecs kühler Verstand war wieder an der Macht. Dieser ließ ihn all seine Entscheidungen, die er einfach nur getroffen hatte, weil er es so wollte, hinterfragen. Ähnlich wie Magnus ihn zum Hinterfragen gebracht hatte, nur viel, viel negativer.

Er wusste gerade weder ein noch aus. Vielleicht konnte ihm Izzy ja helfen, immerhin kannte sie ihn besser als sonst jemand. Außerdem hatte sie stets einen guten Rat auf Lager.

~Du hast dich verliebt~, stellte Izzy gnadenlos fest,~Das ist doch etwas Schönes, Alec! Deshalb solltest du es nicht zerdenken, sondern genießen. Liebe kommt nicht angekündigt sondern trifft einen ganz unvermittelt und aus dem Nichts. Sie lässt sich nicht kontrollieren oder gar aufhalten, weshalb man auch nicht gegen sie kämpfen sollte. Lass sie einfach zu. Solltest du dich nicht lieber freuen, endlich jemanden gefunden zu haben, mit dem du alles teilen kannst, als daran zu zweifeln?~

Alec zuckte hilflos mit den Schultern. Er wusste Isabelles Rat wirklich zu schätzen, aber er würde ihm dieses Mal wahrscheinlich nicht folgen können.

Er wollte doch keine Liebe, hatte er noch nie. Warum also sollte er sie ausgerechnet jetzt zulassen? Nur weil sie sich so gut anfühlte?

Sie würde doch nur alles zerstören, was er sich aufgebaut hatte! Das konnte er nicht zulassen, war Liebe für ihn doch lange nur ein Freifahrtschein zum Herzbruch gewesen, sowohl für ihn als auch für Magnus.

Alec wollte ihn nicht verletzen, aber er musste seine Schuld begleichen und deshalb fasste er einen Entschluss. Er würde auf Abstand gehen, um ihn, aber auch Magnus zu schützen und damit alles wieder gut zu machen.

Sie taten sich offenbar nicht so gut wie gedacht und er wollte verhindern, dass beim nächsten Mal wirklich jemand starb. Ja, es war eine gute Idee, Magnus jetzt wegzudrücken, denn dann wäre der Schmerz nicht so groß und nur von kurzer Dauer. Alec musste seine Gefühle wieder wegschließen, um sie davor zu bewahren, schlimmeres anzurichten.

Er liebte seine Schwester, aber er würde nicht auf sie hören können. Nicht dieses Mal.

Zehn und eine NachtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt