Kapitel 37 - Die ersten Zweifel

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Magnus' Sicht

Magnus war verwirrt und irgendwie auch ... verletzt. Er wusste nicht, wieso Alexander plötzlich so seltsam distanziert war und immer beteuerte, alles sei gut, wenn es definitiv nicht so war.

Vertraute er ihm etwa nicht mehr? Oder hatte er es überhaupt je getan?

Diese Fragen quälten ihn, als man ihn zurück zu seinem Zimmer eskortierte, er hineinging und wieder allein war. Eine stille Spannung schien ihn zu umgeben und förmlich zu erdrücken, denn natürlich war alles nicht so gut wie er es Alexander hatte verkaufen wollen.

Natürlich dachte er immer wieder an den Vorfall mit Andrew und ihn überkam eine unangenehme Gänsehaut. In der Hitze des Moments hatte er dieses Gefühl kaum zugelassen, aber die Panik und das Gefühl des Ausgesetztseins hatten ihn förmlich den Boden unter den Füßen weggerissen. Lediglich die Ruhe, die er im Angesicht eines nahenden Todes gespürt hatte, hatte ihn davor bewahrt zu fallen.

Jetzt tat er es dafür umso tiefer.

Magnus hasste es, dass er wieder so ... wehrlos gewesen war, vollkommend in jemandes anderen Hand. Er hatte nichts gegen Andrew unternehmen können und wieder hatte er sich so ... wertlos gefühlt.

Er versuchte darüber hinwegzusehen und sich immer wieder zu überreden, dass es vorbei und er nun wieder sicher war, aber es schien nicht so richtig funktionieren zu wollen. Wer konnte ihm denn versichern, dass so etwas in der Art nie wieder geschehen würde?

Alexander war der mächtigste Mann in Idris und zog mit seinen Entscheidungen nicht nur Bewunderer auf sich. Er hatte sicherlich viele Feinde, die Magnus verletzten oder in eine ähnliche Situation bringen würden, um den König weich zu bekommen.

Magnus wollte das nicht. Er war kein Spielzeug, das man einfach für seine Zwecke missbrauchen konnte.

Er wollte Freiheit, denn diese versicherte ihm, dass so etwas nicht mehr passieren würde. Freiheit versprach ihm Unabhängigkeit und bewahrte ihn vor Situationen, die ihn zu erdrücken versuchten.

Das hatte er vergessen, als er sich für Alexander hatte fallen lassen und wahrscheinlich zum ersten Mal fragte er sich, ob das wirklich so eine gute Idee gewesen war. Natürlich hatte er Magnus beinahe stets respektvoll behandelt, aber diese Distanz war nicht da gewesen. Auch, als er ihn aus Eifersucht angeschrien hatte, war er noch immer nahbar gewesen.

Dabei hatte die Nacht so gut angefangen! Mit einem wehmütigen Stich im Herzen berührte Magnus seine Lippen, wo er noch immer einen Hauch von Alexanders spüren konnte.

Er liebte es einfach, den König zu küssen und er fühlte sich dabei auch immer so wohl in seinem Körper. Begehrt. Geschätzt. Vielleicht sogar geliebt.

Warum war er plötzlich zurückgeschreckt und hatte ihn so ... schuldig angesehen? Als bereue er etwas zutiefst und Magnus wusste beim besten Willen nicht, was.

Alexander musste sich für nichts entschuldigen, denn ohne ihn würde er sehr wahrscheinlich nicht mehr leben.

Sein Herz setzte kurz aus.

Er hätte tatsächlich tot sein können. Alexander war sein Retter und er würde ihm auf ewig dankbar dafür sein. Wie lang auch immer dieses ewig sein würde.

Deshalb nahm er sich vor, ihm einfach etwas Freiraum zu gewähren, denn Magnus half das meistens. Vielleicht würde es bei Alexander ja auch funktionieren. Er würde ihn auf alle Fälle nicht mehr so leicht gehen lassen.

Kurz überlegte sich Magnus, was er nun mit seinem Tag anfangen sollte, wenn Alexander beschäftigt war, denn wirklich müde war er nicht. Auch bezweifelte er, dass er länger in diesem Bett verharren würde als nötig. Es erinnerte ihn einfach nur an diesen aufwühlenden Vorfall, weshalb er es lieber mied.

Er könnte rausgehen, den prachtvollen Garten erkunden und etwas die Sonne genießen, bevor sie unerträglich wurde. Oder er verbrachte den Tag einfach in der Bibleothek, umgeben vom heimischen Duft der Bücher.

Zufrieden mit letzterer Idee schritt er zum großen Kleiderschrank und zog sich um, bevor er kurz verharrte und schließlich nach dem Dolch griff, mit dem Andrew ihn bedroht hatte.

Dennoch fürchtete er sich nicht vor der Waffe. Im Gegenteil, er fühlte sich seltsam sicher damit, obwohl er gleichzeitig hoffte, sie nie benutzen zu müssen.

Seufzend steckte er den Dolch in die Lederscheide, die er in einer der Schubladen der Kommode gefunden hatte und schnallte sich diese um. Dann ging er mit einem mehr oder minder unbeschwerten Gefühl hinaus.

Alexanders Sicht

Alec konnte sich kaum konzentrieren. Ständig vergaß er irgendetwas oder verwechselte Dinge. Simon musste ihn mehrmals berichtigen und das war in dieser Häufigkeit noch nie passiert.

Aber Alec konnte auch nichts daran ändern, denn er machte sich nunmal Gedanken. Gedanken um Magnus, dessen Wohl und was er dafür tun sollte oder getan hatte, um es zu zerstören.

Er hyperventilierte und übertrieb da vielleicht etwas, doch wirklich etwas dagegen tun konnte er nicht. Natürlich könnte er versuchen, mit Magnus darüber zu reden, was ihn so beschäftigte und ihn in seine Gedanken einweihen.

Das wäre die ehrliche Variante, in dem er ihm sein Vertrauen nochmals beweisen würde, aber irgendwie konnte Alec sich nicht wirklich dazu bringen, das auch wirklich zu tun. So gut diese Idee auch sein mochte.

Er wollte Magnus nicht belasten. Nicht, wenn er gerade so erstaunlich gut mit dem Vorfall zurechtzukommen schien. Er wollte diesen Erfolg nicht zerstören. Alec jedoch schwor sich, erst wieder einen Moment mit diesem perfekten Mann zu genießen, wenn er seine Schuld beglichen hatte.

Er würde weder ruhen noch sich diese Momente mehr gönnen. Dieser kurze Kontrollverlust während ihrer süß-heißen Küsse war ein einmaliger Ausrutscher gewesen und würde so nicht mehr vorgekommen.

Nicht bis er es irgendwie wieder gut gemacht hatte. Nur wie er sich für seine, in seinen Augen, unverzeihliche Tat entschuldigen könnte, war noch unklar.

Gerade saß er wieder in seinem Büro vor dem Schreibtisch und versuchte verzweifelt, dem Brief vor sich einen Sinn zu entlocken. Das war gar nicht so leicht, wenn man nach vier Worten wieder an etwas völlig anderes dachte. Alecs Gedächtnis war wirklich ein einziges Sieb, das nichts behalten konnte.

Schon seid dem Morgen schien eine dunkle Gewitterwolke über seinem Kopf zu schweben, die nicht nur seine Laune in den Keller rauschen ließ sondern auch jegliche Motivation. Er war einfach nur genervt und gereizt, aber nicht genug, um zu explodieren.

Viel mehr lag ihm diese Gereiztheit schwer im Magen, sodass er bisher noch nichts gegessen hatte. Nicht dass er genau darauf achten würde, wann er wo wie viel aß. Das hatte irgendwie keine richtige Bedeutung, zumindest nicht im Moment.

Nachdem er denselben Satz zum wahrscheinlich zehnten Mal begonnen hatte, gab er auf. Vielleicht sollte er sich heute leichteren Aufgaben zuwenden oder gleich ganz den Tag frei machen. Dann könnte er wenigstens Magnus ...

Nein! Du hast es dir geschworen!, ermahnte er sich selbst und seufzte dann tief, während er seinen Kopf in den Händen vergrub. Heute schien echt nicht sein Tag zu sein.

Plötzlich klopfte es an der Tür und das Seufzen wurde zu einem genervten Murren. Missmutig hob er den Kopf wieder, rieb sich über die Schläfen und fuhr dann einmal durch seine Haare, um wenigstens nicht halb so miesgelaunt und müde auszusehen wie er sich fühlte.

Dann sagte er in, zugegegeben, barschem Tonfall~Herein!~
~Hört sich an, als wäre ich gerade zum rechten Zeitpunkt hier!~

Zehn und eine NachtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt