Kapitel 2: Gefährte

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Selbst im fahlen Licht der Zelle und unter dem Schmutz der vergangenen Tage erkannte er ihre seidenweiche Haut. Sie war eine schöne Frau. Viel zu schön für die Outlands. Kluge blaue Augen und ein ebenmäßiges Gesicht verführten ihn unabsichtlich. Und obwohl die vollen Lippen von trockener Hitze aufgesprungen waren, durfte er sich nicht einmal vorstellen, was die wohl tun konnten.

Nein, diese Frau gehörte nicht in den Rust. Jedenfalls würde man das denken, wenn man sie traf. Wenn man den abschätzenden Blick nicht sah, mit dem sie sowohl ihn als auch ihre Umgebung musterte. Wenn man ihre harten Konturen vor lauter Zauber nicht erkannte. Wenn man die tief sitzende Wut nicht spürte, die sie zu verbergen versuchte.

Ihr schneewittchenhafter Anblick konnte sein geschultes Auge nicht täuschen. Diese Wut kam nicht von ungefähr. Einen derart düsteren Ausdruck pflegte man für gewöhnlich über Jahre, wenn man einen tragischen Verlust nicht verkraften konnte. Wie oft hatte er diesen Blick schon im Spiegel gesehen.

Smertnizy. Die Schwarze Witwe.

Nun, vielleicht war sie hier ja genau richtig und wenn sie so tough war, wie sie wirken wollte, würde sein Vorhaben gelingen. Das hoffte er jedenfalls. Vor allem für sie.

»Ich bin übrigens Fellow.«

Sie verkniff sich ein abfälliges Schnaufen bei einem Namen, der offensichtlich genauso erfunden war wie ihr eigener. Gefährte. Nun, das würde sich noch zeigen. Neugierig geworden drehte sie sich zu ihm, rückte ein Stück näher an die Gitterstäbe heran, dass sie möglichst niemand hören konnte. »Und warum sollte ich dir trauen?«

Kluges Mädchen. Einem wildfremden Gefangenen auf dem Weg zum Todestrakt schenkte man in der Regel kein Vertrauen, nicht einmal ein nettes Lächeln. Wie gut, dass er genauso unschuldig war, wie sie von sich behauptete.

»Solltest du nicht. Aber wenn du hier raus willst, musst du mir helfen. Und ich muss sicher sein, dass du mich hier nicht vertrocknen lässt.«

Somit musste sie ihm die gleichen Vorschusslorbeeren gewähren wie er ihr. Ein Fluchtversuch war riskant genug, schließlich waren die Soldaten bewaffnet, aber dem Kerl vertrauen?

Ihr Blick glitt missmutig über die Begrenzung ihres Käfigs. Sie roch den Dreck und den Schweiß der anderen Gefangenen und, wenn sie ehrlich sein wollte, auch ihren eigenen. Spürte die Hitze hier drinnen überdeutlich und wusste, dass sie erst wieder atmen können würde, wenn sie in Varat angekommen waren. Um dann zu sterben.

Nein. Das hier war nicht ihre Bestimmung.

Sie würde hier heraus kommen. Aber nicht ohne Absicherung. »Warum bist du hier?«

»Angeblich habe ich jemanden getötet.«

Fellow lächelte. Die Frau gefiel ihm immer besser. Erst recht, als sie ihre nächste Frage lediglich mit müder Stimme stellte, den Blick weiter auf ihre verrostete Umgebung gerichtet.

»Hast du?«

»Niemand Wichtiges.«

Das war ein Geständnis, das sie lieber nicht hatte hören wollen, und Fellow wusste das. Sein Lächeln verschwand.

»Diese Welt ist kaputt. Die Gesetze, die sie kannte, existieren nicht mehr und niemand ist da, der sie beschützen könnte. Wir müssen uns für die gute Seite entscheiden, egal, wie düster die Taten sind, die darauf folgen.«

Die Nadel ihres moralischen Kompasses begann zu zittern, als wolle sie den Kopf schütteln. Mit der guten Seite war sie einverstanden, aber hatte man diese gewählt, sollte man auch in diesem Sinne handeln. Oder?

Ja, ganz sicher. Fing man an, nach eigenem Empfinden zu urteilen, würde immer wieder nach zweierlei Maß gemessen werden. So war das Militär entstanden, das sie heute kannten. Einheiten, die Unschuldige zu ihrer eigenen Hinrichtung chauffierten, so sie denn nicht vorher einen Hitzschlag in diesem dunklen, stickigen Brutkasten erlitten.

Fayen || Outland's RustWhere stories live. Discover now