Kapitel 22: Keine Wellen ohne Wind

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Köstlich riechender Dampf waberte noch aus der kleinen Schüssel in ihrer Hand. Er lockte sie, sich mit ihrem Inhalt den Bauch vollzuschlagen, und forderte gleichermaßen eine gewisse Etikette, für die Fayen heute wirklich nicht mehr die Kraft hatte, sodass sie nur müßig darin rührte. Stattdessen starrte sie auf das kleine Wasserbad, das Gage angerichtet hatte, und dachte über diesen verrückten Tag nach.

Zumindest versuchte sie es. So viele Gedanken und Eindrücke schwirrten in ihrem Kopf, dass ihr kaum eine andere Wertung dafür einfallen wollte. Und wenn sie auch genau wusste, dass es höchstens eine temporäre Ablenkung war, so ließ sie ihren Begleiter nur zu gern diese Aufgabe übernehmen.

Im schwachen Schein des Lagerfeuers und mit der untergehenden Sonne im Rücken sah sie zu ihm herüber, darauf bedacht, ihn nicht auf sich aufmerksam zu machen, und musterte Gage nicht zum ersten Mal, seit sie sich kannten.

Er selbst heftete den Blick auf das knackende, orange leuchtende Feuerholz unter der improvisierten Kochstelle, während er mechanisch den Löffel zum Mund führte.

Vielleicht waren es seine Augen, überlegte sie abwesend. Dieses satte, dunkle Braun, das ihn im einen Moment todernst und im nächsten, je nach Lichteinfall, so offen und freundlich wirken ließen und das sie überzeugt hatte, ihm überhaupt zu folgen. Und mittlerweile war sie froh darüber.

Sie selbst hätte es naiv genannt, dass sie ihn gestern nach Fairfield begleitet hatte. Dass sie sich von Mauern hatte einschließen und auf die Freundlichkeit von Fremden vertraut hatte.

Doch dachte sie an sein warmes Lächeln beim Anblick der Schar Kinder und den beinahe schelmischen Ausdruck, wenn er mal wieder von seinen schlechten Witzen überzeugt war, konnte sie nicht anders, als selbst zu lächeln.

Wie seltsam. Gestern noch hatten sie einander mit der Waffe bedroht und heute teilten sie sich in beinahe friedlicher Stille eine üppige Portion Eintopf. Einen Moment überlegte sie, ob er den bereits gestern bei Amber bestellt hatte, also schon vor ihrem kleinen Disput in ihrem Haus vorgehabt hatte, heute nach dem Generator für Flex zu suchen.

Wahrscheinlich. Dumm nur, dass er noch nicht dazu gekommen war. Aber wer hatte ahnen können, dass sie diesem verdammten Bären im Wald begegneten. Ein Schauer lief ihr über den Rücken, als sie sich an das gierige Maul und die viel zu großen Pranken erinnerte. Das Vieh hatte sie beinahe erwischt, als sie auf diesen Kipper gesprungen war. Viel hatte nicht gefehlt und obwohl sie eine fantastische Ablenkung gewesen war, hatte Gage sie nicht allein gelassen.

Es schien ihr immer noch unwirklich, was heute passiert war. Nicht zuletzt, statt einer florierenden Siedlung nur noch einen Haufen Asche vorzufinden. Für ihn musste das besonders aufreibend gewesen sein, und ein wenig schuldbewusst fühlte sie sich zusätzlich, schließlich war er nur ihretwegen hierher gekommen.

»Gage?« Als hätte sie ihn aus einer anderen Welt gerissen, sah er sie nun fragend, beinahe verwirrt an. Sie nickte in Richtung der Siedlung. »Weißt du, wer das war?«

»Ich habe eine Vermutung.«

Mit einem Blick auf die beinahe leere Schüssel wich er ihr aus, überlegte, stellte sie schließlich neben sich auf den Boden und schien das Thema damit für beendet erklärt zu haben. Abschätzig hob sie eine Braue. Es würde sie nicht wundern, wenn er jetzt den Kurs änderte, wirkte er doch manchmal ein wenig ignorant. Aber sie war auch sehr penetrant.

»Und die wäre?«

Ein kleines Lächeln huschte über sein Gesicht, als hätte er nur auf diese Reaktion gewartet. Doch so flüchtig dies auch war, so schnell war es wieder verschwunden.

»Es gibt da diese Gruppe. Eine wild zusammengewürfelte Horde selbst ernannter Freiheitskämpfer.« Und sein Blick verriet, wie viel er allein von dieser Bezeichnung hielt. »Normalerweise plündern sie nicht so weit südlich, aber ... die haben sicher damit zu tun.«

Fayen || Outland's RustWo Geschichten leben. Entdecke jetzt