Kapitel 37: Im Bauch der Bestie

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Der konstante Schlag in ihrer Brust gab das Maß für jeden ihrer Schritte vor. Mit jedem Pochen bewegte sie sich tiefer in den Schlund aus brüchigen, roten Ziegeln. Langsam, ohne auch nur einen Laut auf dem Acryl zu erzeugen, die Nocke ihres Pfeils fest zwischen zwei Finger geklemmt.

Ihr Blick sprang von einem markanten Punkt zum nächsten, vom flatternden Rollo auf der rechten Seite zu den Sichtfenstern in die Unterkünfte auf der linken, und immer wieder auf die losen Brocken vor ihr auf dem Boden. Neben ihr rieselte bereits der Putz von der Wand und scheuchte ein Kribbeln über ihre klamme Haut.

Ihre Nerven waren so gespannt wie die Sehne, die an ihren Fingern zog, mit Inbrunst drängte, den schlanken, schwarzen Blitz auf ihre Gegner zu schleudern. Die wenigen Pfeile, die ihr geblieben waren, wollten nicht mehr mit Bedacht eingesetzt werden.

Nicht jetzt, sagte sie sich, noch nicht. Dass es anders kommen würde, wusste sie, als sie ein hohles Klopfen hörte. Müde Füße stampften unkoordiniert auf die metallenen Stufen der Wendeltreppe, trugen eine schwankende Masse ins obere Stockwerk.

Beklemmende Hitze kroch bis unter ihren Haaransatz, als sich diese Schritte, von einem Summen begleitet, in ihre Richtung bewegten. Kurz, nur einen Wimpernschlag lang, wünschte sie ihm, ihr nicht in die Quere zu kommen. Doch mit jedem trägen Poltern schwanden die Reste ihrer naiven Hoffnung, und dann stand er vor ihr, keine drei Meter entfernt.

Ein Mann, dessen Name sie nie erfahren würde. Doch er wusste, wer sie war. Wusste, was sie getan hatte. Und auch, was sie außerdem zu tun bereit war. Schon öffnete er den Mund, um Alarm zu schlagen. Doch ihr Bogen entschied anders.

Ein abgehackter Laut entwich ihrem ersten Opfer, ehe es zu Boden ging. Fayen lauschte über den Rhythmus ihres eigenen Bluts hinweg, doch noch war sie allein. Sie seufzte. Den Blick auf den reglosen Körper gerichtet.

Als sie den Kerl, der nur eine halbe Stunde zu früh in sein Bett fallen wollte, an den Füßen in den angrenzenden Schlafraum zog, nahm sie die ebenso stille Erkenntnis entgegen, dass dieser nur einer von vielen in dieser Nacht gewesen sein würde.

Und ihr Pfeil schmatzte zufrieden, als er wieder in ihren Besitz überging.

Sie beide wussten, dass sie nah, zu nah, an der feiernden Bande dran waren. Durch den Sprungschacht im vorderen Teil der Anlage drangen Gelächter, das Klirren von Glas und der Hall der von draußen herein strömenden Lautsprecherklänge überdeutlich zu ihr. Und doch musste sie weiter.

Ein Stück den Flur hinunter filterte ihr Fledermausgehör bald ein Schlurfen hinter sich heraus. Pfeil und Bogen erneut im Anschlag wirbelte sie zu dem riesenhaften Kerl herum, der nur torkelnd seinen Weg um den Schacht fand.

Er hatte gerade noch Gelegenheit, verwirrt in ihre Richtung zu starren, da zog sie aus. Schnurgerade schoss ihr Pfeil davon, bohrte sich mit graziler Zerstörungskraft zwischen zwei Rippen und direkt in sein Herz. Er stolperte zurück, bis er in Schräglage gegen die Rutschstange sank.

Ein letztes Keuchen entkam dem Sterbenden, ehe jegliche Spannung aus seinem Körper wich. Doch die Bedeutung dessen erreichte sie zu spät.

Fayen machte einen Satz nach vorn, versuchte, nach ihm zu greifen, und streifte doch nur die Befiederung ihres Pfeils, als er durch das kreisrunde Loch im Boden viereinhalb Meter ins Erdgeschoss stürzte.

Wie eingefroren stand sie da, die Zähne schmerzhaft in ihre Unterlippe gegraben, und hörte noch, wie sein Rumpf aufschlug, seine Stiefel nacheinander auf den Estrich klopften und sie endgültig zur Zielscheibe wurde.

Fuck.

Halb verschluckte Sätze und scharrende Stuhlbeinen begleiteten das erste Trampeln in Richtung Treppe. Fayen wich zurück und sah sich hektisch um, nahm ad hoc die nächste Tür und schloss sie mit einem Rums, der im penetranten Lärm der Bande unterging.

Fayen || Outland's RustWhere stories live. Discover now