▪︎ Funkenflug ▪︎

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Ihr Atem rasselte durch die schwüle Sommerhitze, als die Sonne ihre letzten Strahlen über den tosenden Horizont hinweg auf Gulfports Hafen warf.

Flankiert von den Gerippen alter Kräne sah sie die gestapelten Container auf dem Rücken der Santiago, die schon bald ihre Reise entlang der Küste Mexikos antreten würde. Und die vielen Menschen, die von meterhohe Strahlern beleuchtet ihre Ladung durch die Abfertigung schafften.

Sie ahnten nicht einmal, dass diese Nacht die Letzte sein würde, die sie erlebten. Denn an diesem Morgen, an dem sie entschieden hatten, ihr das Liebste auf der Welt zu rauben, hatte jeder einzelne von ihnen sein Schicksal besiegelt.

Der Wind flüsterte von Eile, peitschte über ihre schweißbenetzte Haut, und vergessen waren die Zeichen ihrer Erschöpfung. Lauernd suchte sie sich einen Weg vorbei an einfachen Bauten aus Holz und den schwimmenden Plattformen im Fahrwasser der betonierten Flächen.

Sie hielt ihr Messer fest in der Hand, während sie von Schatten zu Schatten und immer näher an die alte Hafenmeisterei schlich, den Blicken vorbeiziehender Arbeiter auswich und zählte. Menschen zählte, die ihren Plan torpedieren konnten. Zählte, wie viele Tote sie hinterlassen würde.

»Eine Stunde, maximal.«

Im Dunkel unter der Treppe verschwand sie und lauschte auf die tiefen Stimmen zweier Männer, die über ihr durch die offene Tür schallten. Schritt um Schritt auf den hölzernen Stufen saß sie aus, bis ihr der Erste den Rücken zuwandte.

Im flackernden Schein seines Streichholzes tat er seinen letzten, rauchgeschwängerten Atemzug tat, ehe eine Klinge schmatzend zwischen zwei Halswirbel stieß. Der zerrissene Laut mischte sich mit dem Klopfen ihrer Stiefel.

Sie nahm die Stufen, ehe die Tür ins Schloss fallen konnte, tauchte geisterhaft hinter ihrem nächsten Opfer auf. Seine gemurmelte Überlegung erstarb im Sprudeln seines eigenen Bluts, als ihr Messer seine Kehle teilte. Dumpf schlug er auf den spröden Betonboden.

Ein Bund voll stählerner Schlüssel, durch Alter und Nummern gekennzeichnet, wanderte aus seiner Hand in ihre Tasche und ihr Messer in die Linke, machte Platz für seine Pistole.

Und so zog sie weiter, von Raum zu Raum, von Lager zu Lager. Stets auf ihre Gelegenheit wartend begegnete sie ihren Feinden auf dem eigens geschaffenen Schlachtfeld, das allein Zeuge ihrer Zerstörungswut bliebe, so jeder, der es wagte, sich ihr in den Weg zu stellen, ein schnelles Ende fand.

Einzig ein kleiner Elefant aus blauem Fleece hielt sie auf, ehe sie den Pier erreichte. Schmerzlich einsam lag er da, vor dem alten Container, und sah seine Füllung aus der offenen Naht quillen. Da hörte sie es, das Flüstern, das von metallenen Wänden widerhallte, sie anzog wie das Lied der Sirenen.

Ihre Waffen im Anschlag betrat sie den rostigen Verschlag, der über und über mit langen, dünnen Stahlstreben versehen war, einzig beleuchtet von einer zitternden Sturmlaterne. In ihrem Schein säumten sich bunte Stofflagen um eine schlanke Gestalt.

Eine Frau, die beunruhigend blass und ganz auf den kleinen Schuh konzentriert, der sich zwischen ihren Fingern drehte, ihre sanfte Melodie teilte. Das Gesicht in wilder Gier verzogen, ihre Haut eine Leinwand bemalt mit Blut.

So saß sie da, hinter den Gitterstäben ihrer offenen Zelle und wiegte den zierlichen Körper in rhythmischem Gleichklang. Vor. Zurück. Vor. Sie sah sie an, die Frau, die da wippte und an ausgefransten Schnürsenkeln zog, und lauschte auf ihren wirren Singsang.

»... huschen, huschen hin und her, bringen kleine Wesen, immer mehr. Still, ganz still.«

»Wer?«

»Die Spinnen. Die vielen, kleinen Spinnen, die huschen durch den Zwetschgenhain. Tippeln über das Wasser, weit weg. Ja, das tun sie.« Langsam schwenkte sie den Blick aus lidlosen Höhlen in ihre Richtung, nicht minder verstörend als die albtraumhafte Erscheinung, die sie darstellte. »Und sie weben. Weben ihr Netz.«

Der Schauer, der ihre Arme hinauf tanzte und ihren schweißbedeckten Rücken erklomm, griff mit kalten Fingern um ihren Nacken, als sie verstand. Verstand, in welches Nest sie gestochen hatte. Verstand, welches Netz sie zu bekämpfen begonnen hatte. Und in dieser Sekunde wusste sie, dass Rose bereits an Bord war.

Sie blickte auf die Frau, die noch immer wippend und murmelnd als Beweis grausamer Folter diente.

»Verschwinde von hier.«

Und als der Donner den Himmel zerriss, hörte sie das kreischende Geräusch von Metall auf Metall. Sie drehte um, sprang aus dem Container, direkt in die Arme eines hochgewachsenen Mannes, dem keine Sekunde blieb, um zu verstehen, ehe sie auch sein Leben nahm.

Rüde stieß sie ihn von sich. Und rannte. Rannte über die betonierte Fläche vorbei an schlafenden Käfigen und höhnisch aufragenden Kränen, bis ihre Lungen brannten, ihre Glieder schmerzten und ihr Blick verschwamm vor Schmerz und Trauer.

Stolpernd erreichte sie die im Sturm gepeitschte Kaizunge, als die stolze Santiago Gulfports Hafen für immer verließ.

Sie war zu spät.

Nur einen Tag zu spät.

So stand sie da, mit rasendem Herzen, und ihre Schläfen pochten unter der grauenvollen Gewissheit. Hitze wallte durch ihre Adern, ließ ihren ganzen Körper zittern vor Zorn, der niedergehen würde auf all jene, die ihr das Liebste gestohlen hatten.

Und ihre Finger knackten unter dem wärmenden Leder, trieben sie an, noch weiter zu gehen, schneller zu sein und härter zu kämpfen als jeder andere, bis sie ihr Ziel erreicht hatte. Dafür war sie ausgebildet worden. Nach diesem Credo hatte sie gelebt.

Wie lange es auch dauern mochte, sie würde sich zurückholen, was man ihr genommen hatte.

Fayen || Outland's RustWhere stories live. Discover now