Kapitel 27: Gutenachtgeschichten

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»Der Gefährte wusste, dass es gefährlich werden konnte, aber er ließ sich trotzdem nicht davon abhalten. Ihr wisst ja, wie stur dieser Kerl ist.«

Mit einem breiten Grinsen und den filigranen Handbewegungen eines Zauberkünstlers, die im flackernden Kerzenschein tanzende Schatten an die mit bemalten Stoffen behängten Wände warfen und seine jüngste Zuhörerin entzückt quietschen ließen, beugte Fellow sich über die bunte Bettdecke und senkte seine Stimme auf ein verschwörerisches Flüstern.

»Er war den Rufen der kleinen Fledermaus gefolgt, über Steppen und Felder und Hügel und Wälder und hatte so viele schöne Orte und noch schönere Tiere gesehen. Und als er die Höhle erreicht hatte, in der die kleine Fledermaus bei Tag auf ihn wartete, bat sie ihn um Hilfe.«

Große blaue Augen blickten über den handgenähten Saum, verfolgten voll kindlicher Begeisterung, wie er die Hände miteinander verschlang, um tierische Silhouetten zu formen. Spätestens als die Ohren zu groß für dieses Fledertier wurden, ärgerte er sich, dass er keinen Hasen die Nachricht überbringen ließ.

»Für die Königskinder?«

Fellow sah sie an, einen Augenblick verstummt. Er war tagelang unterwegs gewesen, wie so oft in der letzten Zeit, und hatte nicht erwartet, dass sich sein kleines Mädchen so gut an die letzte Geschichte erinnerte, von der er selbst noch nicht gewusst hatte, wie düster sie enden sollte.

»Ja. Für die Kinder.«

Doch allein der Gedanke an die beiden verlorenen Jungen, die ihn in Dugout erwartet hatten, brannte so heiß, dass er seinen Blick durch das kleine Zimmer gleiten ließ, das einmal ein Büro gewesen war, um sie keine Wut in seinem Gesicht sehen zu lassen.

Dabei fiel ihm ein Bild auf, das sie gerade erst gemalt haben musste. Damit hörte sie gar nicht mehr auf, seit Elaine ihr neue Farben aus eingekochten Blumen und Kräutern gebracht hatte. Sein gepresstes Lächeln wurde butterweich, als er die krakeligen Großbuchstaben über den vier Strichmännchen sah. Mom, Dad, Kate mit einem umgedrehten E und Shally.

Sie fing gerade erst an zu schreiben und anscheinend waren Marshall und ihr eigener Name noch zu schwierig gewesen. Katerina war noch so jung. Viel zu jung, um von so viel Gewalt und Tod überhaupt ahnen zu dürfen. Also ließ er großzügig Details unter den Tisch fallen.

»›Gefährte, Gefährte‹, fiepte die kleine Fledermaus, ›wie gut, dass du da bist! Der dunkle Schatten hat sie geholt und ich kann hier nicht heraus. Finde ihn und vertreibe ihn aus unserem Wald. Bring die Kinder zurück nach Hause.‹«

So albern und peinlich sein ständig genervter Erstgeborener ihn und seine piepsig verstellte Stimme auch fand, musste man keinen der beiden an solchen Abenden erst überzeugen, sich die Zähne zu putzen und ins Bett zu schlüpfen.

»Hat er es geschafft? Hat er die Kinder gefunden?«

Fellow lächelte ob des erwartenden Ausdrucks im Gesicht seiner Tochter, während Marshall, auf der gepolsterten Fensterbank sitzend, die Arme verschränkte.

»Natürlich hat er das.«

Schnaufend schüttelte der den Kopf, gab sich so unbeeindruckt von den blumigen Beschönigungen seines Vaters, der doch nur all zu gut wusste, dass es ihn sehr wohl interessierte, was passiert war. Nun, das Ego hatte er ihm offenbar vererbt.

»Willst du die Geschichte erzählen?« Mit einem wissenden Grinsen setzte er sich zu Katerina auf die Bettdecke und klopfte fordernd auf das dicke Polster neben sich. »Na komm, setz' dich zu uns.«

Sein pseudocooler Teenager rümpfte noch die Nase, als die Kleine am Ärmel seines Hemds zupfte. Sie sah so unschuldig zu ihm auf, dass er in bittersüßer Wehmut das Gesicht verzog.

Fayen || Outland's RustWhere stories live. Discover now