▪︎ Zunder ▪︎

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Es war so surreal, hier zu sein. Außerhalb der Stadtmauer, in diesem Draußen, das sie seit Jahren nicht gesehen hatte. Über marode Straßen zu laufen, all die verfallenen kleinen Städte zu sehen, deren Untergang sie kaum registriert hatte, hätte sie traurig gestimmt, wäre sie nicht so sagenhaft erschöpft.

Ihr Glück, dass Hopkins auf seine alten Tage genauso lange gebraucht hatte, um aus der Stadt zu kommen wie sie. So hatte er sie zumindest bis Slidell mit dem Wagen mitnehmen können, ehe der kürzlich pensionierte Wachmann nach Georgia weitergezogen war.

Dass er im alten Fort Benning etwas anderes vorfinden würde als geplünderte Baracken, mochte sie bezweifeln, doch sie wünschte ihm viel Glück. Sie selbst konnte das auch gebrauchen, denn nach beinahe sechs Stunden Fußweg hatte sie kaum zwanzig Meilen geschafft.

Ihre Füße schmerzten selbst in ihren Stiefeln, meldeten einen ähnlichen Widerstand wie ihre Waden, die bei dem Gewicht in ihrem Rücken so krampfhaft protestierten, dass jeder weitere Schritt wirkte, als trüge sie sie beide.

»Ich bin müde. Ich will nicht mehr laufen.«

Das wollte sie selbst auch nicht, aber ihr Weg nach Hattiesburg führte durch unwegsames Gelände, würde sie noch viele weitere Stunden, gar Tage kosten. So gern sie ihr den Wunsch auch erfüllen und selbst Genuss daraus ziehen wollte, ihre Vorräte neigten sich dem Ende entgegen und der Morgen war längst über die immergrünen Kiefern gekrochen.

Er machte sie sichtbar, dort, wo sie nicht gesehen werden wollte, und selbst kurze Pausen könnten sie verraten, sie beide in Gefahr bringen. Sie mussten in Bewegung bleiben.

»Es ist nicht mehr weit, Baby, zum Frühstück sind wir schon in einer hübschen, kleinen Stadt.«

»Ich will aber nicht mehr.«

So sehr sie sie auch liebte, in diesem Stadium der Müdigkeit, nach einem Tag im Tun, einer Nacht ohne Schlaf und auf diesen zerklüfteten Resten eines Weges, der durchbrochen von knorrigen Fingern der Natur nach ihren Füßen zu schlagen schien, klang die so liebliche Stimme schrill in ihren Ohren.

»Ich weiß, dass du müde bist, das bin ich auch. Aber wir müssen weiter.«

Und ihre eigene drohte auf Niveau zu fallen, das ihre Begleiterin so selten von ihr hörte und doch, bevor sie nicht wenigstens einen Unterschlupf gefunden hatten, nicht wieder steigen würde. Doch als hinter ihr das dumpfe Geräusch von gefüllten Stofflagen auf Asphalt erklang, blieb auch sie missmutig stehen.

»Nein.«

Rose, so zierlich einer Blume gleich, verschränkte die Arme vor der schmalen Brust, zeigte sich so stur wie sie selbst war. Sie schnaufte durch den schweren Duft der Harz gießenden Nadelbäume ihren Unmut heraus, der doch nicht abnehmen wollte und nicht würde. Ihr Rucksack auf dem Boden ein deutliches Zeichen ihrer Weigerung.

Sie verstand nicht, welche Eile sie trieb, welche Gefahren in den Weiten der Outlands lauerten. Wie sollte sie auch. Nie hatte sie etwas anderes gesehen als ihre behütete Blase aus Gesundheit und Wohlstand, aus Liebe und Sicherheit, aus waffenloser, gewaltfreier Lebenslust.

Doch trotz allen Verständnisses für das Unverständnis ihrer Begleiterin obsiegte der Frust über eben jene Ablehnung so zwingend einzuhaltender Regeln, als sie sich störrisch neben ihre Habe setzte.

»Himmel noch mal, Rosalie, das wird ein verdammt weiter und anstrengender Weg für uns beide, wenn du alle fünf Minuten zu jammern anfängst. Wenn Mademoiselle also bitte vom Boden aufstehen und mir folgen würde, kommen wir vielleicht noch in diesem Sommer an.«

Blaue Augen starrten sie unter wütend verzogenen Brauen an, nur noch weniger geneigt, ihrem Drängen nachzugeben. Doch ob sie sich nun fügen wollte oder nicht, welches Unheil in den Wäldern lauerte, erfuhr sie nun selbst am eigenen Leib.

Der Anblick der Männer, die in schwarze Kapuzen gehüllt aus dem knackenden Unterholz traten, ließen ihr Herz ängstlich zittern, während die schwere Luft zum Atmen fehlte. Finstere Blicke trafen sie, schätzten sie ein letztes Mal ein und trafen eine Wahl. Zu schnell geschah, was nicht geschehen sollte, zu stark war der Angriff, den sie so gefürchtet und doch nicht erwartet hatte.

Ihre hochgewachsenen Gestalten kamen auf sie zu, trennten sich auf halbem Weg und kreisten sie ein. Griffen, schlugen und zerrten an ihnen, dass sie keine Chance hatte, sie beide zu beschützen. Tief fuhr der Schmerz in ihren Magen, als der Hieb von rechts den linken ablöste.

Viele, zu viele von ihnen prasselten auf sie ein, hielten sie fern vom Ziel dieser Männer, die nicht sprachen, nicht einmal zu atmen schienen und so viel mehr Reserven hatten als sie. Sie kämpfte, rang mit ihrem Angreifer und schickte animalische Rufe in den Morgen hinaus, die mit dem nächsten Schlag verebbten.

Ein Schrei schnitt durch die Luft, ein Weinen hob an und in ihrer Brust wütete ein so drängendes Beben, das Mauern zum Einsturz brachte, die als so stabil betrachtet wurden. So sehr sie sich auch wehrte, ihr Fall war vorherbestimmt.

Eine schier endlose Sekunde und sie prallte auf den Grund, hörte sie nach ihr rufen und konnte doch nichts tun, um sie zu erreichen. Und als die Schwärze über sie hereinbrach, verschwand das hellste Licht aus ihrem Leben.

Dann wurde es still. Ganz still.

Fayen || Outland's Rustحيث تعيش القصص. اكتشف الآن