Kapitel 29: Ein Hauch Wahnsinn

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Der Riemen spannte an seinem Hinterkopf, dass sogar die Ösen, durch die er gefädelt war, einen angenehmen Druck ausübten, als sich sein zweites Gesicht an seine Haut schmiegte. So wie alles andere an seiner Ausrüstung war auch seine Maske handgefertigt, aus dem besten Stück Polycarbonat, das man im Rust hatte finden können.

Er genoss dieses Gefühl, wenn sie sich so perfekt über seine Wangenknochen zog, ebenso wie das Wissen, dass niemand das diabolische Lächeln sehen konnte, das sie versteckte. Nur ihre gefräste, skelettartige Grimasse verriet die Vergänglichkeit menschlichen Lebens.

Denn ausnahmslos jeder, dem der grinsende Wahnsinn begegnete, fuhr bald darauf zur Hölle.

Das schnaufende Hydraulikaggregat öffnete die Seitentür ihres Lieferwagens und klappte die schmale Rampe aus, die ihm als Ausstieg gereichte und einen prüfenden Blick auf die Idioten hinter ihnen gewährte. Trotz Roccos rücksichtsloser Fahrweise kamen sie näher.

Schwer bewaffnet, aber offenbar nicht sehr clever verschossen sie ihre Munition, ohne dem Transporter auch nur eine Schramme zuzufügen, und ihre gestohlenen Willys im Camouflagemuster waren voll besetzt.

Beat grinste in sich hinein. Er würde seiner Aufgabe auch heute gewissenhaft nachkommen.

Seine Hand wanderte bereits zu dem montierten Waffenschrank hinter seinem Sitz, doch nach kurzer Überlegung griff er nicht wie beabsichtigt nach der Big Betty, sondern lieber nach ihrer kleinen Schwester. Sally versprach in dieser Situation deutlich mehr Spaß.

Fast schon gemächlich hob er den kompakten Geschosswerfer mit der angeschraubten Trommel auf die Schulter und lehnte sich so weit wie nötig aus dem Wagen. Kurz über das Visier gezielt, den Abzug gezogen und aus einer Wolke aus Verbrennungsgasen, die Rocco sicher aus dem Sitz springen ließ, brach ein massiver Bolzen hervor.

Sein Stahlseil hinter sich her ziehend, schoss der schnurgerade aus dem Rohr und bohrte sich mit beinahe graziler Zerstörungskraft in das linke Vorderrad ihres ersten Verfolgers. Ein heilloses Krachen rang mit den entsetzten Schreien, dann brach der Jeep nach links aus.

Ein perfekter Treffer.

Gerade als Rocco an der Kreuzung nach links abbog, nutzte Beat die wirkende Fliehkraft und sprang in entgegengesetzter Richtung aus dem Lieferwagen. Unter den Hartschalen aus Kohlefaser jaulte seine linke Schulter mit dem Knie um die Wette. Sie beide übertönten die Schürfwunde an der Schläfe, während er über den maroden Asphalt rollte, seine Sally fest an sich gedrückt.

Das Seil aus der Trommel zog hinter ihm her. Nahe der Straßenlaterne kam er auf die Knie, warf Sally so fest er konnte um diese herum, dass sie sich an ihrer eigenen Leine um den Mast wickelte. Im selben Moment rutschte der angeschossene Wagen an der Kreuzung vorbei, doch sein stählerner Anker schlang sich um den knapp verpassten Ampelmast, riss ihn so schwungvoll nach rechts, dass gleich zwei seiner schreienden Insassen auf die Straße geschleudert wurden.

Quietschend rutschte der Jeep herum, straffte das Seil unheilvoll zwischen den Masten, eine Falle für den zweiten Verfolger. Der versuchte noch, das Steuer herumzureißen, aber zu spät. Der Strang schnitt unaufhaltsam in das rostige Metall, das mit einem heiseren Kreischen nachgab, gerade als das makabere Pendel auf ihn zu kam.

Der Aufprall ließ Fahrer und Beifahrer die mangelnden Sicherheitsgurte betrauern. Dann wurde es still.

Müßig wandte Beat aus seiner geduckten Haltung heraus den Kopf, der die Welt noch eine Weile für ihn drehen würde, und blinzelte durch rieselnde Partikel auf das eigens kreierte Ausmaß der Zerstörung.

Der aus der geteilten Front des Jeeps zischende Wasserdampf zog einen dicken, weißen Schleier durch die Luft. Er verbreitete den süßlichen Geruch des tropfenden Kühlwassers, während sich an den Windschutzscheiben feine Rinnsale aus Blut ihren Weg über das gesprungene Glas bahnten.

»Oh-okay.«

Einen Moment saß er einfach auf dem zerklüfteten Bodenbelag, sein Hintern in etwas steckend, das man nur aller Freundlichkeit nach noch als Schlagloch hätte bezeichnen können, und lauschte auf seinen galoppierenden Herzschlag.

Das hatte ja besser funktioniert, als er gedacht hatte. Zwei Wagen erledigt und mit ihnen auch fünf, vielleicht sogar sechs ihrer Verfolger. Der Rest, wenn er noch lebte, gab keinen Laut von sich, hatte offensichtlich andere Sorgen, als ihn anzugreifen. Keine schlechte Bilanz für eine sehr spontane Lösung.

Er kam nicht umhin, eine finstere Genugtuung zu verspüren, und wollte sich schon selbst bejubeln, doch Verfolger Nr. Drei war es gelungen, dem Aufprall zu entgehen. Nun setzte der seinem Partner nach.

Na ja, fast.

Und trotzdem lächelte er. Nicht nur, weil er sah, wie Rocco an der nächsten kleinen Kreuzung rechts abbog, und wusste, dass seine liebe Betty ganz in dessen Nähe war. Erst sein Keuchen verriet, dass er den Atem angehalten hatte. Stoßweise schickte der nun ein leises, ungläubiges Lachen durch den Filter seiner Maske.

»Verdammt, bin ich gut!«

Aber seine arme Sally ... Als schlanker, kleiner Werfer hatte sie ganze Arbeit geleistet, doch gegen derart wirkende Kräfte hatte sie keine Chance. Der Aufprall hatte nicht nur das Rohr verbogen, auch ihr Schlagbolzen war hinüber. Allein sie von der Laterne zu lösen, ließ sie kläglich jammern.

Nun, das bekäme er wieder hin, schließlich hatte er sie ja selbst gebaut, und dieses kleine Schätzchen hatte ihn nicht enttäuscht. Himmel, wann hatte er zuletzt das Gefühl gehabt, er würde im nächsten Moment seinen eigenen Körper verlassen? Das musste Monate her sein. Doch dieses Kribbeln, das seinen Rücken hinunter und seinen Nacken hinauf tanzte, war immer noch so gut wie beim ersten Mal.

In nicht all zu weiter Ferne glaubte er, das jaulende Getriebe ihres Transporters zu hören. Okay, dann war Rocco wohl etwa einen Block von ihm entfernt und würde ihn gleich einsammeln. Vielleicht hatte er den letzten Wagen dann bereits abgeschüttelt. Falls nicht, war er bereit für die zweite Runde.

Zeit genug, um ein wenig zu plündern. Zunächst holte er sich aber Sallys Bolzen zurück. Zwölf Pfund Stahl in derart perfekter Form ließ man nicht einfach liegen. Nur gar nicht so leicht, den zwischen den eingedrückten Stoßstangen zu bergen.

Die blutbeschmierten Frontscheiben ließen ihn an Roccos einladende Worte denken. Erfolgreich aufgerissen.

»Und wieder hat es keiner gesehen.«

Aber vielleicht war das auch gar nicht so schlecht. Der mürrische Alte würde ihn für diese Aktion nur wieder maßregeln wollen, obwohl er sich doch längst daran hätte gewöhnen müssen. Er hatte eben nie ganz in dieses Schleich-und-kriech-Team gepasst.

Zu schade, dass es kaum noch Leute gab, im Allgemeinen und im Besonderen, die eine gute, alte Katharsis zu schätzen wussten. Die hier gehörten wohl auch nicht dazu.

Und während Beat mit ein wenig roher Gewalt den Radkasten des Jeeps freilegte, weckte das Zerren und Schaukeln den Totgeglaubten auf dem Rücksitz. Blinzelnd kämpfte der gegen den pochenden Schmerz hinter seinen Augen an, gegen das Ziehen im Nacken und die tauben Glieder.

Doch das beinahe melodische Summen, von dem dieses Wippen ausging, fraß sich gellend durch den Nebel seines Seins, dass ihm ein tiefes Grunzen entfuhr.

Beat sah auf. War da etwas gewesen? Vielleicht ein tierisches Etwas, das ihnen als Abendessen gereichen würde, sobald sie diese sonst so tote Stadt verlassen hatten. Vielleicht auch nur sein knurrender Magen. Gerti später zu besuchen, schien ihm gerade nicht die schlechteste Idee zu sein.

In Gedanken saß er schon in ihrer Küche, die nach Tee und Blaubeeren riechen würde, als der verbogene Kotflügel endlich nachgab und der Bolzen klingend auf den Asphalt schlug. In seine Maske grinsend nahm er das gute Stück an sich, doch noch während er den Blick hob, hörte er, wie Munition aus dem Magazin in das Patronenlager des Gewehrs rutschte, das gerade auf ihn gerichtet wurde.

Shit.

Fayen || Outland's RustOnde histórias criam vida. Descubra agora