Kapitel 70: Wenn Schwalben schweigen

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Eine weitere Kugel zischte so nah an ihrem Ohr vorbei, dass sie das hohen Ziehen noch hörte, als sie bereits selbst wieder ihre Waffe anlegte. Doch halb aus Lorettes Seitenfenster gelehnt konnte sie allemal Feuerschutz geben. Treffen würde sie auf diese Weise nur mit Glück.

Fellow und Gage ging es nicht besser, die auf der Ladefläche hockend gezwungen waren, die Köpfe unten zu halten, wenn sie sie nicht verlieren wollten. So schnell Lorette auf geraden Strecken auch werden konnte, auf den verschachtelten Straßen der Hafenstadt schwappte sie wie ein alter Kahn, und bei jeder Kurve mussten sie erneut in Deckung gehen.

Auch wenn die beiden keine Freunde würden, gebrauchen konnten sie einander dennoch. Als ihre Verfolger erneut zu nah an sie herankamen, hob Gage seine Waffe über die Umrandung und leerte sein Magazin, um Fellow eine Möglichkeit zu schaffen.

Er konnte sich gerade noch auf die Ladefläche fallen lassen, als der mit seiner gestohlenen 1911er zumindest einen Schützen erwischte. Gage zögerte, als sie einander ansahen, doch schließlich nickte er, und auch Fellow stimmte zu.

Beat trat so rücksichtslos auf das Gaspedal, dass es selbst Fayen unheimlich wurde. Sie hatten sich schlicht verschätzt, denn trotz der vier Augenpaare war ihnen entgangen, dass der Jeep, der am Ortseingang eine Seitenstraße blockiert hatte, bereits hinter ihnen her war.

Und diese Kerle hatten nie die Absicht gehabt, sie nur von hier zu vertreiben. Sie wusste, wenn er könnte, wie er wollte, würden sie lediglich einen Feuerball zurücklassen, und allmählich fand auch sie Gefallen an dieser Vorstellung.

Seinen Außenspiegel hatte es bereits erwischt. Aber als zwischen ihnen ein Großkaliber zuerst Lorettes Heckscheibe und mit ein wenig Verzug auch noch die Windschutzscheibe durchschlug, stieß Beat ein finsteres Grollen aus.

Er sah nur kurz über seine Schulter, sah die Scheibe unter der Erschütterung des nächsten Schlaglochs in Splittern auf den Sitz rieseln, und jetzt zuckte nicht mehr nur ein Muskel in seiner Wange. Fayen ahnte bereits, was er gleich von ihr verlangen würde.

»Du fährst!«

Sie hatte recht, und er die Schnauze voll. Während sie sich hinter das Lenkrad schob, zirkelte er sich aus dem Sitz, und auch wenn es ihm das Herz brach, trat er die Reste des Glases aus seinem Rahmen. Ein Satz und Beat landete zwischen den überraschten Männern auf der planen Fläche.

Selbst ihm zitterten mittlerweile die Finger, doch das hielt ihn nicht davon ab, die angeschlagene Transportkiste um seine liebste Betty zu erleichtern. Im Liegen ihren Hahn zu spannen, war dabei noch die schwierigste Aufgabe.

Und während Fellow beim Anblick des mächtigen Geschosswerfers auf seiner Schulter bereit war, vom fahrenden Wagen zu springen, packte Gage ihn am Kragen seines Mantels, zog ihn so flach wie möglich auf das Blech herunter.

Ohne Vorwarnung stob die gewaltige Explosion zu beiden Seiten aus dem Rohr und tauchte Beat in die bekannte, in diesem Moment so willkommene Wolke aus verbranntem Zündpulver. Der Rückstoß warf ihn gegen die Fahrerkabine, ließ einen Ruck sogar durch Lorette gehen und Betty mit einem metallischen Klagelaut auf die Ladefläche stürzen.

Sein Geschoss, eine vernichtende Elle lang, fraß sich frontal durch den Kühler des alten Jeeps, küsste seinen röhrenden Motor zum Abschied und riss den Humvee mit brachialer Gewalt entzwei. Und Beat bekam seinen Feuerball.

Obwohl sie diesen Knall erwartet hatte, ging Fayen in der Sekunde vom Gas, in der er seinen Treffer landete, und ließ die dröhnende Lorette ergeben ausrollen. Auf dem langsamer werdenden Wagen richtete Beat sich zu voller Größe auf, das Kinn voll Zufriedenheit gehoben, während Fellow und Gage einen vorsichtigen Blick in seine Richtung wagten.

Fayen || Outland's RustWhere stories live. Discover now