Kapitel 20: Fluten

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Ein Sprung, für den sie, verdammt noch mal, gefeiert werden wollte, warf sie auf das Dach des Kippers, während hinter ihr das metallische Scheppern der Gerüstteile den Bären untermalte. Der Aufprall trieb ihr die Luft aus den Lungen, ließ einen schmerzhaften Ruck durch ihren Brustkorb fahren. Sie trat ins Leere, mit zu Klauen geformten Händen kratzte sie über den Lack, suchte Halt. Endlich schaffte ihr Stiefel es auf die herunter gelassene Scheibe der Fahrerkabine und das Monster schwang die Pranke.

Das Gefühl, es hätte sie nur leicht gestreift, jagte ihr den nächsten Schauer über den Rücken, nagelte sie hysterisch keuchend auf das Dach. Tiefes Grunzen war zu hören, als sich der Jäger auf die Sohlen stellte und sich quälend langsam zu voller Größe aufrichtete.

Er starrte sie an, direkt in die Augen, und sie wusste, dass er nur einen kleinen Satz brauchte, um sie mit dem geifernden Maul zu packen.

Gottverdammte Scheiße ...

Ein einzelner Schuss drang durch die sirrende Sommerluft und der Bär brüllte vor Schmerz, das Maul so weit aufgerissen, dass sie auf viel zu scharfe Zähne starrte. Heißer Atem und fauliger Geifer schlugen ihr ins Gesicht. Eine zweite Kugel traf das Tier in den Rücken und es riss den Kopf herum.

Und dann endlich sah sie ihn. Gage, der auf hoch getürmten Paletten voller unbrauchbarem Material mit der Pistole auf das Untier zielte. Ein Anblick der Erleichterung, beinahe schon Hoffnung in ihr auslöste. Fast hätte sie gelächelt.

Doch dann schaukelte die Fahrerkabine und holte sie wieder in das geltende Format. Weg hier, nur weg. Sie wich zurück, sah sich um. Die kleine Leiter an der angehobenen Mulde sollte ihr mehr Abstand schenken. Ein wackeliger Sprung brachte sie zumindest einen knappen Meter weiter nach oben, als ein dritter Schuss fiel.

Dieser Bär war noch sturer als sie. Statt zu fliehen oder das Ziel zu ändern, walzte er um den Kipper herum, dass Gage keine freie Schussbahn mehr bekam, die offene Mulde und damit auch Fayen im Visier.

Das konnte doch nicht ...

Seine Tatzen stampften auf, dass Schutt unter ihnen knirschte, und trugen ihn immer näher zu ihr. Aggressiv war er längst, schlimmer konnte es also kaum werden. Fayen zog ihren Bogen, doch ihre freie Hand griff ins Leere. Da war nichts mehr, nicht ein Pfeil hatte diese Hetzjagd überstanden.

Ihre beste Waffe war nutzlos und sie so verzweifelt auf der Suche nach einem Ausweg, dass sie das verräterische Ächzen des Stahls nicht hörte. Als das Tier wild knurrend auf sie zulief, gab der eingerostete Hydraulikzylinder unter ihr seine Position auf und fiel wie eine Ziehharmonika in sich zusammen.

Mit einem heillosen Scheppern krachte die Mulde herunter und der Bär prallte gegen altes Metall, dass der Ruck ihre Knie einknicken ließ. Die geschundenen Finger krampften sich um die klapperige Leiter, als die sich mit einem hämischen Quietschen von den rostigen Schrauben verabschiedete und Fayen rücklings zu Boden stürzte.

Sie schlug mit dem Kopf auf und für einen Moment wurde aus hellem Tag tiefste Nacht. Der Schmerz nahm ihr die Sicht, vermischte gellend das Jetzt mit dem Gestern, in dem sie noch ein Leben gehabt hatte und in dem sie doch nicht sie gewesen war.

Ihre Lider flatterten vor den unscharfen Rändern ihres Sichtfelds, in das hochgewachsene Buchen ihre knorrigen Äste schoben. Pechschwarz rahmten sie den düsteren Grund ihrer Erinnerung ein, auf dem sich schemenhaft eine beinahe vertraute Silhouette abzeichnete. Doch viel zu schnell raubte ihr die Wirklichkeit die losen Fäden und ließ sie erkennen, dass kein Mensch sich vor ihr aufbaute, sondern die kratzenden Klauen einer wütenden Bestie über ihren Käfig hinaus ragten.

Ein pfeifendes Geräusch lichtete ihren Blick. Vergessen war der Ausblick in eine Zeit, die sie verloren hatte, als das tiefe Grollen erneut anhob. Der Bär saß in der Mulde fest, doch nur die anhaltenden Schüsse ihres Begleiters hielten ihn auch in dieser. Sobald Gage sein Magazin geleert hätte, hinderte das Tier nichts mehr daran, aus dem Behälter auszubrechen.

Fayen || Outland's RustWo Geschichten leben. Entdecke jetzt