Kapitel 30: Shotgun Blues

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Sie hätte ihren Gaul mitnehmen sollen.

Unter der gespannten, alten Plane liegend, die einmal zu jemandes Lager gehört haben mochte, hob Fayen erneut die zerknitterte Karte an und verfluchte ihren höhnischen Maßstab. Selbst wenn sie ihre Fähigkeiten nicht komplett überschätzte, war sie sicher noch einen Tagesmarsch von Rockwells Bluff entfernt.

So unwahrscheinlich es auch war, dass der sture Klepper ihren Weg in die autarke Stadt wirklich erleichtert hätte, stellte sie sich gern vor, wie sie den Weg durch diese feuchtwarme Einöde in seichtem Wind geritten wäre.

Seufzend ließ sie das Stück Papier fallen, das mit einem geschmeidigen Rascheln auf ihrem Gesicht landete, und schloss die Augen. Eine Weile würde sie noch im Turm der ausgemergelten Baptistenkirche die Mittagshitze aussitzen.

Zu dumm, dass diese Momente trügerischer Ruhe genügend Gelegenheiten zum Nachdenken boten.

Ja, irgendwie hing sie doch an dem störrischen Vierbeiner. Und leider nicht erst, seit ihr klar geworden war, dass sie seit ihrem Erwachen im Konvoi nicht einen Tag allein verbracht hatte. Die Entscheidung, ihn bei Gage zu lassen, war ihr so richtig vorgekommen, wie sie überstürzt gewesen war.

Doch nicht nur diesen Esel vermisste sie.

Ihr fehlten die Annehmlichkeiten, das weiche Bett und die Stabilität tragender Wände. Nicht zuletzt das reichhaltige Angebot an schlechten Witzen, die diese lärmende Stille gefüllt hätten. Es war deutlich zu ruhig. Vielleicht schien ihr der entfernte Klang uralter Auspuffrohre deshalb so unwirklich.

Lauschend hob sie den Blick an die Grenze zwischen Louisiana und Mississippi, während sich ihre Finger von selbst um den Polymergriff ihres Gewehrs schlossen. Das klang verdächtig nach einer Kolonne, doch bewegte die sich ungewöhnlich schnell in ihre Richtung.

Als sich Schüsse in das Geheul aus Motoren mischten, spähte sie schon aus der morschen Turmhaube, ihre guten Vorsätze, sich nicht mehr in alternative Lebensentwürfe verwickeln zu lassen, längst aus selbiger hinaus geworfen.

Von wo - Da. Der Lärm hallte aus einer aus dem Wald stiebenden Staubwolke, verursacht von einem klobigen Transporter, der seine besten Zeiten lange hinter sich hatte. In diesem denkbar schlechten Zustand hatte sein Fahrer alle Mühe, den Abstand zu seinen Verfolgern zu halten.

So wie die auf den schaukelnden Lieferwagen feuerten, würde der bald in der nächsten Hauswand enden. Scheiße, aber genau davor hatte Gage sie ja gewarnt. Fayen konnte sich kaum über die Tarnmuster und den Klang von Gewehrsalven wundern, ehe der komplette Zug hinter den am Ortsrand stehenden Ruinen verschwand.

Sie senkte den Blick, lehnte sich schnaufend an das morsche Geländer, die Zähne beinahe schmerzhaft in ihre Unterlippe gegraben. Sie verspürte bereits wieder das drängende Bedürfnis, sich in Dinge einzumischen, die sie nichts angingen. Dabei hatte sie sich doch von Ablenkungen frei machen wollen.

Schließlich musste sie weiter, musste den Detektiv finden, der ihr hoffentlich sagen konnte, wo dieser selbsternannte General steckte. Die Dinge richtig stellen und sich endlich selbst wiederfinden. Das war der Plan gewesen. Sogar der Gaul hatte das gewusst.

Es wurde Zeit, dass sie nach Hause kam. Wo immer das sein sollte.

Unweit der Stadtgrenze hallten Schreie durch die zerstörten Straßen, begleiteten quietschende Reifen und einen dumpfen Knall. Wer auch immer in dem Transporter saß, steckte in der Scheiße, und käme er aus der nicht heraus, hinterließ er womöglich eine Familie, die nie erfahren würde, was mit ihm geschehen war.

Fragte sich das auch jemand über sie?

Aus dem trichterförmigen Schlund dieser Geisterstadt holperte der röhrende Lieferwagen in ihre Richtung, während ihre Finger miteinander rangen. Erneut waren Schüsse zu hören. Und dann dachte sie an Connies müde Augen. Patricias bittere Tränen.

Fayen || Outland's RustWhere stories live. Discover now