Kapitel 61: Gemachtes Nest

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Die Sonne stand bereits tief und flutete den schmalen Flur der kleinen Praxis mit ihrem goldenen Schein, als Beat am hinteren Fenster sitzend die Zähne zusammenbiss. Ein weiteres Mal verfluchte er die gebogene, kleine Nadel, die er durch seine Haut zu stoßen gezwungen war, wollte er möglichst bald wieder fit sein.

War er vor und während der großen Aufräumaktion der Fairfielder Gemeinschaft noch davon ausgegangen, keine nennenswerten Verletzungen davongetragen zu haben, hielt sein mit Blut gefüllter Stiefel schon den erhobenen Mittelfinger bereit.

»Um Himmelswillen, was tust du da?«

Dumme Sache, aber noch etwa zehn, vielleicht auch nur acht Stiche, wenn er großzügig ansetzte, und er hätte es hinter sich. Im geschäftigen Treiben der vielen freiwilligen Helfer und Assistenten verebbte sein Schnaufen darüber ungehört, aber leider nicht ungesehen.

»Wonach sieht es denn aus, Doc?«

»Nach Selbstgeißelung. Und Diebstahl, das sind meine Nadeln. Aber wenn sie schon in Benutzung sind, dann lass mich dir wenigstens helfen.«

Folterinstrumente, wollte er wohl gesagt haben, die auch nach dem dritten Stich durch sein Bein nicht leichter zu ertragen waren. »Wenn du keinen Bourbon zur Hand hast, brauche ich dich nicht, Städter. Geh weg.«

Diese Bezeichnung wäre nicht beleidigender gewesen, hätte er ihm dabei noch vor die Füße gespuckt. Doch allein für seine Hilfe am heutigen Tag, und auch nur deswegen, war er gewillt, diesem störrischen Esel das Flickwerk abzunehmen.

»Dann lass mich jetzt mal etwas klarstellen. Ich habe mir nicht ausgesucht, als Städter aufzuwachsen. Aber diese Diplome belegen, dass ich kann, was ich tue. Sehr viel besser als jeder Wald-und-Wiesen-Doktor. Du kannst also wählen, ob du davon profitieren oder dich weiter wie ein trotziges Kind verhalten willst.«

Beat, kein Freund davon, seinen Schmerz zu teilen, auch wenn der hier genug für zwei wäre, zitterte die Hand, als sich der gute Doc an einem kleinen Regal im Flur bediente, und nicht weniger zitterten seine Nerven, als der sich völlig unbeeindruckt neben ihn hockte.

»Ja, genau. Dr. med. Lian Christopher Conroy, Facharzt für Unfallchirurgie, geboren und aufgewachsen in Houston, Texas, und vor zwölf Jahren von dort geflohen, nachdem diese wundervolle Stadt den Tod meines Mannes provoziert hat. Ist das eine annehmbare Erklärung für dich?«

Zwei Hände stoppten, während zwei andere ihnen die Nadel abnahmen und sie beide von seinem Operationsfeld verwies. Lian überging seinen Protest geflissentlich und begann mit der Arbeit.

Die farblose Tinktur desinfizierte sowohl sein Werkzeug als auch den Schnitt in seinem Unterschenkel, und Beat verkniff sich den schmerzerfüllten Laut, den diese mit einer geringen, aber unbestreitbaren Gleichgültigkeit herbeigeführte Aktion provozieren sollte.

Ihm entging nicht, wie der Arzt durchatmete, sich selbst zu beruhigen versuchte, nachdem er ihm in reinstem Trotz deutlich zu viel anvertraut hatte. Das musste er mit Schweigen honorieren, etwas anderes war ihm nicht möglich.

»Entschuldige, mir ist der Mohn ausgegangen. Nach einem solchen Tag, und davon gibt es glücklicherweise nicht viele, sind Schmerzmittel leider Mangelware.«

Beat räusperte sich. »Du benutzt Mohn?«

»Schlafmohn. Synthetisches Morphin wäre mir zwar lieber, aber ja.« Und als er auch darauf keine Antwort bekam, richtete der die grauen Augen direkt auf ihn. »Was? Sieh dich um. Wir machen hier Medizin wie im Mittelalter. Die Versorgung ist der einzige Vorteil der Stadt, der mir wirklich fehlt.«

Ja, davon hatte er gelesen, vom Schlafmohn. Das war lange her. Probiert hatte er es nie, denn allein die Herstellung dauerte ihm zu lange. Und dass er sich mit solchen Belanglosigkeiten abzulenken versuchte, war selbst für ihn ein deutliches Zeichen.

Fayen || Outland's RustWhere stories live. Discover now