Kapitel 9: Werte

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Stoßweise verließ ihr Atem ihren ausgelaugten Körper, während Schweiß ein Rinnsal auf ihrer Stirn hinterließ. Gemischt mit Blut und Dreck brannte der salzige Tropfen in ihrem Auge und ließ die Silhouette des Fremden verschwimmen. Doch sie wagte nicht einmal zu blinzeln.

»Die Waffe runter.«

Seine raue Stimme, durch Wut und Schmerz auf ein bedrohliches Flüstern gesenkt, hallte in ihrem gematerten Schädel wider, gesellte sich hämisch grinsend zu dem Schwindel. Er rührte sich keinen Millimeter, zumindest wenn sie das beunruhigende Flimmern ausblendete.

»Ich denk' nicht dran.«

Entschlossenheit blitzte ihr aus mandelförmigen Augen entgegen. Die Automatik sicher in beiden Händen zielte Gage direkt auf ihr Gesicht. Doch auch Fayen hatte durch den knappen Meter, der sie beide trennte, die Gewissheit, einen tödlichen Schuss abzugeben.

»Drück ab und dieser Pfeil findet sein Ziel von ganz allein.«

Nur Sekunden nach ihrer Warnung erkannte sie im Augenwinkel drei Männer durch den Türrahmen zum angrenzenden Raum spähen. Einer war jung, der andere alt, der letzte verstört, doch nur einer von ihnen hielt eine Waffe in der zitternden Hand.

Doch der war ihrem Gegenüber keine Hilfe, das wusste Gage selbst. Dichte Brauen senkten sich über seinen Blick, als er ihre Drohung zu zerdenken begann. Sie hätte längst schießen können, wahrscheinlich hätte er nicht einmal die Gelegenheit gehabt, den Abzug zu drücken.

»Was willst du?«

Und so sehr er sich auch bemühte, er konnte dieses Gesicht nicht zuordnen. Sie war nicht bei dieser Gruppe gewesen, aber das machte ihr Auftauchen hier nur noch fragwürdiger.

Fayen seufzte ob seines Misstrauens, doch ihr Auftritt ließ kaum eine andere Reaktion zu. Sie musste sich selbst daran erinnern, dass sie hier war, um ihnen zu helfen. Ihren offensichtlichen Anführer ließ sie nicht aus den Augen, als sie mit fester Stimme ihren Joker zog.

»Wer von euch ist Paul?«

Obwohl sie ihn noch immer fixierte, antwortete sie ihm nicht. Sie suchte nicht nach ihm. Allmählich verlor Gage die Geduld, er wollte sie schon drängen, den Mund aufzumachen, als der ältere Mann zögerlich hinter seiner Entourage auftauchte.

Froh, dass der Schütze ihren kurzen Seitenblick nicht genutzt hatte, um etwas Dummes zu tun, nickte sie nun. Dieser Mann war über fünfzig, breit gebaut und er trug den hässlichen, braunen Pullover mit Tannenmotiv, den die Kleine beschrieben hatte.

Sein gegerbtes Gesicht drückte eine Trauer aus, die umgehend an ihr nagte. »Kenne ich dich?«

Fayen hätte beinahe versucht, ein Lächeln anzudeuten, doch dafür war sie zu sehr mit dem Druck hinter ihren Augen beschäftigt. »Ich habe Patricia gefunden.«

»Patti?« Mit wuchtigen Schritten drängte er sich nun durch den Wall erstarrter Körper, stolperte unbedacht auf sie zu, bis Gage die Linke ausstreckte, um ihn zu bremsen. »Wo ist sie? Lebt sie?«

»Es geht ihr gut und sie ist vorerst sicher.«

Die sehr viel deutlichere Wiederholung des Kerls vor ihr entlockte ihr immerhin ein tonloses Schnaufen. »Wo ist sie?«

»Ich kann euch zu ihr bringen oder sie zu euch, mir ist es gleich.« Mit einem eiskalten Blick wandte sie sich nun direkt an den Schützen. »Du musst nur die Waffe runter nehmen.«

Ihr Angebot war zweifelhaft, das wusste sie selbst, aber zumindest dieser Paul war direkt darauf angesprungen und versuchte, die letzte Hürde zwischen sich und seiner Tochter zu überwinden.

Fayen || Outland's RustWhere stories live. Discover now