Kapitel 50: Karawanenkind

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Der Regen prasselte noch immer unaufhörlich gegen die milchigen Fensterscheiben der North DeSoto Grundschule, als Fayen ihr provisorisches Lager zwischen Sitzbänken in Kindergröße aufschlug.

Zwei Schlafsäcke wurden durch Gaskocher, Verpflegung und Petroleumlampe in respektvollem Abstand gehalten, und sie selbst freute sich auf einen mehr oder weniger erholsamen Schlaf. Aber zuerst würde sie die Plastikdose voller Kekse verdrücken.

Beat dabei zu haben, erwies sich bereits jetzt als ebenso praktisch wie unterhaltsam, und mit Gertrud und Paddy als Versorger im Hintergrund war er auch bestens ausgerüstet. Außer mit einer Plane für die schlammerprobte Lorette, deren Ladefläche bei diesem Wetter zum Schwimmteich würde.

Sein blonder Kamm hing ihm platt in die Stirn, die widersinnige Strähne am Hinterkopf hingegen wippte noch frech die letzten Tropfen von sich, als er mit der letzten Transportkiste voller skurriler Waffen zu ihr kam. Noch lachte er über ihr munteres Schlingen.

»Lorette steht sicher und einigermaßen trocken, und alle Eingänge, die ich gesehen habe, sind entweder eingestürzt oder fest verschlossen. Geh trotzdem nicht in Richtung Turnhalle, da habe ich einen Stolperdraht gespannt. Nur zur Sicherheit.«

Und wie das beim letzten Mal ausging, würde sie nie vergessen.

Als sie ihn gerade fragen wollte, um welche von Gertruds Köstlichkeiten er sich mit ihr streiten wollte, begutachtete er bereits die noch vorhandenen Bücher in den Regalen. Ganz still sah er sich jeden ihrer Rücken an und seine Mundwinkel zuckten jedes Mal, wenn er eines von ihnen wiedererkannte.

Doch dieses eine Buch war ihm neu. Er zog es aus dem Stapel, grinste, als hätte er vergessen, dass sie hier war, und fühlte sich seltsam ertappt, als er ihren Blick bemerkte.

»Ah, zu schade. Den Stoff der vierten Klasse kenne ich schon.«

Mit gespielter Enttäuschung stellte er es wieder zurück und Fayen verbarg nur schwer ein Schmunzeln. Sie hatte genau gesehen, dass er stattdessen The Snail and the Whale im Auge hatte.

Schon verrückt. Als sie sich kennengelernt hatten, war er wie der Teufel persönlich den Flammen seiner selbst ausgelösten Explosion entsprungen, und nun stand er hier, geneigt, ein uraltes Kinderbuch zu stibitzen. Und von diesem blöden Gummihuhn wollte sie gar nicht erst anfangen.

»Wie ist jemand wie du bei einem Typen wie Rocco gelandet?«

Und während sie es sich in ihren Schlafsack gehüllt bequem machte, wunderte er sich noch über ihre Frage an sich, war sie doch selbst sehr sparsam sogar mit unbedeutenden Informationen. Bisher hatte sie ihm auch nicht verraten wollen, warum sie diesen General überhaupt suchte.

»Das ist eine lange Geschichte.«

Mit den Fingern in der Keksdose nickte Fayen in Richtung Fenster. »Ich habe Zeit.«

Er griff gerade noch nach einem Vorrat Gebäck, dann lachte er müde über ihren Versuch, etwas über ihn als ihren neuen Begleiter zu erfahren. Doch vielleicht wäre das der Einstieg in ein wenig Offenheit.

»Na gut. Ich bin ein Karawanenkind.« Auf ihren fragenden Blick hin zuckte er mit den Schultern. »Das sind Nomaden, heimatlos und immer unterwegs. Eines Tages, ich war noch ein Kind, kamen wir an einer Siedlung vorbei. Die hatte weite Felder vor den Toren, eine riesige Palisade, viele andere Kinder und wurde angeführt von einem Drecksack namens Corbin.«

Allein seinen Namen auszusprechen, erfüllte Beat mit Abscheu. Doch das musste Fayen nicht erfahren. Das nicht und auch nicht, was er getan hatte, als er endlich dazu in der Lage gewesen war.

»Die Karawane stockte die Vorräte auf und als es Zeit war, zu gehen, ließen sie mich zurück. Meine Mutter hat mich verkauft. Eingetauscht gegen ein paar Laib Brot, das war ich ihr wert.«

Fayen || Outland's RustWhere stories live. Discover now