Kapitel 44: Gassenläufer

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Warum, um alles in der Welt, versammelte sich heute der halbe Bluff in seiner sonst so friedlichen kleinen Kammer? Gerade heute schien es so verfickt schwer, ihn in Ruhe zu lassen. Und das alles nur wegen dieser schießwütigen Irren, die sich umso hartnäckiger festhielt, je mehr er sie abzuschütteln versuchte.

»Verrat mir doch mal, was, zum Teufel, mit dir nicht stimmt.«

Den treibenden Schlag seines alten Herzens spürte Rocco bis in den von seiner Selbstmedikation brennenden Hals, und mit ihm einen Schmerz, der gar nicht da sein sollte, in einem Bein, das längst nicht mehr da war. Und sein Allheilmittel hatte seine Wirkung noch nicht entfaltetet, ehe die aufgebrachte Gertrud loslegte.

»Nicht nur, dass du diesen süßen Käfer in den Tod schicken wolltest, nachdem sie deinen verhindert hat – ja, du alte Qualle, das hat er mir erzählt, als er das arme Ding bei mir eingesammelt hat –, nein, nein, selbst als sie völlig zerschlagen zu dir kommt, und da kannst du noch von Glück reden, weigerst du dich, deinen verdammten Job zu machen?«

Müßig massierte er mit einer Hand seinen Stumpf, mit der anderen die pochende Schläfe, in der die vor Rage angehobene Stimme seiner schlechteren Hälfte einen verdammten Gong schlug. Um wenigstens eines davon zu vertreiben, müsste schon eine dritte Hand nach seinem Glas greifen können.

»Geh mir nicht auf den Sack, Gerti.«

Dabei hatte sie gerade erst angefangen, ihren über Tage hinweg angestauten und damit im Grunde nicht einmal ihn betreffenden Frust herauszulassen. Und wenn eine Gertrud Struts erst einmal in Fahrt war, kümmerte sie nichts mehr.

Nicht seine Öffnungszeiten, nicht seine Privatsphäre und schon gar nicht der Umstand, dass er nur hier, im stillen Kämmerlein, die schlecht sitzende Prothese lösen und die wunden Stellen mit der Hälfte des Eises behandeln konnte, das nicht in seinem Glas landete.

»Nicht heute. Einmal im Jahr, Gerti, habe ich den Wunsch und das Recht und damit jede Ausrede, die ich, wessen Meinung nach auch immer, brauche, um mich hier zu verschanzen und mich zu betrinken.«

Als ihre Brauen schon aus ihrem faltigen Gesicht springen wollten und sie die Hände in die Hüften stützte, und doch nur von dem erneuten Husten davon abgehalten würde, ihm an die Gurgel zu gehen, griff er demonstrativ nach seinem Glas.

»Und heute ist dieses Einmal. Ich habe also keine Zeit und erst recht keine Lust, mich durch euren Scheiß davon abhalten zu lassen. Du weißt, wo die Tür ist, altes Huhn, benutze sie doch, damit ich mich endlich dem Tagesgeschäft widmen kann.«

Mit einem röchelnden Atemzug, der sogar ihm Sorge bereitete, zupfte Gertrud ein neues Taschentuch aus ihrem Mieder und streckte den Rücken durch.

»Iss irgendwas, Rocco. Etwas, das aufsaugt, damit du aufhörst, so einen Unsinn zu reden. Sieh dich doch an. Keine Woche hältst du es ohne deinen geliebten Bourbon aus. Einmal im Jahr, von wegen.«

Und als sie sich den Mund wischte, ignorierte sie jegliche Form vom Etikette, Verschwiegenheit und Zeit. Doch wahrscheinlich wusste sie nicht einmal, welches Datum sie heute schrieben.

Mit versteinerter Miene blickte Rocco auf die angebrochene Flasche, die er am heutigen Tag zu leeren gedachte, und überschlug im Stillen, wie lange sein Vorrat ihn davor bewahrte, sich dem lange verhassten Pokerkumpel zu stellen.

Er hielt es immer noch für einen bösartigen Scherz, diese schäbige Bar nach seinem Verlust benannt zu haben. Dabei hatte er zu dem Zeitpunkt noch nicht einmal getrunken. Damals, als er unfreiwillig diese verdammte Mine entschärft hatte.

»Was ist nur aus dir geworden?«

»Das, Gertrud! Das ist aus mir geworden. Ein verfluchter Krüppel, der es nicht einmal schafft, eine alte Schachtel wie dich aus seinem Haus zu werfen. Ich bin raus, nicht mehr im Spiel, nicht mal mehr im Stadion. Du hast keine Ahnung, wie das ist.«

Fayen || Outland's RustWhere stories live. Discover now