Kapitel 5: Überleben

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Ein Rascheln lenkte ihre Aufmerksamkeit nach links. Nur ein Vogel, der durch die Äste flatterte, aber was sie dann sah, war Gold wert. Zumindest wenn Gold noch einen Wert hätte. Sehr viel mehr versprach sie sich dann doch von diesem kleinen Camp.

Sie wusste nicht, wer ihr als nächstes eines über den Schädel ziehen wollte, also schlich sie mit gezogener Waffe auf den kleinen Haufen Habseligkeiten zu.

Über eine gespannte Schnur hingen Kleidungsstücke wie zum Trocknen, auf dem Boden lagen Essgeschirr und eine verbeulte Kanne verstreut, ebenso weitere Ausrüstung, die wie in den Wald geworfener Müll anmutete. Ein Zelt gab es nicht und auch keinen Camper. Aber es wirkte ungefährlich, ein Blick zum Pferd bestätigte das.

Calvaro hatte sich mit ihr arrangiert, so schien es, und Fayen war nicht dumm. Ihr vierbeiniger Begleiter war eine ausgezeichnete Alarmanlage und ermöglichte ihr eine schnelle Flucht, wenn es darauf ankam. Den würde sie überall mit hinnehmen.

Nach ein paar Schritten war ihr klar, was in dem kleinen Lager passiert war. Der arme Kerl, der hier Rast hatte machen wollen, hatte nicht mit wilden Tieren gerechnet. Den Spuren nach zu urteilen, hatten ihn Wölfe erwischt, und der Gestank und die Fliegen ließen darauf schließen, dass dies bereits einige Tage her war.

Aber weder der arme Teufel konnte mit dem Schlafsack etwas anfangen noch die flohverseuchten Viecher. Sie schon. Sie würde etwas Wärmendes für die bald anbrechende Nacht brauchen und mit diesem Fokus plünderte sie, was das Rudel übrig gelassen hatte.

Den zerfetzten Rucksack konnte sie getrost liegen lassen. Ein kaputter Kompass, nein. Zerrissene Kleidung, auch nicht. Sie wollte gerade aufhören, im Müll zu wühlen, aber dann gewann sie in der Lotterie.

Fayen unterdrückte einen Freudenschrei, der sie sicher als nächstes auf die Speisekarte gesetzt hätte, als sie den Schlafsack zusammenrollte. Unter ihm hatte der Tote einen leicht befleckten, aber wunderschönen Recurvebogen versteckt.

Verdammt noch mal, ja!

Beinahe andächtig musterte sie das schöne Stück. Dieses Schätzchen maß perfekte zweiundsechzig Zoll und war noch dazu aus Karbon gefertigt. Sie hatte wohl Glück, dass er ihn nicht benutzt hatte. Nicht benutzen konnte?

Ein Jäger war er offensichtlich nicht, sonst hätte er gewusst, dass er nachts nicht ohne Feuerstelle auf dem Waldboden hocken sollte. Seine magere Ausrüstung sprach auch nicht dafür, viel wahrscheinlicher war, dass er das Zeug einem anderen abgenommen hatte.

»Ruhe in Frieden, du genialer Dieb.«

Ihr Murmeln erwartete keine Antwort, es spielte keine Rolle. Die Unwissenheit des Kerls war nun ihr Vorteil. Sie suchte die vorhandenen Pfeile zusammen, die zerstreut unter seinen zumeist zerstörten Mitbringseln lagen, und fand dabei sogar noch ein ganz ordentliches Messer und einen leicht zerdrückten Köcher.

Mit der neuen Waffe über ihrer Schulter griff sie nach dem Schlafsack und duckte sich unter der Wäscheleine hindurch. Einen prüfenden Blick später entschied sie, dass Herrengröße Medium ihr sicher gut stand, also nannte sie jetzt auch noch einen Pullover und eine dunkle Jacke ihr Eigen.

Dem Himmel sei Dank. Das hier war so viel mehr, als sie sich erhofft hatte. Die Vorräte, die Fellow ihr mitgegeben hatte, wären bald verbraucht, nachdem es einen halben Tag und zwei Flaschen Wasser gekostet hatte, bis sie aus der Wüste heraus, über Steppe hinweg und schließlich an einem Bergwald angekommen war.

Sie wollte nur noch schlafen, war sich aber sicher, dass sie sich nicht an den Gaul kuscheln konnte, um die Nacht zu überstehen. Das würde ein warmer, weicher Schlafsack übernehmen, der ...

Moment. Der Platz wirkte nicht, als hätte es kürzlich geregnet. Wenn der Vorbesitzer seine Kleidung aufgehängt hatte, musste er sie gewaschen haben, und dann war bestimmt ein Fluss in der Nähe.

Fayen || Outland's RustWhere stories live. Discover now