Kapitel 49: Neue Wege

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Von all den Überlegungen, Befürchtungen und Versprechungen, die im alten Postamt verhandelt wurden, ahnte Fayen nichts. Nach ihrer Abfertigung am Tor zur autarken Stadt war sie also erneut mit einem vagen Hinweis und einer unzureichenden Ausstattung unterwegs.

Sie vermisste ihren Bogen. Und den Gaul. Und ein Bett.

Norden. Nun, Arkansas lag weit entfernt, noch weiter, wenn man zu Fuß ging. Vom Schlafmangel illusioniert hörte sie schon das liebliche Röhren eines Motors, mit dessen Unterstützung sie so viel schneller dort wäre. Sogar noch pünktlich zum Monatsende.

Unwahrscheinlich, dass sie hier ein Auto finden und entwenden könnte, das etwas mehr war als reiner Schrott. Und obwohl sie dem Haufen aus selbigem längst den Rücken gekehrt hatte, wurde sie einen Teil seiner Bewohner wohl einfach nicht los.

»Soll ich dich ein Stück mitnehmen?«

Als das dröhnende Motorengeräusch so konstant wie gemächlich einen Rammbügel in ihr Sichtfeld schob, hätte sie jeder anderen Stimme mit einer böswilligen Erwiderung oder gar ihrer Waffe geantwortet. Den verrückten Jungen neben sich fahren zu sehen, war, wenn auch unerwartet, eine Erleichterung.

Zumindest das, was sie von ihm sah, denn in dieses olivgrüne Schlachtschiff hinein zu spähen, war bei ihrer Größe schwierig.

»Was machst du denn hier?«

Beat zuckte mit den Schultern, als wäre nichts offensichtlicher. »Ich hab' dich gesucht.«

»Wieso?«

Über den Antrieb seines Kahns hinweg zu rufen, war selbst ihm lästig. Er trat aufs Gas, lenkte vor ihr ein, dass sie stehen bleiben musste, und sein röhrendes Gefährt gab vorerst Ruhe. Fayen musterte den alten K30 Pick-up aus dem Hause Chevrolet. Riesig, auffällig und definitiv gestohlen.

»Ist das nicht Militäreigentum?«

Beat schnalzte tadelnd mit der Zunge. »Hey, hey, deine Waffe habe ich schon erkannt. Die hat auch nicht nur auf böse Jungs geschossen.«

Erwischt. Aber über ihren bisherigen Einsatz konnte sie auch nicht viel Gutes berichten. Gut, dass sein Blick schnell wieder zu seinem Wagen sprang, und während er erklärte, streichelte er fast schon liebevoll über die matte Lackierung.

»Über die Typen kann man wettern, wie man will, aber die haben einfach das schönste Spielzeug. Und Lorette hier ist ein Goldstück. Unverwüstliche Technik für den Einsatz im Gelände. Mit dem Schätzchen hier bleibst du nirgends einfach stecken.«

Das glaubte sie gern. Allein der Radkasten dieses Riesen reichte ihr bis zur Hüfte. Aber er war ja hoffentlich nicht gekommen, um ihr sein Auto vorzuführen.

»Also, was willst du noch?«

Da stieß seine Begeisterung für Allradantrieb und hydraulisch unterstützte Bremskraftverstärker aber schnell auf Gegenwind. Dennoch schmunzelte er über ihre unverblümte Art, mit der sie ihm bereits eine sehr unterhaltsame Zusammenarbeit in Aussicht stellte.

»Ich mag dich immer mehr. Na, ich begleite dich.«

Sie schnaubte. »Vergiss es.«

Er grinste. »Also ehrlich, ist ja nicht so, als hättest du eine Wahl.«

Was allgemein wie eine Drohung verstanden werden könnte, machte sie doch neugierig. Er hatte sie zu Urie gebracht und Roccos Anschlag wett gemacht. Laut seiner Rechnung zu Schuld und Sühne war sein Konto doch beglichen.

»Auch auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole, frage ich dich noch einmal, wieso.«

»Ist eigentlich ziemlich simpel. Du hast es in nur einer Nacht geschafft, den halben Bluff gegen dich aufzubringen, ein Banditenlager gesprengt und es auf die Favoritenliste unseres Ganoven im Rüschenhemd geschafft. Bei der nächsten Gelegenheit macht Urie dir 'nen Antrag.«

Eine charmantere Zusammenfassung ihrer kürzlich überstandenen Katastrophen hätte er nicht finden können, wenn sein nächstes Kompliment auch eher fragwürdig war.

»Du bedeutest Ärger und das ist genau das, was ich brauche. Ich suche selbst jemanden. Einen Offizier, der deinem General unterstellt ist. O'Conelly.« Beat neigte schelmisch grinsend den Kopf, als sich ihre Brauen hoben. »Was? Hast du gedacht, für mich springt nichts dabei raus, wenn ich dir helfe? Ich bin ein netter Kerl, aber nicht dämlich.«

In der letzten Nacht hatte er anderes bewiesen, aber immerhin war er ehrlich mit ihr. Und er wollte auch jetzt nicht damit aufhören. So sehr sie ihn auch darum gebeten hätte.

»Hör zu. Rocco weiß genau, wo die ihr Lager haben. Aber er hat Angst. Er hält es nicht geheim, um dir eins rein zu würgen, sondern um mich davon abzuhalten, etwas Dummes zu tun. Aber ich will dumm sein, Fayen, ich will dieses Schwein erledigen. Das will ich schon seit neun Jahren.«

Trotz allen Verständnisses für seinen Wunsch nach Vergeltung, klang das in ihren Ohren noch gefährlicher als ihr Plan. Und beim Gedanken an ihr Kennenlernen gestern, umringt von Rauch und Zerstörung, hatte sie eine böse Vorahnung.

»Und was habe ich damit zu tun?«

»Hast du gewusst, dass nach dir gefahndet wird?« Jetzt wusste sie es. »Hollister sucht längst nach dir, und damit auch O'Conelly. Die werden einfach der Schneise der Zerstörung folgen, die wir ab sofort gemeinsam hinterlassen. Finden sie dich, finde ich sie, und wir beide kriegen, was wir wollen.«

Gelassen lehnte Beat an seinem Schiff, doch weder sein Lächeln noch seine galanten Gesten minderten die Schärfe seiner Aussagen.

»Ich soll deinen Köder spielen?«

»Gewissermaßen. Aber ich verspreche dir, dass sie es nicht einmal in deine Nähe schaffen. Glaub mir, Fayen, mit mir an deiner Seite wird dir nichts passieren.«

Sein intensiver Blick aus so absurd blauen Augen machte vielleicht auf die Mädchen im Iron Maiden Eindruck. Sie ließ er kalt.

»Und du denkst, darauf verlasse ich mich blind?«

»Ich wäre besorgt, wenn es so wäre. Nach gerade mal einem Tag Bekanntschaft. Aber wir haben einen langen Weg vor uns. Ich denke, ich finde Gelegenheiten, mich zu beweisen.«

Das befürchtete sie ebenfalls. Mit einem Ziehen in der Magengegend rutschte ihr Blick bis auf seine Brust, die bereits jetzt mit den Konsequenzen seines Handelns gezeichnet war und damit ein unbestreitbarer Beweis seiner Integrität.

»Du hast mein Wort. Und meine Betty.«

Was auch immer das bedeuten sollte.

Beat ging symbolisch und tatsächlich einen Schritt auf sie zu und reichte ihr die Hand, um ihre Vereinbarung zu besiegeln. Ob nun die Sympathie für diesen verrückten Jungen an sich oder die Freude über eine Partnerschaft den Ausschlag gab, wollte sie nun nicht beurteilen. Sie sagte zu.

»Ich hab' außerdem noch etwas für dich.«

Mit diesem anhaltenden Lächeln lehnte er sich über die Begrenzung von Lorettes Ladefläche und als sie noch erwartete, eine weitere Kostprobe seines absurden Humors serviert zu kriegen, reichte er ihr ihren Bogen, und entlockte einer Fayen doch tatsächlich einen lang gezogenen Laut der Rührung.

»Paddy lässt dich schön grüßen. Er hat dieses Dingsda getauscht und ihn neu gespannt.«

Nun wusste sie, dass Gertrud nicht nur Rocco hinter ihnen her geschickt hatte. Sie holte tief Luft, biss sich auf die Lippe, um nicht noch mehr seltsame Geräusche von sich zu geben, und nahm ihre liebste Waffe entgegen. Und hegte die feste Absicht, nie mehr abfällig über seine Schwärmerei für ein Auto zu denken.

Erstaunt, aber dennoch mehr als zufrieden mit dieser Entwicklung stieg Fayen in die gute Lorette ein. Sie versank beinahe in der eigens neu gefütterten Sitzbank und lehnte sich direkt zurück, ihren Bogen zwischen ihre Knie gestellt.

Ihre Waffe. Eine Alternative zum Gaul. Und die Aussicht auf ein wenig Schlaf, während Beat sie in Richtung Arkansas fahren würde. Sie hatte absolut nichts mehr auszusetzen. Zumindest bis sie die groteske Nachbildung eines Huhns auf dem Armaturenbrett sah.

»Was, zum Teufel, ist das?«

Als hätte er nur darauf gewartet, drückte er auf das schrumpelige Hundespielzeug, das ein schrilles Quietschen von sich gab, und lächelte ihr voller Überzeugung und einer gar kindlichen Begeisterung entgegen.

»Das Alarmsirenengummihuhn.«

Oh Himmel, war sie müde.

Fayen || Outland's RustKde žijí příběhy. Začni objevovat