Kapitel 6: Die Fahrt

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• Vittorius •

„Klar", ertönt die gedämpfte Stimme meines Vampirschützlings aus der Kutsche. Dort sitzt sie schön bequem, geschützt und ist weder den ganzen Geräuschen noch der Sonne ausgesetzt. Wobei sie ein absolutes Ausnahmekind zu sein scheint, die Symptome einer akustischen und optischen Sinnesüberflutung hatte sie eben beim Beschwören der Skelettpferde schon nicht mehr gezeigt. Außerdem kann ich wahrnehmen, wie sie bereits den Vorhang beiseite geschoben hat und aus dem Fenster starrt.

So viel zu Sinnesreizen.

Ich muss echt gut auf sie Acht geben!

Ich nehme die Zügel in die Hand und gebe den Skelettpferden ihr Startzeichen. Ruckartig setzt sich die Kutsche in Bewegung und ich lenke uns über den Waldpfad zum Hauptweg durch. Der Weg ist sehr holprig, aber das bin ich gewohnt.

Vor uns liegen nun fünf Tage Fahrt und ich kann es bereits jetzt kaum erwarten, das Gesicht meines jüngsten Sohnes zu sehen, wenn er seine neue kleine Schwester das erste Mal erblickt.

• Yara •

Falls sich mir jemals die technische Forschungswelt eröffnet, erfinde ich als allererstes Federn.

Nein, nicht die Vogelfedern, sondern die aus Metall, die für die Dämpfung in Autos und Fahrrädern verantwortlich sind. Eine Stunde galoppieren wir erst durch den Wald und mir tut bereits jetzt dermaßen der Hintern weh. Ich hatte schon nach fünf Minuten die Decke zu einem Kissen zusammen gefaltet und mich draufgesetzt, aber ob in China ein Sack Reis umfällt oder ... Naja ich glaube China wird hier keinem mehr was sagen.

Aber ihr wisst was ich meine!

Nach kurzer Zeit habe ich dann auch den Umhang von Vittorius zusammen gelegt und auf mein Deckenkissen gestapelt. Nur noch in seinem Oberteil bekleidet, was wie ein Kleid bei mir aussieht, sitze ich in der Kutsche.

Nun, es dämpft nicht wirklich.

Ich spiele nun schon seit gefühlt einer halben Stunde mit dem Gedanken mich einfach hinzustellen. Bei meinem Glück knalle ich aber beim nächsten Stein, und davon gibt es sehr viele auf dem Weg, volles Brett mit dem Kopf gegen etwas Scharfkantiges und verblute elendig, bevor Vittorius überhaupt bemerkt, dass er stundenlang eine Leiche transportiert hat. Von seinen vier toten untoten Skelettpferden, die er vor sich her treibt, mal abgesehen.

Es vergeht noch circa eine weitere Stunde, dann habe ich beschlossen im Inneren der Kutsche sämtliche Fächer, oder was zumindest nach Stauraum aussieht, zu durchsuchen.

Ich beginne bei den Sitzbänken, kann man die vielleicht hochklappen? Kriege ich das unauffällig hin? Ich seufze so leise es geht, halte den Atem an obwohl ich es nicht mehr tun müsste und knie mich dann vor die Sitzbank.

Stein!

Gerade so habe ich mich noch am Sitz vor mir festhalten können. Gleich passiert sowas von ein Unfall, ich kann es förmlich hellsehen.

Die nächsten Steine befinden sich wohl noch etwas weiter entfernt, ich öffne die Sitzbank ohne weitere Zwischenfälle. Und finde ... nichts.

Großartig. Phänomenal. Weltklasse.

Die gegenüberliegende Sitzbank ist ebenfalls leer. Über mir befindet sich nur noch die Decke der Kutsche. Das war die kürzeste Suche meines Lebens und so setze ich mich wieder auf meinen Hintern. Genau genommen auf den Stapel aus Decke und Umhang, der original nichts bringt. Ich hoffe inständig, dass er nichts von meinem Problemchen mitbekommt. Was soll ich ihm sagen?

„Also aus der Welt aus der ich komme gibt's 1000x besser gefederte Autos und ich bin so ein verwöhntes Ding, dass ich mit meinem feinen Prinzessinnen Allerwertesten nicht ohne Schmerzen auf dieser ollen Bank sitzen kann", formt sich der Erklärungssatz in meinem Kopf.

Vampirkind YaraWo Geschichten leben. Entdecke jetzt