Kapitel 51: Das Gewitter

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• Yara •

„Bei Gelegenheit müssen wir uns mal über unsere Kunstwerke austauschen", sage ich enthusiastisch. Jaron springt sofort darauf an und Lucan schüttelt nur den Kopf. Ein Grinsen kann er sich trotzdem nicht verkneifen.

„Ich lade dich gerne in meine Ländereien ein. Wobei wir auch hier auf dem Balkon zusammen die schöne Landschaft malen können", entgegnet Jaron freundlich.

„Ich würde nur diese große Gewitterwolke dahinten weglassen, die stört das Bild total. Auch wenn ich gerne Gewitter beobachte", sage ich belustigt.

Lucan sieht mich mit großen Augen an. Und auch Jaron blickt überrascht zu mir rüber. Habe ich was verpasst?

„Gewitterwolke?", fragt Lucan verwundert.

„Ja? Die da hinten? Über dem Bergpass? Groß und dunkel und nicht zu übersehen?", sage ich stirnrunzelnd und zeige in die Richtung.

Schweigend sieht Lucan mich an. Und auch Jarons Blick wechselt zwischen mir und dem Bergpass.

„Dort ist keine Gewitterwolke", sagt Jaron.

Jetzt bin ich die, die irritiert dreinschaut. Lucan gibt ein Handzeichen an Mikul, der daraufhin schnell verschwindet. Auch ohne nachzufragen weiß ich, wer gleich auf der Matte stehen wird.

„Ihr seht die echt nicht?", frage ich irrtiert.

Beide schütteln den Kopf.

„Dann sollte ich da wohl hin", stelle ich fest und starre rüber zur großen dunklen Wolke.

„Nein", höre ich Lucans und Jarons Stimme gleichzeitig.

Jetzt wo ich weiß, dass nur ich diese Wolke sehe, finde ich sie auf einmal doch ziemlich merkwürdig.

„Siehst du die schon länger?", möchte Jaron wissen.

„Gestern ist sie mir das erste Mal aufgefallen", sage ich nach kurzer Überlegung.

„Was ist los?", ertönt auch schon Vittorius' Stimme direkt hinter mir. Noch bevor ich mich umdrehen kann, stützt er seine Arme rechts und links von mir am Geländer ab und schaut in die Ferne. Mein Rücken lehnt praktisch an seinem Bauch. So nah bei ihm fühle ich mich immer sehr sicher.

„Über dem Bergpass ist eine große schwarze Gewitterwolke", sage ich und zeige in die Richtung. Dann blicke ich schräg hoch um seine Reaktion besser einschätzen zu können. Sein Blick spricht Bände.

„Ihr seht die dann wohl auch nicht", spreche ich meine Gedanken laut aus. „Ich muss dahin", sage ich.

Die Anspannung von Vittorius steigt deutlich. Lucan und Jaron mustern ihn interessiert.

„Kannst du Jaron in deine Vision einladen?", fragt Vittorius.

„Das ist eine gute Idee. Lass es uns versuchen, Yara", motiviert mich Jaron.

Ich konzentriere mich wirklich sehr darauf den Geist von Jaron wahrzunehmen. Es dauert eine gefühlte Ewigkeit und alle warten geduldig.

„Ich glaube, ich kann das nicht", sage ich frustiert und blicke dann in Jarons entsetztes Gesicht.

„Oh ich glaube schon, dass es funktioniert hat", meint Vittorius.

„Kann ich euch nicht auch einladen?", frage ich den König.

„Jemanden in laufende Echtzeit Visionen einzuladen ist nahezu unmöglich und ist nur Visionsweltlern mit besonderen Maß an Visionsmagie möglich. Ich persönlich kenne nur Jaron, Kaelen und Jarons Hauptmann die das bewerkstelligen können", antwortet er mit belegter Stimme.

„Im Vergleich zu deiner Visionsintensität im Wachzustand sind meine Visionen ein Spaziergang", meldet sich Jaron zu Wort.

„Wart mal ab wenn ich dir irgendwann die Schattenebene zeigen kann", scherze ich rum.

So locker wie ich scheint es aber keiner meiner Familienmitglieder zu sehen.

• Vittorius •

„Es freut mich, dass du es anscheinend nicht als äußerst bedrohlich empfindest", sage ich zu Yara.

Wirklich, ich freue mich sehr darüber, dass sie nicht vor Angst erstarrt. Aber ich würde mir wünschen, sie hätte ein Mindestmaß an Furcht. Das bereitet mir wirklich große Sorgen.

„Eigentlich würde ich dich niemals einer unbekannten Gefahr aussetzen, aber ich fürchte, du siehst die Wolke nicht ohne Grund", entgegne ich meinem Vampirschützling.

„Dann sollten wir dorthin gehen und Nachforschungen anstellen", antwortet sie unerschrocken.

Lucan und Jaron haben absolute Ehrfurcht in ihrem Blick. Sie strahlt so unglaublich viel Mut aus.

„Lass mich kurz die Einheiten zusammenstellen und dann brechen wir auf. Kann ich mich darauf verlassen?", frage ich und werfe meinem ältesten Vampirsohn einen strengen Blick zu.

Nachdem Lucan mir glaubhaft sein Wort zusichert, mache ich mich auf den Weg.

• Yara •

„Als ob ich dich jetzt jedes Mal heimlich irgendwo hinbringe", sagt Lucan augenrollend als der König weg ist.

„Komm, verübeln kannst du's ihm nicht", entgegne ich lachend.

Fragend sieht Jaron uns an. Kurzerhand erzählen wir ihm, dass Lucan und ich uns erst jüngstes dem Befehl des Königs widersetzt haben. Sanft legt Jaron seinen Arm um meine Schulter und schiebt mich weg von Lucan und zurück in die Wohnhalle.

„Schwesterherz ich passe auf, dass unser böser Bruder dich nicht nochmal zu Ungehorsamkeit anstiftet. Lucan ist wahrlich ein schlechter Einfluss!", sagt er lachend.

Kaum hat Jaron das ausgesprochen, hakt sich Lucan in meinem Arm ein und sieht mir eindringlich in die Augen.

„Hör nicht auf ihn", entgegnet Lucan belustigt und versucht Jarons Arm von meiner Schulter zu lösen. „Ich war zuerst hier kleiner Bruder, such dir deine eigene kleine Schwester", versucht Lucan amüsiert den armen Jaron abzuschütteln.

Das geht noch so weiter bis Vittorius endlich wieder in die Wohnhalle zurück kehrt. Kurz hält er inne und beobachtet den Geschwisterstreit.

„Hilfe?", sage ich spielerisch in Vittorius Richtung, nachdem er bemerkt, dass Lucan und Jaron meine Arme in Beschlag genommen haben.

Eine Sekunde später hänge ich in Vittorius' Armen und blicke in die schockierten Gesichter meiner beiden Vampirbrüder.

„Yara ist eure Schwester und kein Spielzeug", sagt er belustigt.

• Vittorius •

Nach unserem ausgelassenen Machtspielchen machen wir uns auf zum großen Gebirgspass. Mikul führt seine Spezialeinheit an und formiert sie um uns herum. Yara sitzt auf meinem Skelettpferd direkt vor mir. Mit einem Arm drücke ich ihren Körper an meinen und mit dem anderen Arm lenke ich das Skelettpferd. Lucan, Jaron und Isajah reiten dicht bei uns.

Es dauert einen Moment, dann erreichen wir den Fuß des Berges.

Mein mutiger Vampirschützling schaut furchtlos an der Bergkette hoch. Jaron sieht da schon weniger gelassen aus.

Sachte steigen wir ab und die Skelettpferde verschwinden wieder in schwarzem Rauch.

„Da muss ich hoch", meint Yara und fixiert weiterhin die Wolke, die nur sie und Jaron sehen können.

• Yara •

Fragend sehe ich dem Vampirkönig in die Augen. Ich sehe auch ohne seine Gedanken lesen zu können, dass sämtliche Fasern seines Körpers ‚Nein' rufen.

„Mein König?", frage ich fordernd.

Grimmig sieht Vittorius mich an.

Vampirkind YaraWo Geschichten leben. Entdecke jetzt