Kapitel 33: Abwehr und Vorbereitung

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• Yara •

„Stell dir bitte einen leeren kleinen Raum für Übungszwecke vor. Er kann wirklich schlicht gestaltet sein. In der Szene selbst üben wir dann statt des Einladens in den Raum explizit das Ausladen. Weitere Anweisungen gebe ich dir, sobald du an diesem Schritt angelangt bist. Nun projiziere den Raum", sagt Visionsmeister Kaelen und beginnt somit umgehend meine zweite Visionsmagie Stunde.

Kaelen ist offensichtlich ein Mann der schnell und ohne Umwege zur Tat schreitet.

Ich schließe brav meine Augen und bin wenig später in einem kleinen weißen Raum mit hellem Boden. Willkürlich denke ich an einen kleinen Schlossturm, in den ich mich vor Vittorius verschanze. Sehr aufwändig war das bisher noch nicht. Eine leichte Anstrengung neben meinem Magiemuskelkater spüre ich trotzdem.

„Nun wird König Vittorius am Rande deines Raumes stehen und um Einlass bitten. Deine Übung für heute ist es, ihm den Zugang vollständig zu verwehren", erklärt Kaelen sachlich.

Vor meinem geistigen Auge sehe ich den König praktisch schon vor meiner Gedankenraumtür stehen. Wobei das vielleicht die falsche Umschreibung ist, es ist eher so, dass er kurz davor ist einbrechen zu wollen.

„Stell dir nun Abwehrmaßnahmen vor. Diese können unterschiedlich aussehen und du musst deine Methode für dich selbst finden", führt Kaelen seine Erklärung weiter aus.

Gedanklich stelle ich mir vor, wie sämtliche Zugänge hermetisch abgeriegelt werden. Fenster mit milchigem Panzerglas, eine Stahltür und verstärkte Wände und Böden. ,Du kommst hier nicht rein', frohlockt meine innere Stimme amüsiert. Ich fühle mich wie eine Security Person, die den Zugang zur Gedankenparty überwacht.

Um Haaresbreite hätte ich fast laut gelacht bei dem Gedanken, wie Vittorius stockbesoffen mit einer Pulle Whiskey pöbelnd am Eingang steht.

„Konzentriere dich, Prinzessin", ermahnt mich Meister Kaelen, der sofort meine Unaufmerksamkeit bemerkt.

Ja ja, ist ja gut. Ich hoffe inständig, er hat das Bild des betrunkenen Vampirs nicht gesehen. Und wenn doch, dass er einfach für immer stillschweigend in sich hineinlacht, anstatt es dem König unter die Nase zu reiben.

Schnell schiebe ich das Trunkenbold Bild beiseite und stelle mir erneut den sicheren Raum vor und wie ich ihn nun verteidigen werde.

Ein Wandabschnitt meines Schlossraumes bekommt plötzlich Risse und der Putz bröckelt langsam aber stetig ab. Ich glaub's ja wohl, Vittorius versucht gerade in meine Vision einzubrechen! Vollkommen erbost stelle ich mir Reparaturmaßnahmen an meinem geistigen Schloss vor. Den Gedanken an Rissfüller Paste und einem Spachtel verwerfe ich direkt, stattdessen stelle ich mir vor, wie sich die Risse von Geisterhand wieder zusammensetzen.

Äußerst verblüfft betrachte ich, wie die Risse sich tatsächlich zurück ziehen. Ehrlich gesagt hätte ich jetzt nicht damit gerechnet, dass das so einfach klappt.

Eine Pause wird mir allerdings nicht vergönnt. Der nächste Teil der Wand droht praktisch schon einzustürzen. Wie schnell ist dieser Mann bitte? Kann er nicht mal etwas langsamer machen?

Geistig haste ich zur Wand und führe auch hier die Geisterreparatur durch. Am liebsten würde ich direkt aufhören, unter einer spaßigen Lehreinheit stelle ich mir definitiv etwas anderes vor, als von Wand zu Wand zu hetzen und diese notdürftig zu reparieren.

„Bleib bei der Sache, Prinzessin", nehme ich Kaelens Stimme wieder wahr.

‚Herrgottnocheins ist ja gut', gibt meine innere Stimme heimlich mit überaus genervtem Tonfall als Antwort.

Ein lauter Knall ertönt und es fliegt ein ziemlich großer Brocken aus dem nächsten Wandteil quer durch meinen inneren Schlossraum. Reflexartig weiche ich aus, sonst hätte ich den Brocken voll ins Gesicht bekommen. Oder wäre er durch mich hindurch geflogen? Ausprobieren will ich das jedenfalls nicht!

Unter größter Anstrengung füge ich den Brocken zurück in die Wand.

Und so geht das immer weiter. Bereits nach guten 15 Minuten fühle ich mich wirklich äußerst erschöpft und ich komme kaum noch mit der Reparatur hinterher. Vor meinem geistigen Auge sinke ich in meinem Gedankenschloss zu Boden und keuche vor mich hin.

„Ich brauche eine Pause", sage ich schließlich mit angestrengter Stimme. Als er locker lässt, atme ich erleichtert auf.

„Aaru abwehren zu können wird noch einiges an Übung benötigen, aber bisher schlägst du dich besser als erwartet", lobt mich Meister Kaelen zufrieden.

Besser als erwartet? Vittorius muss nur ein Quäntchen mehr Kraft gegen meine gedankliche Wand aufbringen und der Raum ist für immer Geschichte. Ich bin eher frustiert als stolz.

Nach einer kurzen Pause begebe ich mich zurück zu meinem gefühlten Trümmerfeld und stabilisiere es wieder.

„Kann weitergehen", sage ich.

Langsam aber kontinuierlich beginnt Vittorius wieder meine gedankliche Mauern abzutragen. Das ist dermaßen anstrengend, die Versuchung ihm einfach Einlass zu gewähren und dass dann alles egal ist, ist ziemlich groß. Ich habe allerdings die Befürchtung, dass das nicht der beste Plan gegen Aaru ist. Kann dieser Mann nicht einfach aus versehen von einem Klavier zerquetscht werden?

„Konzentration!", hallt Kaelens Stimme über die Szenerie. Fast hätte ich mit den Augen gerollt, konnte mich aber zurück halten. Kaelen mag zwar blind sein, aber auf Visionsebene gehe ich lieber auf Nummer sicher.

Innerlich reiße ich mich am Riemen und halte akribisch meine gedanklichen Wände weiter instand. Der König hat in seiner Intensität deutlich nachgelassen, vermutlich wäre er sonst durch die Wand gebrochen und die Übung zur Abwehr wäre beendet.

Das geht nun mit ein paar kurzen Pausen noch eine gute Stunde so weiter. In der letzten Minute dauert es dann nicht lange, dann hat Vittorius auch schon die Wand mit Leichtigkeit durchbrochen.

• Vittorius •

Mein Vampirkind tut mir schon etwas leid. Sie hat absolut keine Kraft mehr an den Abwehrfähigkeiten zu arbeiten, beißt sich aber zähneknirschend tapfer durch meine gedanklichen Einbruchsversuche durch.

Letztendlich durchbreche ich Yaras Gedankenraum und kann nun um ein Leichtes in ihre Vision eintreten. Hätte ich es von Anfang an darauf angelegt, wäre ich natürlich schon beim ersten Versuch in ihrem Gedankenraum gewesen.

Meister Kaelen will gerade zu einem Kommentar ansetzen, doch ich unterbreche ihn vorher.

„Ich glaube, Yara hat für heute genug Abwehrtechnik trainiert", sage ich mit mildem Ton.

Kaelen hätte sie am liebsten noch weiter über ihre Grenzen gebracht. In Anbetracht, dass Magie komplett neu für sie ist, halte ich es jedoch für das Beste, die Einheit jetzt zu beenden. Kaelens Blick signalisiert mir, dass er meine Beweggründe nun auch verstanden hat.

Zufrieden beendet Kaelen die Stunde für heute. Nach einem weiteren Lob verabschiedet er sich und zieht sich vorerst in sein neues Gemach zurück. Nachdem wir für das Abbrennen seines Hauses verantwortlich sind, hat er es sich recht schnell hier bequem gemacht. Die neue Lehrmeister Herausforderung scheint ihm ebenso gelegen zu kommen. Vermutlich bringt das etwas frischen Wind in seinen Alltag.

Offensichtlich findet er sich bereits ausgezeichnet selbst zurecht. Ich bewundere seinen Umgang mit seiner Blindheit. Nun, ihm bleibt ja auch nichts anderes übrig. Wobei ihm die Erd- und Luftmagie natürlich bei der Orientierung dienlich ist.

Aber nie wieder ein Buch lesen zu können oder in das Gesicht der liebsten Personen sehen zu können ...

„Magst du dich wieder ein wenig zur Ruhe legen?", frage ich mein Vampirkind, nachdem Kaelen den Raum verlassen hat. Die Anstrengung der Einheit sieht man ihr deutlich an.

„Ja, gerne", antwortet sie knapp und erhebt sich träge vom Sessel.

Gemeinsam gehen wir zurück in den privaten Bereich. In der Wohnhalle trennen sich dann unsere Wege, sie begibt sich müde ins Schlafgemach und ich gehe ins Regierungszimmer.

Ich hoffe sehr, sie ist fit genug für unseren Isajah Plan am heutigen Abend. Bereits jetzt liegt mir bei der bloßen Vorstellung ein schelmisches Lachen auf den Lippen.

Vampirkind YaraWo Geschichten leben. Entdecke jetzt