Kapitel 40: Wilde Verfolgungsjagd

1.4K 89 3
                                    

• Lucan •

Meine kleine Vampirschwester macht mir gerade mein Luftelement streitig. Nicht einmal ich habe den Luftsprung beim allerersten Versuch so gut wie sie hinbekommen.

Und wie sie ihn hinbekommt!

Weder mit zu viel noch zu wenig Luft schnellt sie gemächlich in die Höhe. Meine ‚Blatt im Wind' Metapher hat soebend eine komplett neue Dimension erreicht.

Als ob die Schwerkraft für sie ausgeschaltet ist, gleitet sie durch die Luft und schwebt praktisch sachte auf den ersten Felsvorsprung.

Überrascht sieht sie mich an. Ich weiß nicht, wer mehr darüber erstaunt ist, sie oder ich.

• Yara •

Die Luft trägt mich wie selbstverständlich in die Höhe und ich sehe den Boden unter meinen Füßen schwinden. Ich fühle mich wie eine Schneeflocke im lauen Lüftchen umhertreiben. Nur etwas schneller, so sehr kann selbst ich nicht die Schwerkraft austricksen. Erstaunt gleite ich durch die Luft und lande gekonnt auf dem Felsvorsprung.

Das hier ist wieder so ein Smartphone Moment, zu gern hätte ich diesen Gesichtsausdruck von Lucan festgehalten.

Wortlos starrt er mich an, unfähig einen laut hervor zu bringen.

Ich bin so sehr begeistert vom entspannten Sprung durch die Luft, dass ich es direkt wiederhole. Und wieder. Und wieder.

Das fühlt sich so unglaublich gut an, dass könnte ich den ganzen Tag machen! Der Parkour den Lucan kreiert hat ist nichtmal ansatzweise eine Herausforderung. Enthusiastisch springe ich von Fels zu Fels und lande letztendlich wieder neben Lucan. Aus Spaß an der Freude baue ich sogar Saltos ein!

„Kannst du die höher machen?", frage ich begeistert.

„Sicher doch", unterbricht er seinen wortlosen entsetzten Blick und widmet sich dem Felsenfeld. Er mustert mich und fängt plötzlich an breit zu grinsen. Mit etwas mehr Anstrengung im Gesicht formt er das Felsenfeld zu einer wirklich hohen Felsenschlucht um. Ungläubig sehe ich am Fuße des nächsten Felsens hoch. Da soll ich hoch?

Mit einem gekonnten Sprung hebt Lucan ab und landet auf dem gigantischen Felsen.

„Wo bleibst du denn?", stachelt er mich spöttisch an. Ok das funktioniert, ich bin auf dem Weg!

Ich sammle allen Mut zusammen, nehme die Luft wahr, kontrolliere sie und springe erneut in die Luft. Mit leicht weichen Knien lande ich neben Lucan auf dem Fels. Anerkennend lächelt er mich an.

„Das ist doch noch ganz schön hoch", bemerke ich und blicke den Felsen hinab. Gute Zwölf Meter. Ein mulmiges Gefühl bleibt neben dem ganzen Adrenalinkick dann doch noch.

„Du wirst dich schnell daran gewöhnen", sagt Lucan und legt mir beruhigend seinen Arm um die Schultern.

„Also pass auf", fängt er seinen Satz an und dreht uns zum großen Schluchtfeld.

„Wir springen jetzt ein wenig von Fels zu Fels. Ich bitte dich auch von kleinen zu großen Felsen und ungekehrt zu springen, so bekommst du ein besseres Gefühl für Höhen und Tiefen. Wenn du dich damit wohl fühlst, fangen wir mit einer weiteren Überraschung an", beendet er seine Anweisung mit einem vorfreudigen Grinsen. Was auch immer er vor hat, ich ahne nichts Gutes!

Und schon hat er mich losgelassen und steht auf dem nächsten Felsen.

„Komm", fordert er mich auf und streckt zur Geste seine Hand nach mir aus.

Dieses Mal minimal sicherer lande ich wieder neben ihm. Und schon ist er wieder auf dem nächsten Felsen. Nach der 13. Felsenverfolgung halte ich inne.

„Brauchst du eine extra Einladung?", lacht Lucan vor sich hin.

Gekonnt lande ich auf dem Felsen neben ihm. Damit hat er nicht gerechnet. Die Anweisung war, ihm zu folgen. Sein Blick ist herrlich.

„Widersetzt du dich gerade meinem Befehl?", will er herrisch wissen. Spielerisch verschränkt er Lehrmeisterhaft seine Arme vor der Brust. Süffisant lächelt er in sich hinein.

„Du hast nur gesagt ‚komm', nicht wohin", stelle ich schelmisch fest.

„Na wenn das so ist, können wir direkt mit meiner Überraschung starten", beginnt er seinen Satz und springt dann schnell neben mich. Mit seiner rechten Faust berührt er sanft meine linke Schulter.

„Wir spielen fangen, du bist", sagt er lachend und macht einen Satz zum nächsten Felsvorsprung.

„Das ist ja wohl unfair, deine Fähigkeiten sind ein paar Jahre voraus!", rufe ich ihm nach.

„Wohl eher Jahrhunderte", korrigiert er mich. Instinktiv rolle ich wieder mit den Augen. Lachend macht er provokante Gesten.

Angeheizt nutze ich die mittlerweile um einiges mehr vertraute Luft und nehme die Verfolgung auf. Natürlich hängt er mich immer ab. Und um noch Genugtuung dabei zu empfinden, wartet er immer kurz bevor ich da bin. Wenn sich irgendwann mal eine Gelegenheit ergibt, räche ich mich an ihm! Ich schwör's!

Den restlichen Nachmittag jage ich ihm noch so nach. Die Sonne nähert sich langsam dem Horizont.

Sachte lande ich wieder neben Lucan, er ist Zentimeter vor mir, dann stößt er sich wieder in die Luft ab.

Wie aus dem Nichts schießt Vittorius zwischen den Felsen hervor und reißt Lucan in der Luft mit sich. Lucan hat ihn in der letzten Sekunde noch bemerkt, dann war's allerdings bereits zu spät. Rasend schnell bewegen sie sich auf eine Felsenwand zu. Im Flug dreht Vittorius sich und kommt mit seinen Füßen seitlich stützend an der Wand auf. Die absolut schnelle Geschwindigkeit federt er in den letzten Sekunden gefühlt von 100 auf Null in Null Komma nichts ab. Erneut stößt er sich ab, so als wäre die Wand nur eine Zwischenplattform und kommt neben mir zum Stehen. Sanft entlässt er Lucan aus seinem Griff.

„So fängt man jemanden", höre ich Vittorius Stimme. Eindringlich sieht er mich an. Lehrmeisterhaft verschränkt auch er seine Arme vor der Brust. Amüsiert wandert sein Blick zwischen uns her.

„Ja das kann ich auch, ich wollt nur, dass Lucan sich nicht schlecht fühlt, deswegen habe ich das nicht gemacht", entgegne ich spöttisch.

Grinsend schnellt Vittorius auf mich zu.

„Ich hoffe du bist schwindelfrei", fragt er belustigt. Dann zieht er mich in seine Arme und drückt mich fest an seinen Oberkörper.

„Du bist", sagt Vittorius zu Lucan und setzt dann zum Sprung an.

In Vittorius Armen ist das Schluchtenfeld sehr schnell hinter uns gelassen und wir kommen auf einem naheliegenden Dach zum stehen. Amüsiert bemerkt er, wie Lucan uns bereits dicht auf den Fersen ist. Blitzschnell springt er weiter und es spielt sich eine wilde Verfolgungsjagd zwischen Lucan und Vittorius ab. Und ich bin mittendrin! Das ist der Wahnsinn!

Mir fällt es zunehmend schwerer mich zu orientieren, es ist übermäßig anstrengend die Bewegungen zu verfolgen. Der König zieht das gleiche ab wie Lucan mit mir. Kurz bevor er ihn zu fassen bekommt, ist er auch schon wieder weg.

Ich versuche mich gegen Vittorius zu stemmen, aber sein eiserner Griff verhärtet sich nur.

„Willst du etwa fliehen?", möchte Vittorius belustigt wissen.

„Aber hallo, ich muss doch auf der Seite meines Bruders stehen und euch eure Flucht vor ihm erschweren", sage ich amüsiert und werfe mich mit aller Kraft gegen seine Arme. Die rühren sich natürlich keinen Zentimeter.

„Da musst du schon eine bessere Taktik aufbringen", stellt er lachend fest.

„Oh da fällt mir direkt etwas ein", kommt mir plötzlich eine Idee.

Hoffentlich gibt das keinen Ärger, aber Vittorius spricht ja immer davon, dass er im Notfall reagieren kann.

Schauen wir mal, was es wird. Erfolgreicher Plan oder Notfall?

Vampirkind YaraWo Geschichten leben. Entdecke jetzt