Kapitel 74: Ankunft in Lerchenheim

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• Yara •

Bei meinem morgendlichem Ritual habe ich mir genau die Zeit genommen, die ich brauche. Nach 20 Minuten gehe ich bereit in die große Wohnhalle.

Ein reger Trubel zieht sich durch die privaten königlichen Gemächer. Nach und nach wünschen mir meine Vampirbrüder einen guten Morgen. Derya und Valerie sind auch schon wach und kommen freudig auf mich zu.

Derya ist bereits voller Tatendrang, Valerie sieht eher noch müde aus. Ich gehe jede Wette ein, dass Valerie sich nochmal hinlegt, wenn wir aufgebrochen sind. Ich brauche nicht nachzufragen um zu wissen, dass die beiden sicherlich hier bleiben sollen. In die Nähe eines Schattendämons würde ich auch keine geliebten Personen mitnehmen wollen. Aber alleine gehen steht hier sowieso nicht zur Debatte.

„Yara, du musst mir unbedingt alles haargenau berichten wenn du wieder da bist!", platzt es aus Derya heraus. Freudig zieht sie mich in eine feste Umarmung. Sie hat wirklich viel Kraft, ich sollte ihr definitiv mehr Frauenpower Selbstbewusstsein einflößen. „Aber sei bloß vorsichtig", wirft Valerie leicht besorgt ein. „Ach ich glaube so schnell kriegt niemand unsere neue Freundin unter", winkt Derya die Sorgen von Valerie ab. Sonderlich überzeugen tut sie dies allerdings nicht.

„Ich muss euch mein Vampirkind nun leider entwenden", höre ich Vittorius' Stimme direkt hinter mir.

Ich habe seine Ankunft gar nicht bemerkt. Wie macht dieser Mann das nur?

Behutsam legt er seine Hände auf meine Schultern und verabschiedet sich von den beiden Frauen. Dann hebt er mich in seine Arme und wir gehen über das Regierungszimmer zum Balkon. Schon ziehen die Dächer der Stadt in schneller Geschwindigkeit unter uns weg. Einige Luftsprünge später landen wir vor einer großen Karawane voller mehr oder weniger prunkvollen Kutschen.

Ein geschäftiges Treiben verstaut die letzten Gepäckstücke und Lagerzelte. Die ersten Einheiten finden sich bereits in den Kutschen ein und einige sitzen bereits fertig gesattelt auf ihren Skelettpferden und warten auf den Startschuss.

Wer diese Karawane überfällt ist auch echt selber Schuld an seinem Tod.

Jaron und Sorin sammeln mich beim König ein und bringen mich zur königlichen Kutsche. Gemeinsam nehmen wir dort Platz.

„Unsere Brüder verteilen sich bisauf Isajah in den restlichen Kutschen. Isajah fährt unsere Kutsche, aber wir wechseln ihn ab, keine Sorge. Der König wird dann gleich zu uns kommen, sobald wir starten können", klärt Jaron mich auf.

Ich fühle mich wie auf einem richtigen Abenteuer und bin richtig gespannt auf die nächsten Tage. So etwas aufregendes hätte ich im Leben nicht in meiner alten Welt erlebt.

Geduldig warte ich in der Kutsche. Die Gespräche im Hintergrund verstummen allmählich und dann betritt Vittorius auch schon die Kutsche. Wenig später setzen wir uns in Bewegung.

„Ungefähr Drei Tage werden wir mit ein paar Pausen unterwegs sein. Vor Ort ist alles geregelt, du wirst mit Jaron und Sorin an deiner Seite deiner Vision in Ruhe nachgehen können", klärt mich Vittorius nun knapp auf. Mit der ganzen Situation mich mitzunehmen ist er anscheinend nicht sehr glücklich. Jedenfalls entnehme ich dies seinem Tonfall.

Den ganzen Schlachtplan verschweigt er mir bewusst, auf Nachfrage entgegnet er nur, dass ich mich darum nicht kümmern brauche. Dann ist das Gespräch darüber ganz offensichtlich beendet. Meine Brüder werfen mir ein mildes Lächeln zu.

Während der Fahrt über plaudern wir dann ein wenig. Zumindest Jaron, Vittorius und ich, Sorin ist absolut schweigsam und lehnt mit geschlossen Augen an der Kutschwand an.

Nach einer halbstündigen Pause an einem kleinen See legt der König in der Kutsche seinen Umhang über meinen Schultern.

„Selbst mit ausreichend Kleidung ist dein Körper ziemlich kühl", stellt er sachlich fest und fühlt dabei meine Wangen und meine Hände. Kälteempfinden an Frauenhänden zu messen ist auch nicht die klügste Entscheidung, aber ich halte mich zurück. Eigentlich finde ich es sehr bequem unter seinem Umhang und ich fühle mich immer geborgen.

Der König hat sogar etwas an den Sitzpolstern machen lassen, bisher sitze ich die letzten Stunden der Fahrt sehr gemütlich. Wohlwissend und zufrieden hat er mich vorhin schon angelächelt.

Langsam setzt sich die Kutsche wieder in Bewegung. Derweil haben Jaron und Isajah den Platz getauscht. Freundlich lächelt Isajah mir zu.

Mit einem breiten Grinsen holt Vittorius einen faustgroßen Stein aus der Tasche.

„Wir wollen ja nicht, dass dir noch langweilig wird auf der Fahrt", sagt er und überreicht mir den Stein. Selbstgefällig holt er einen zweiten Stein hervor und lässt ihn über seiner Handfläche schweben.

„Du hast noch ein Defizit aufzuholen", verkündet der König streng den Beginn einer kleinen Lehreinheit. Seinem Mundwinkel nach zu urteilen gefällt ihm der Zeitvertreib aber sehr.

Ohne große Mühe nehme ich wie üblich die Struktur und die Oberfläche des Steins wahr. Bewegen tut er sich allerdings immer noch keinen Zentimeter.

„Erstaunlich dass du den schweren Teil ohne Probleme meisterst, aber dir der leichte Teil nicht gelingt", stellt Isajah verblüfft fest.

„Ja ich versteh's auch nicht", entgegne ich und wiege den Stein in meiner Hand hin und her.

Sogar Sorin beäugt mich nun bei der Erdmagie.

Ich stelle mir wirklich alles mögliche vor, was man machen muss, um einen Stein mit der Macht der Erde anheben zu können. Es fühlt sich auch nicht so an, als würde mir ein logischer Schritt fehlen. Vielmehr ist es so, dass ich den Stein einfach nicht bewegen kann, komme was wolle. Es ist, als ob mir was entschiedenes fehlt und ich habe keinen Schimmer, was das sein könnte.

Die nächste Fahrtzeit tauschen wir uns noch über Erdmagie aus und Sorin lehnt wieder lässig mit geschlossenen Augen an der Kutschwand an. An seiner Körperhaltung merke ich aber, dass er unserem Gespräch interessiert lauscht. Vielleicht hat er ja irgendwann mal Tipps für mich zum Thema Erde. Aber so verschlossen und unnahbar wie er immer ist, frage ich ihn besser wann anders.

So vergeht die Reisezeit trotz drei langer Tage wie im Fluge. Weitergekommen bin ich mit der Erdmagie nicht wirklich, außer dem Radius in dem ich die Erde wahrnehmen kann, hat sich nichts verbessert.

Endlich kommen wir am Zielort an. Zumindest hält die Kutsche an und alle setzen sich in Bewegung.

Mikuls und Roans Einheit bauen in schnellem koordiniertem Tempo das Basislager auf. Ein paar Schlafzelte, ein königliches Zelt mit Abteilen für unsere Vampirfamilie, ein Lagerzelt und zwei Besprechungszelte.

In das Besprechungszelt ziehen sich die wichtigen Leute der Einheit zurück und koordinieren die nachkommenden Erkundungsstunden.

Gespannt schaue ich mir über den Zeltplatz hinweg die Gegend an. Die große Lichtung des Waldes sieht ziemlich idyllisch aus, denkt man sich die Kriegszelte weg. Um uns herum erstreckt sich ein kleiner Wald, von hier aus sieht man zwischen den Bäumen aber die Kontur des Dorfes Lerchenheim am Horizont. Auf der anderen Seite beginnt eine größere ziemlich hohe Bergkette. Sie ist höher als die bei der Stadt von Vittorius.

„Da müssen wir hin", sage ich zu Jaron und Sorin, die artig auf mich Acht geben. Der Blick der beiden richtet sich auf die Bergkette. Dann werfen sie sich einen Blick zu. Sorin verschwindet ohne ein Wort zu sagen und kommt wenig später mit dem König zurück.

„Die Bergkette also?", fragt er.

„Ja", antworte ich ohne mein Blick von dort abzuwenden. Meine Intuition sagt mir sehr deutlich, dass wir genau dort hin müssen. Und nicht nur meine Intuition.

„Dort befindet sich kein Verdachtspunkt und auffällig war dort auch nichts laut Roan", meint Jaron zum König. Beide sehen sich einen Moment lang an und scheinen nachzudenken.

„Bist du dir sicher?", richtet Vittorius wieder sein Wort an mich.

Dann schaue ich ihm direkt in die Augen.

„Ich kann die Dunkelmagie dort spüren", betone ich. „Sie zieht mich praktisch in die Gebirgskette. Und die Anwesenheit von einer Ansammlung von Dunkelmagie nehme ich deutlicher als alles andere wahr", bekräftige ich meine Aussage.

Überrascht sieht mich der König an.

Dann geht er wortlos zurück von wo auch immer Sorin ihn hergeholt hat.

Vampirkind YaraWo Geschichten leben. Entdecke jetzt