Kapitel 7: Unerwartet schnell vorbei

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• Yara •

Eben noch gestand ich so ehrlich ich konnte meine Schmerzen und hoffte, mit Ehrlichkeit punkten zu können.

Im nächsten Augenblick befinde ich mich in den Armen von Vittorius. Und wir stiegen aus der Kutsche.

Ich gebe mir wirklich Mühe mit meinem Pokerface, die Tränen kann ich immer noch gleich vergießen, wenn er mich am Waldrand zurück gelassen hat und alleine in sein edles Vampirkönig Leben zurück kehrt.

‚Tschö mit Ö', verabschiedet sich auch meine innere Stimme vom kurzen Abenteuer.

Im nächsten Moment sehe ich den Wald ungefähr 1,5 Meter höher als gerade noch.

Äääh?

Wir befinden uns auf der Kutsche. Genau genommen da, wo der Kutschenfahrer sitzt und seine (Skelett-) Pferde führt. Er lässt sich nieder und macht es sich bequem. Dann nimmt er die Decke von seiner Schulter und wickelt den unteren Teil meines Körpers ein. Ich sitze nun seitlich auf seinem Schoß und er drückt meinen Oberkörper an seinen.

Bei Gott, diese Muskeln! Und sein Geruch!

„Der Fahrtwind ist ziemlich kühl, ich hoffe mein Umhang und meine Decke reichen als Wärmequelle. Andernfalls gibst du mir bitte Bescheid, dann hole ich noch einen meiner Mäntel, den du dann überziehen kannst", sagt er schließlich mit einem freundlichen Schmunzeln und schaut dabei leicht von oben herab auf mich runter, während ich mich mit meinem Kopf nun an seiner Brust angelehnt befinde. Hätte ich noch erröten können, wäre das einer dieser Momente.

„Euch ist das nicht zu blöd? Eine Frau die vom Himmel fällt und nichtmal ohne Beschwerden Kutsche fahren kann?", platzt es ungläubig aus mir heraus. Die Frage ist eigentlich super unklug, aber ich kann damit nicht an mich halten. Mein Pokerface habe ich eindeutig an meinen unsicheren Gesichtsausdruck verloren.

Unsicherheit.

Das beschreibt meine Gefühlslage am Besten.

Eine neue Welt, das Vampirdasein, ein Vampirkönig ... Ich fühle mich dermaßen fremd.

Vittorius legt die Zügel wieder beiseite. Dann streicht er mit seinen langen spitzen Krallen sanft über meine Wange. Dabei streicht er eine lose Haarsträhne hinter mein Ohr.

„Du bist das außergewöhnlichste Vampirkind, dass mir je untergekommen ist. Deine Fähigkeiten sind bereits jetzt jenseits von meinen üblichen messbaren Werten. Und du scheinst aus einer anderen Welt zu stammen, die andere soziale, psychische und technologische Maßstäbe hat. Seit langem habe ich neue ungeklärte Fragen mit denen ich dich gerne löchern würde. Ich kann es kaum erwarten über verschiedenste neue Themen zu fachsimpeln! Aber dein Wohlergehen und deine Sicherheit liegen mir am nächsten, also warte ich damit noch ein wenig und bringe dich erst einmal nach Hause. Du sollst deine neue Heimat kennenlernen und dich in Ruhe einleben. Und egal was du tust, machst oder nicht machst, seit dem Moment deiner Verwandlung bist du nun mein kleines Vampirmädchen und ich werde dich immer beschützen, finden und wieder nach Hause bringen, egal wo du bist oder wie weit du vor mir wegläufst. Also nein, es ist mir nicht zu blöd und das wird es auch niemals sein", spricht Vittorius die berührensten Worte, die jemals jemand zu mir gesagt hat. Nichtmal meine eigene biologische Familie hatte so ein Band zu mir, und dort mangelte es wirklich nie an Liebe. Sein Blick erfüllt mich vollkommen mit einem wohligen Gefühl.

Ich kann machen was ich will, dieser Vampir ist nun immer für mich da. Und ich kann ihm nicht mehr entkommen. Im Geiste spiele ich schon „wann bemerkt er, dass ich gerade abhaue" mit meinem Meister.

Das wird großartig.

Die Welt ist fremd, aber er wird mir helfen, die Welt zu verstehen.

„Ich ... mir fehlen die Worte", hauche ich leicht benommen an seiner Brust.

„Nun, ich vermute es wird noch genug Momente geben, in denen dir nicht die Worte fehlen werden", lockert er das Gespräch und schaut mich fies grinsend an.

„Ihr habt ja keine Ahnung", klingt meinerseits auch mehr wie eine Drohung, als wie Spaß.

Vittorius lacht herzhaft.

„Ich bin wirklich sehr gespannt", entgegnet er, dann drückt er mich wieder näher an seine Brust, nimmt die Zügel in die Hand und mit einem Ruck nimmt die Kutsche wieder an Fahrt auf.

Schon besser.

• Vittorius •

Nach meinem Empfinden ist das Band zwischen Yara und mir nun auf ein einzigartiges Level gestiegen. Zu all meinen Söhnen habe ich auch eine wirklich sehr enge Verbindung und wenn bei einem etwas ist, wäre ich sofort zur Stelle.

Bei Yara ist es anders. Sie ist so viel mehr als nur mein Vampirkind.

So eine große Erleichterung wie nach diesem Gespräch eben, habe ich seit langem nicht mehr gefühlt. Der Basis Grundstein ist gelegt, ab jetzt können wir auf diesem alle möglichen Höhen und Tiefen des Vampirdaseins durchleben.

Meine Herrn, heute bin ich aber sentimental. Nun, man verwandelt auch nicht alle Tage ein kleines Menschenwesen in einen Vampir.

Yara vergräbt ihren Kopf ein wenig an meiner Brust. Es dauert etwas, dann hat sie sich an den Fahrtwind gewöhnt. Entspannt ruht sie nun in meinem Arm und begutachtet die Gegend.

Mein Beschützerinstinkt könnte nicht besser gestillt sein.

„Geht es jetzt etwas besser?", erkundige ich mich nach ihren Wohlbefinden. Der Körperspannung nach zu urteilen, müsste jetzt ein ‚Ja' kommen.

„Oh ja viel besser. Ihr habt meinen tiefsten Dank", gibt sie zufrieden von sich. „Gut", entgegne ich ihr.

Sie scheint diese Kutschfahrt nun sehr zu genießen. Wenn sie zufrieden ist, bin ich es auch.

• Yara •

Die Schmerzen sind nach einer guten weiteren Stunde wie weggepustet. Und es gibt auch schlechtere Mitfahrgelegenheiten, als auf dem Schoß eines mächtigen gutaussehenden Vampirkönigs.

„Wir durchfahren gleich ein kleines Dorf", verkündet Vittorius.

Oha.

Der Moment auf den ich gewartet habe, ist gekommen! Im Horizont erkennt man so langsam das Ende des Waldweges. Die Sonne neigt sich langsam in Richtung Mittagsstand, Vittorius hat mir schon die Kapuze seines Umhangs über den Kopf gezogen. Gerade Jungvampire verbrennen eigentlich in der Sonne oder bekommen mindestens einen Sonnenbrand, hatte er mir vor einer halben Stunde verkündet. Der Sonnenschutz ist also nicht verhandelbar. Zu gerne würde ich ausprobieren was passiert, denn ich die Kapuze einfach wieder zurück ziehe, aber ich traue mich nicht.

Gut sehen kann ich aber trotzdem noch, also ist das halb so wild.

Weitere zwanzig Minuten später passieren wir den Waldrand und erreichen somit die Dorfgrenze. Die Kutsche fährt nun in Schrittgeschwindigkeit durch die kleinen Gassen des Dorfes. Gerade so passt die Kutsche durch die enge Hauptstraße.

„Das ist eine übliche Dorfgröße für die mittelkleinen Dörfer in meinen Ländereien. Dort leben gut 150 - 200 Personen in rund 30 - 40 Häusern", erklärt Vittorius mit wahrhaftiger Lehrmeisterstimmung.

Das Dorf hätte ernsthaft aus dem frühen Mittelalter sein können. Der Geruch erinnert mich an die Mittelaltermärkte, die ich gerne mal zu besuchen pflegte. Familien gehen dort ihren täglichen Lebensaufgaben nach. Aktuell bereiten sie ihren Hof und ihre Ernte für den Winter vor. Die Häuser stehen auch nicht alle dicht an dicht, irgendwie hat mich das eher an einen Bauernschaftszusammenschluss erinnert. Kutschen sehen die wohl nicht so oft, aber es scheint auch keine große Besonderheit für die Leute gewesen zu sein. Die Bewohner des Dorfes haben einen freundlichen Gruß beim Vorbeifahren ausgesprochen. Die Kinder winken eifrig mit ihren kleinen Händchen. Und dann geht das Dorfleben auch direkt weiter. Nichts spektakuläres. Und trotzdem habe ich so etwas in reinster Natur natürlich noch nie gesehen.

Es dauert keine zehn Minuten und schon sind wir durch das Dorf gefahren.

Vittorius ist das natürlich nicht entgangen. Die Frage scheint ihn so sehr zu beschäftigen, dass er damit nicht länger warten möchte:

„Ist es auch das erste Dorf, welches du so wie es da steht, je in deinem Leben gesehen hast?".

Vampirkind YaraWo Geschichten leben. Entdecke jetzt