Kapitel 29: Das Spiel mit dem Feuer

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• Vittorius •

Yara betritt gerade noch leicht verschlafen die große Wohnhalle und Isajah und ich gesellen uns zu ihr. Wir machen es uns bewusst vor dem lodernden Kaminfeuer bequem. Zufrieden beobachte ich meine beiden Vampirschützlinge.

Isajah strahlt über beide Ohren, seit einer Stunde kann er es kaum erwarten, dass Yara aus ihrer Mittagsruhe erwacht. Vorhin haben mein Vampirsohn und ich uns über Yaras Fähigkeiten ausgetauscht und mir ist nicht entgangen, wie gern Isajah ihr selbst Elementarunterricht geben würde.

Keiner beherrscht abgesehen von mir das Feuerelement so gut wie Isajah und sein anderer feueraffiner Bruder. Schon früher war ich erstaunt, wie natürlich er mit dem Feuer umging. Ihm vertraue ich gerne die Feuergrundlagen für Yara an. Natürlich lasse ich mir nicht entgehen, die Beiden dabei zu beobachten.

„Ich habe hervorragende Neuigkeiten für dich, Yara", beginnt Isajah aufgeregt das Gespräch.

„Oha, was kommt jetzt?", antwortet sie locker. Sie sieht noch ziemlich verschlafen aus.

„König Vittorius hat mir erlaubt, dich deine erste Stunde der Feuermagie zu lehren. Wenn du magst können wir direkt starten", kündigt Isajah an und zeigt auf das gemütliche Kaminfeuer vor uns. Mit stolz geschwellter Brust wartet er auf ihre Reaktion.

Aus einer leicht verschlafenden Yara wird direkt eine wache und hoch aufmerksame Yara. Amüsiert wechselt mein Blick zwischen den Beiden.

„Ich bin dabei", verkündet Yara.

Mit breitem Grinsen erhebt sich Isajah und deutet ihr an, zum Kaminfeuer zu kommen.

• Yara •

Ich schwöre es euch, Isajahs Begeisterung ist viel größer als meine eigene Begeisterung. Und meine Begeisterung endlich das nächste Element zu erlernen, ist schon immens hoch!

„Konzentration", ermahnt uns Vittorius, der uns vom Sessel aus zusieht.

Isajah nimmt vom Holzstapel zwei längere Holzscheite und reicht mir eins. Nun sitzen wir direkt ein Meter vor dem Kaminfeuer. Ich spüre die Wärme wohlig auf meinem Gesicht. Es fühlt sich an wie wenn man einem Osterfeuer beim abbrennen zusieht. Fehlt nur noch die Bratwurst.

„Feuer ist einerseits das einfachste, andererseits das schwerste und vorallem das gefährlichste Element", beginnt Isajah und hat dabei exakt denselben Lehrmeister Tonfall, den Vittorius an den Tag legt. Aufmerksam höre ich zu und nicke.

„Das Feuer an sich ist wild, ungezügelt und unberechenbar. Es hat keine festen Bahnen in die es fließt oder vorgegebene Richtungen in die es weht. Ich vergleiche Feuer immer mit Leben, ein Feuer ist lebendig, kannst du mir folgen?", fragt Isajah und schaut mir tief in die Augen.

„Ja", versichere ich ihm.

Nun nimmt er seinen Holzscheit und entzündet die Spitze mithilfe des Kaminfeuers. Er deutet mir, es ihm gleich zu tun. Ruhig halte ich meinen Scheit ins Feuer und eine kleine Flamme bildet sich auf der Spitze.

„Diese Flamme ist klein. Ein kleines Feuer bekommt man eher unter Kontrolle, als ein großes Feuer. Diese kleine Flamme flackert vielleicht ein wenig, wird aber nicht so stark lodern wie die große aufregende Flamme des Kaminfeuers. Die Größe des Feuers hängt davon ab, womit es entfacht wird und wie viel Feuerelement du hinein leitest", verdeutlicht Isajah und zeigt zwischen kleiner Flamme und loderndem Feuer hin und her.

Interessiert schaue ich in die kleine Flamme auf meinem Holzscheit. Je länger ich die Flamme anstarre, desto mehr verstehe ich, warum Isajah Feuer mit Leben in Verbindung bringt. Unweigerlich denke ich an den guten alten Physik- und Chemieunterricht aus der Schulzeit. Feuer benötigt Sauerstoff, fällt es mir da wieder ein. Ohne Sauerstoff kein Feuer. Ohne Sauerstoff überleben auch die Menschen und Tiere nicht. Das Leben von dieser Seite zu betrachten ist interessant. Das Lodern des Feuers eröffnet mir plötzlich eine ganz andere Perspektive.

„Um das Leben des Feuers weiter zu entfachen, muss man die Intensität des Feuers erhöhen. So wird die Flamme größer und schlägt mehr aus, das Material brennt allerdings auch schneller ab", fährt er fort und vergrößert dabei die Flamme auf seinem Holzscheit um das Doppelte.

„Du musst das Feuer verstehen und fühlen lernen, dann wirst du in der Lage sein die Flamme zu entfachen. ABER Feuer bringt neben dem Leben auch immer Zerstörung mit sich. Es ernährt sich praktisch vom Medium, dem es sein Leben entzieht. Behalte dies immer im Hinterkopf", beendet Isajah seine Erläuterung.

„Jetzt versuch die Flamme auf deinem Scheit so zu entfachen, wie ich das mit meiner Flamme tue", spricht Isajah seine Anweisung aus.

Ruhig blicke ich auf die Flamme. Das mit dem Leben hat mir ein richtiges Aha-Erlebnis gegeben, ich weiß einfach instinktiv genau was zu tun ist. Das ist wie Fahrrad fahren, wenn man es kann, kann man es und man verlernt es nicht.

Schnell erreicht auch meine Flamme die doppelte Größe, ohne dass ich mich groß anstrengen müsste.

Isajah hält überrascht inne und starrt mich fassungslos an. Vermutlich hat er nicht damit gerechnet, dass ich das so schnell schaffe oder sich mir die Logik so schnell erschließt.

„König Vittorius hat mich bereits vorgewarnt, aber es mit eigenen Augen zu erleben ist wahnsinnig beeindruckend", sagt er anerkennend.

Im Augenwinkel sehe ich, wie Vittorius vorgebeugt im Sessel sitzt und uns voller Genugtuung beobachtet. Es würde keine Sekunde dauern und er wäre bei dieser Sitzhaltung zur Stelle und könnte im Notfall eingreifen.

„Der nächste Schritt ist nach dem Entfachen das Bändigen der lodernden Flamme. Das ist deutlich schwieriger, da hier dem Feuer Einhalt geboten werden muss. Hier liegt der Punkt, hat man es erst einmal verstanden, ist es in der Theorie leicht. Die Erkenntnis zu erlangen, ist der schwerste Teil", klärt Isajah weiter auf.

Noch während er davon berichtet, versuche ich mir vorzustellen was man machen muss, um das Feuer wieder zu bändigen.

„Rein logisch betrachtet, kehrst du den Lebensprozess der Flamme um", sagt Isajah.

In Gedanken versunken was genau er damit meinen könnte, starre ich die Flamme an. Das Leben umkehren bedeutet nichts anderes als sterben, oder? Ich traue mich aber nicht die Frage laut zu stellen.

„Probiere dich einfach daran und lass dir Zeit", höre ich Isajahs Stimme durch meinen Gedankenschleier.

• Vittorius •

Die Feuermagie liegt ihr genau so gut wie die Wasser- oder Luftmagie. Isajah ist wie immer ein ausgezeichneter Lehrmeister.

Den Lebens-Umkehrprozess aber schon ins Spiel zu bringen, halte ich wirklich für verfrüht. Die Erkenntnis ist bisher noch nie Thema der ersten Einheit bei egal wem gewesen. Offensichtlich hält Isajah seine kleine Vampirschwester aber für fähig genug. Wir werden sehen.

Leicht ungeduldig beobachtet Isajah Yara dabei, wie sie die Flamme anstarrt und fieberhaft darüber nachdenkt, was es mit dem Umkehrprozess auf sich hat.

Isajah hat ein unglaubliches Erklär- und Anleitungstalent, aber an seiner Geduld muss er auch nach 998 Vampirlebensjahren noch arbeiten. Während Yara ruhig die Flamme mustert, merke ich Isajahs Ungeduld aufsteigen.

„Also bei dem Prozess ist das so, dass du", beginnt Isajah den Satz, aber Yara hebt die Hand und unterbricht ihn.

„Ich brauche Zeit, um darüber in Ruhe nachzudenken", entgegnet sie hoch konzentriert, ohne den Blick von der Flamme abzuwenden.

Ich muss mich wirklich zusammenreißen mir nichts anmerken zu lassen. Isajah mag vielleicht der beste Lehrmeister der Feuermagie sein, aber in Sachen Geduld belehrt sie tatsächlich gerade eher ihn. Nicht einmal bei mir hat er sich in Geduld geübt. Umso mehr erstaunt es mich, dass er nun schweigend neben ihr sitzt und sich um Ruhe bemüht. Offensichtlich lenkt sie das weniger ab.

Nach kurzer Zeit bemerke ich, dass sie noch etwas ausgelaugt von der Visionsmagie Einheit ist. Bis eben konnte sie das hervorragend verstecken, jetzt wo ihre volle Konzentration aber auf der Flamme liegt, bemerke ich die leichte Erschöpfung.

Isajah ist das auch aufgefallen und er will sogleich einschreiten und die Einheit für heute beenden. Unbemerkt gebe ich ihm ein Zeichen, die Einheit noch etwas hinaus zu zögern.

Erstaunt sieht er mir in die Augen. Mit einem breiten Lächeln grinse ich ihn an.

Vampirkind YaraWo Geschichten leben. Entdecke jetzt