Prolog

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Nervös knetet er den Geldschein in seiner Hand. Er presst seine dunklen Lippen  fest aufeinander und atmet mehrmals unregelmäßig und tief ein. Mittlerweile ist der Schein zerknittert und mit vor Schweiß nassen Händen glättet er ihn. Er blickt hektisch auf und sieht, dass sich die kurze Schlange vor ihm bereits um ein paar Zentimeter nach vorne bewegt hat. Sein Herz schlägt schneller und er meint zu fühlen, wie sein Puls ins Unendliche rast. Ängstlich blickt er nach hinten und dreht sich hastig wieder um, als er einen groß gewachsenen Mann ausmacht.

,,Das macht dann acht Euro und fünfundneunzig Cent bitte"

Erschrocken blickt er auf und streckt der Frau mit den viel zu roten Lippen mit zitternden Händen den Geldschein entgegen. Sein Gesicht nimmt die Farbe ihres Lippenstiftes an und er fühlt, wie ihm der Schweiß den Rücken hinabrinnt.

Es ist nur ein Einkauf. Ein stinknormaler Einkauf! Krieg dich gefälligst wieder ein!, versucht er in Gedanken, sich zu beruhigen.

Doch für ihn ist es nun einmal nichts normales, alltägliches, einkaufen zu gehen. Überall meint er, den Blick der Leute auf sich zu spüren. Wie sie ihn abschätzig mustern, über ihn tuscheln und hinter seinem Rücken auslachen. Jeder, der ihm auf der Straße begegnet hält ihn für komisch. Sie alle urteilen über ihn. Beobachten jeden seiner Schritte und merken sich all seine Fehler. Das zumindest vermittelt ihm sein Unterbewusstsein und er glaubt es sofort.

,,Danke. Kassenbeleg?"

Voller Angst blickt er die Kassiererin an und schüttelt seinen Kopf. Er schluckt.

,,Nein, danke", krächzt er und blickt sofort weg. Was sie jetzt wohl von ihm denkt? Bestimmt wundert sie sich über sein merkwürdiges Auftreten und seine krächzende Stimme.

So schnell es geht sammelt er seine Einkäufe ein, nimmt das Rückgeld mit vor Nervosität auf und ab hüpfenden Händen an und rennt schon fast aus dem hell erleuchteten Laden in die Finsternis. An der nächsten Straßenecke hält er an und lehnt sich keuchend an eine dunkelrot gestrichene Hauswand an. Noch immer schlägt ihm das Herz bis zum Hals und er kann nur schwer die Tränen unterdrücken, die in ihm aufsteigen. Er beißt die Zähne zusammen und streicht seine dunkelbraunen Haare zurecht.

Ich habe es geschafft, denkt er triumphierend. Doch bereits in der nächsten Sekunde kommen ihm Zweifel: Das ist doch nichts gutes! Was ist daran toll, dass du es geschafft hast einen Flasche Wasser und ein Haargel zu kaufen?! Das ist doch erbärmlich. Und wie du dich angestellt hast! Hast du etwa die Blicke der Kassiererin nicht gesehen?! Oder die des alten Ehepaars?! Sie alle halten dich für durchgeknallt! Du wirst niemals normal. Bist und bleibst ein Freak! Ein Freak...

Er kneift seinen Mund zusammen und  krallt seine für einen Jungen relativ langen Fingernägel in seine Handflächen bis es schmerzt. Dann stößt er sich von der Wand ab und läuft die dunkle Straße entlang zu seinem Haus. Allein die Straßenlampen weisen ihm den Weg. Alles ist menschenleer und man hört aus der Ferne Motorengeräusche. Er zittert, als ein kalter Windhauch ihn erreicht und bildet sich ein, Stimmen von diesem zu hören. Immer wieder flüstern sie das selbe. Pressen die Worte in seinen Körper bis er vergessen hat, dass sie zuvor nicht da waren. Er glaubt sie und weiß zugleich, das es eigentlich nicht stimmt. Eigentlich.
Aber die Stimmen lassen sich nun nicht mehr aus seinem Kopf drängen. Sie haben sich dort eingemeißelt. Unwiederruflich.
Du bist ein Freak. Du bist ein Nichts. Sie alle urteilen über dich, verachten dich. Das wird sich nie ändern. Freak...

Freak. (boyxboy)Where stories live. Discover now