Kapitel 47

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,,Wo hassn du deine Knarre glassn?", fragte ich kichernd und stolperte im Vorbeigehen über eine Tasche, die mitten im Weg lag. ,,Hups, aufpassen, Kleiner!", rief Elyas und hielt mich davon ab, Bekanntschaft mit dem wohl eher ungemütlichen Boden zu machen. ,,Und von was von einer Knarre sprichst, du bitte?", fragte er dann mit hochgezogener Augenbraue. Kurz musste ich überlegen, von welcher Knarre ich gesprochen hatte. Von der in seiner Hose wohl eher nicht... Da fiel es mir wieder ein: ,,Na bissdochmein Ntführer. Aber anscheinend ein sehr -hicks- billiger"

Wir traten aus dem Haus und vergleichsweise kalte Luft empfing mich. Ich zitterte vor Kälte und stellte fest, dass Alkohol und frische Luft sich wohl nichts so gut vertrugen, denn auf einen Schlag fühlte ich mich noch betrunkener. Ich blickte mich um und merkte, dass ich mich hier kein bisschen auskannte, im Gegensatz zu Elyas, der bereits ein paar Meter vorausgelaufen war. Mein Versuch, zu ihm zu rennen, scheiterte an einem Bordstein, der wie aus dem Nichts vor mir auftauchte. Kurz strauchelte ich, ruderte merkwürdig mit den Armen und fühlte, wie sich meine soeben noch senkrechte Lage langsam senkte.

Mit einem Ruck traf ich mit den Händen zuerst auf den Boden auf. ,,Autsch!", schrie ich auf und weckte somit Elyas Interesse, der sich wie in Zeitlupe umdrehte, die Situation erkannte und zu mir rannte. War ich mit dem Kopf auch aufgekommen? Oder wieso tat mir der Kopf weh? Außerdem drehte sich alles und der Untergrund könnte durchaus weicher sein. Dennoch- ,,danke fürs auf -hicks- auffangen.", nuschelte ich und tätschelte liebevoll den Asphalt. Elyas hielt mich gerade noch so davon ab, ihn zu umarmen und zog mich mit einem Ruck hoch, sodass ich eng an ihn gepresst da stand. Doch es störte mich überhaupt nicht. Im Gegenteil! ,,Ar ich muss doch dangge sagn...", murmelte ich traurig und schob meine Unterlippe vor.

Elyas Augen leuchteten belustigt auf. ,,Du hast den Boden schon gestreichelt, das muss reichen." ,,Eifersüchtig?" Er lachte und strich mir über die Haare. ,,Hast du dir weh getan?", fragte er dann mit einem Hauch von Besorgnis. Ich zeigte ihm meine aufgeschürften Handflächen und das Loch an den Knien in meiner Jeans. ,,Zum Glück nicht so schlimm, das sah echt schmerzhaft aus. Und irgendwie erinnert mich das an früher. Als wir den ganzen Tag draußen gespielt haben. Und immer hatte jemand sich verletzt..."

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,,Duhu...Elyas?", fragte ich vorsichtig und sah den Typ an, der rechts neben mir her lief. Eine Hand lag auf meinem Rücken und ich hoffte doch stark, dass sie von Elyas stammte. Alles andere wäre sehr gruselig... Die Straßen waren von den Lampen an den Straßenrändern beleuchtet und tauchten alles in gedämpftes Licht. Die Luft war klar und kalt und ich zitterte noch immer, da ich nur eine Lederjacke trug. ,,Ja, Kleiner?" Etwas in meinem Bauch kribbelte und obwohl meine Wahrnehmung leicht verzerrt war wusste ich, dass es ein schönes Gefühl war. ,,Woher wuschtestndu dassu schwul bis?" Der Blonde lächelte und strich mir über den Rücken, was auch mich zum lächeln brachte.

,,Woher ich wusste, dass ich schwul bin? Zuerst hatte ich keine Ahnung, aber als ich dann meine erste Freundin hatte merkte ich, dass etwas... nicht stimmte. Es fühlte sich falsch an. Und manchmal wünschte ich mir, dass neben mir ein Junge anstatt einem Mädchen liegen würde. Ich war sechzehn und ertappte mich selbst immer wieder dabei, dass ich anderen Kerlen hinterher sah. Nach Maras Tod"-er räusperte sich und atmete kurz durch-,,war ich immer öfter feiern und machte erste Erfahrungen mit dem selben Geschlecht. Und siehe da- es fühlte sich richtig an. Auch wenn der Richtige nicht dabei war.

 Kurzzeitig hatte ich dann erneut eine Freundin, als Tarnung, bis ich beschloss, mich nicht weiterhin zu verstecken. Doch als ich mich vor meinen sogenannten Freunden outete, begegnete mir nur Verachtung und Verspottung. Sie sagten mir, dass es falsch sei. Ich wäre widerwärtig und ekelhaft. Sie meinten, sie wollten sich nicht weiter mit mir abgeben. Und dann begannen sie, mich vor allen anderen bloßzustellen. Jeden Morgen hatte ich Angst davor, in die Schule zu gehen. Ich hatte begonnen zu glauben, was sie mir erzählten. Auch ich hasste mich selbst. Wollte nicht mehr leben. Aber das konnte ich meinen Elter nicht antun. Erik war der einzige, der in dieser Zeit zu mir stand. Er ging auf eine andere Schule als ich und konnte mich deshalb nicht verteidigen- nicht, dass ich das zugelassen hätte. Er baute mich auf und zeigte mir, das an schwul sein nichts falsch war. Ich fand einen Freund, mit dem ich allerdings nur kurz zusammen war. Es passte einfach nicht. Dann erzählte ich es meinem Vater. Und den Rest kennst du ja.", schloss er mit leiser Stimme die Erzählung. Ohne es zu merken hatte ich begonnen zu weinen. Ich wollte nicht, dass es Elyas so schlecht gegangen war. Ich hätte für ihn da sein müssen.

,,Grey, schau mich Mal an", flüsterte Elyas und hob mein Kinn so, dass ich ihm direkt in die dunklen Augen blickte. Er wischte meine Tränen weg. ,,Ich weiß, wie es ist, sich selbst zu hassen. Wenn man das Gefühl hat, bald zusammenzubrechen und nicht mehr aufstehen zu können.  Und ich weiß, dass es auch dir gerade nicht so gut geht. Aber schau Mal mich an: Ich hatte so oft an den Tod gedacht. Zum Glück habe ich es nicht getan... Mir wäre all das hier entgangen. Auch wenn das Leben einem manchmal hoffnungslos vorkommen mag, es gibt immer etwas, an das man sich klammern kann. Wir schaffen das zusammen, ja? Es wird alles gut."

Und mit diesen Worten brach ich schluchzend in seinen Armen zusammen.

Freak. (boyxboy)Where stories live. Discover now