Kapitel 9

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Ich fand mich auf dem Balkon wieder, der mir eine atemberaubende Aussicht auf die umliegenden Berge gab. Tief atmete ich die frische Luft ein und schloss kurz meine Augen. Ich musste den heutigen Tag verarbeiten: Das Kennenlernen, die Autofahrt, als ich in Elyas hineingelaufen war und das gerade eben... Wieso war ich nur so? Nie wusste ich, was ich sagen sollte, alleine Elyas Anwesenheit machte mich nervös. Sein Selbstbewusstsein machte mir Angst.

Wie peinlich ich mich aufgeführt hatte! Die Situation von vorher lief immer und immer wieder in meinem Kopf ab, ich konnte es nicht einfach ausschalten. Mein Kopf war nun mal kein Fernseher, auch wenn ich meine Gedanken gerne zumindest leiser schalten würde...

Ich biss meine Zähne aufeinander und krallte meine Fingernägel in meinen linken Arm. Der Schmerz tat gut. Ich drückte sie noch ein wenig tiefer und musste einen leisen Schmerzensschrei unterdrücken. Doch gleichzeitig fühlte es sich so gut an, es zeigte mir, dass ich noch immer etwas Kontrolle über mich hatte.

Auf einmal hörte ich, wie sich hinter mir eine Türe öffnete. Ohne hin zu sehen wusste ich, dass es Elyas war. Er hatte mich gesucht.

Nein hat er nicht. Du bist nicht wichtig genug um gesucht zu werden.

Dennoch blieb ich stehen wie ich war, die Nägel noch immer in meinem Arm vergraben und starr geradeaus sehend. Es war dunkler geworden und das hellblau war aus dem Himmel gewichen, hatte einem dunkelblau Platz gemacht.

Und bald wird es schwarz sein. Es ist genauso wie mit der Lebensfreude, sie verschwindet nach und nach. Es geht schleichend. Aber irgendwann ist es schwarz, schoss es mir durch den Kopf.

,,Greyson?", hörte ich seine Stimme, die die Dunkelheit durchschnitt, ,,es gibt gleich essen, ich wollte dich holen. Und... Oh Man, ich tue das so selten, aber ich wollte mich entschuldigen. Ich wusste nicht, dass diese Worte dir so nahe gehen. Lass uns noch einmal von vorne beginnen, ja?"

Ich zeigte keine Regung. Und dann tat ich etwas, was mich selbst überraschte: Ich sprach, ohne vorher die Wörter in meinem Kopf zu formulieren.

,,Ach was, mir tut es Leid. Ich habe überreagiert, schon gut. Du wolltest ja nur nett sein. Du kannst nichts für meinen Selbsthass. Ich bin ein Freak.", sagte ich mit immer leiser werdender Stimme, bis am Ende nur noch ein Flüstern zu hören war.

Ich drehte meinen Kopf leicht zur Seite, wollte ihn meine Tränen nicht sehen lassen. Ja, das war ich: Ein Freak.

Ein Geräusch ließ mich auffahren und auf einmal fand ich mich in einer Umarmung wieder. Elyas presste mich an sich, als würde sein Leben davon abhängen. Ich spürte den rauen Stoff seines Pullovers, den er sich übergezogen hatte und atmete den herben und angenehmen Geruch ein, der von ihm ausging. Als er sprach lief mir ein Schauer über den Rücken. Wegen der Kälte versteht sich.

,,Nein, das bist du nicht. Bitte, hör auf zu weinen. Wir kriegen das hin. Und bitte, hör auf dir selbst weh zu tun. Ich habe das mit deinem Arm gesehen."

Die Panik wollte wieder hoch kommen, doch Elyas Anwesenheit hielt sie davon ab. Komisch.

Noch ein letztes Mal strich Elyas mir über den Rücken und löste sich dann von mir. Die Kälte umgab meinen Körper und ich fühlte mich auf einen Schlag wieder unglücklich. Er ging noch innen und ich blieb noch einen Moment auf dem Balkon bevor ich ihm folgte: Was war das gewesen?

Ach, das hat er doch nur so gesagt. Er verarscht dich. Er will an dich rankommen. Und dich anschließend verletzen. Glaub ihm kein Wort.

Freak. (boyxboy)Where stories live. Discover now