Kapitel 5

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Ich wachte bereits um viertel vor sechs Uhr auf und dank der Angst und Nervosität, die sich über Nacht in mir ausgebreitet hatte, konnte ich nicht wieder einschlafen.
Da wir erst um halb zehn zum skifahren aufbrechen würden, hatte ich noch reichlich Zeit mir Sorgen zu machen.

Nachdem ich barfuß in das Bad getapst war, beging ich einen großen Fehler, den ich jeden Tag zu vermeiden versuchte: Ich blickte in den Spiegel. Meine dunkelbraunen, kurzen Haare waren in alle Richtungen verstrubbelt und meine olivgrünen Augen waren matt und von dunklen Augenringen umschattet. Sie stahlten Müdigkeit, Hilfslosigkeit und Angst aus. Auch meine Gesichtsfarbe zeugte nicht von Gesundheit und Fröhlichkeit: Ich war so blass, dass ich beinahe als Gespenst durchgehen konnte. Kein Wunder, dass dich keiner mag. Du bist so hässlich!, schoss es mir durch den Kopf und ich nickte.
Als ich meine Haare gekämmt und mich umgezogen hatte umfasste ich das kalte Metall der Türklinke mit zitternden Händen und öffnete die Türe. Dunkelheit umfing mich, während ich die knarzenden Treppenstufen nach unten in die Küche lief. Ich bereitete mir Frühstück zu, obwohl ich nicht geplant hatte, vor der vierstündigen Autofahrt etwas zu essen.

-

Voller Angst saß ich in meinem Zimmer auf dem Bett, knetet nervös meine Hände und starrte auf die Uhr.

Noch eine halbe Stunde.

Fünfundzwanzig Minuten.

Zwanzig Minuten.

Eine Viertelstunde.

Zehn Minuten.

Fünf.

Vier.

Drei.

Es klingelte. Drei Minuten zu früh, ich war nicht bereit:
Ich fuhr erschrocken hoch und atmete flach und hektisch ein und aus. Mein Brustkorb schnürte sich zusammen und ich hatte das Gefühl keine Luft mehr zu bekommen. Ich fing an zu schwitzen. Die Wände kamen näher, unweigerlich auf mich zu. Sie schienen mich zerquetschen zu wollen. Ließen mir kaum Platz zum atmen. Der Schweiß rann mir den Rücken hinunter. Ich hatte das Gefühl zu ertrinken.

Einatmen. Ausatmen. Einatmen. Ausatmen, befahl ich mir.

Es funktionierte ansatzweise: Die Wände gingen wieder an ihren ursprünglichen Platz zurück und ich bekam wieder mehr Luft.
Doch der Feind war immer noch da draußen. Und ich in meinem Zimmer.

Als hätte meine Mutter meine Gedanken gehört rief sie nach mir:,,GREY KOMM JETZT ENDLICH! SIE SIND DA!"

Ich kann das nicht. Ich schaffe das nicht. Ich will hierbleiben. Er wird mich hassen.

Dennoch unterdrückte ich den Drang wieder zurück zu laufen und mich unter meiner Bettdecke zu verkriechen und ging die Treppen nach unten.

Benimm dich normal! Mum darf nicht mitbekommen wie scheiße es dir geht!, erinnerte ich mich.

Meine Schritte verlangsamten sich, meine Hände zitterten vor Aufregung. Meine Atmung war flach.

Ich bog um die Ecke.

Und dann sah ich ihn, angelehnt an die Türe.

Scheiße.

Freak. (boyxboy)Where stories live. Discover now