Kapitel 46 (Eine Schlange unter Wölfen)

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Ich hatte mir also den gesamten Eintrag über die Rasse der First Bloods durchgelesen, sogar mehrmals. Letztendlich war ich jetzt genauso schlau wie vorher auch. Beziehungsweise, nicht ganz – immerhin wusste ich jetzt, dass ich eigentlich schon so gut wie tot war. Oder besser gesagt, Shuu wäre so gut wie schon tot, wenn er auch nur versuchen würde mich aus dieser Misere hier zu befreien. Obwohl, wie hoch standen schon die Chancen, dass er dies ernsthaft versuchen würde? Wirklich, das waren keine putzigen kleinen Vampire hier. Das waren waschechte Dämonen mit allen Drum und Dran was eben so zum dämonischen Dasein dazu gehörte. Jetzt war mir tatsächlich zum Weinen zumute. Ich konnte doch nicht bis in alle Ewigkeit hier festsitzen. Ehrlich gesagt hatte ich herzlich wenig Lust auf Shin und Carla – vor allem letzterer hatte es ja nahezu auf mich abgesehen. Wahrscheinlich, weil Shin für Yui zuständig war, schoss es mir durch den Kopf und ich nickte bestätigend. Es war wirklich unterhaltsam dissoziativ veranlagt zu sein. Nun aber Spaß beiseite. Ich brauchte einen neuen Plan, um lebendig aus diesem Anwesen zu entkommen. Eine offensive Konfrontation konnte ich schonmal ausschließen, immerhin etwas. Würde ich mit Manipulation weiterkommen? Vielleicht – jedoch schätzte ich Carla dafür leider als zu intelligent ein. Eine wichtige Schwachstelle finden? Möglich wäre es, aber dafür müsste ich noch aufmerksamer sein und das fiel mir aufgrund der omnipräsenten Paranoia im direkten Umfeld zum Weißhaarigen extrem schwer.

Fürs Erste entschied ich mich für friedliche Koexistenz. Somit brachte ich die kurz zuvor noch unordentlich aufgeschlagenen alten Wälzer zurück an ihre ursprünglichen Plätze und streckte mich ausgiebig. Da ich nun so ziemlich wusste, mit welcher Art von okkultem Wesen ich es eigentlich zu tun hatte, war urplötzlich eine riesige Last von meinen Schultern gefallen und eine selbstzufriedene Entspannung legte sich schützend über meinen Körper. Fast fühlte ich mich nun so, als wäre ich allem gewachsen – zwar nicht körperlich, aber zumindest mental. Und das war mir viel wert. Vor allem, wenn ich bedachte, dass Carla von beiden Brüdern derjenige war, der seine sadistische Seite überwiegend durch eine psychische als physische Dominanz auslebte. Aber wer war ich schon, um dies mit einer pseudopsychologischen Sichtweise zu beurteilen. Schulterzuckend verließ ich die Bibliothek, strich mir die Haare zurück und ließ schließlich leise die Tür hinter mir ins Schloss fallen.
"Und was hattest du schon wieder außerhalb deiner Räumlichkeiten zu suchen, mein Täubchen?"
Ja, ich hätte damit rechnen sollen, das weiß ich selbst. Aber die Hoffnung starb doch zuletzt und ebendiese hatte ich bei meinen Nachforschungen eben gehabt. Wer hätte denn denken können, dass mir ebendies zum Verhängnis wird? Richtig eigentlich jeder. Also war ich letztendlich – wie so oft – selbst schuld daran, jetzt erneut in solch eine missliche Situation geraten zu sein.
"Mir war langweilig, deshalb wollte ich mir was zu lesen holen,"
entgegnete ich letztendlich, kratzte mich dabei unbeholfen am Hinterkopf. Der Weißhaarige durchbohrte mich regelrecht durch seine schlangenhaften goldenen Augen,
"wie ich sehe wohl ein äußerst seltenes unsichtbares Exemplar?"
Er legte den Kopf leicht schief, schien dabei unter seinem schwarzen Schal belustigt zu grinsen. Unwillkürlich entfuhr mir ein falsches Lachen,
"ähm... letztendlich hab ich nichts gefunden, was mir zugesagt hätte... leider."
"Sicherlich,"
erneut schien er mich genauer, wenn nicht sogar zutiefst amüsiert, zu mustern. Als würde er versuchen durch mich hindurch zu sehen und meine Gedanken zu lesen, schoss es mir widerwillig durch den Kopf. Wahrscheinlich war er dazu sogar einfach so fähig, mit Sicherheit hatte er genauso viel auf dem Kasten wie Karl Heinz. Allein beim Gedanken an diesen Typen schüttelte es mich unbehaglich. Ein leichtes Husten seitens des großgewachsenen Mannes mir gegenüber ließ mich wieder zurück in die Realität driften, und mich sofort die Stirn runzelnd.
"Hast du dich etwa... an der Luft verschluckt?"
mit einem schiefen Grinsen sah ich zu ihm auf – und blickte in nun besonders kalte Augen. Hätte ich mal lieber den Mund gehalten. Zu meiner Verwunderung jedoch ließ mich Carla wenige Sekunden später schweigsam stehen und betrat selbst die Bibliothek. Jetzt sollte ich wohl lieber die Flucht in mein Zimmer ergreifen.

Gelangweilt blickte ich aus dem Fenster hinunter auf den im Mondschein leicht erhellten gigantischen Garten des Anwesens. Verschiedene Skulpturen schmückten die mit verschiedenen Blumen, Hecken und Sträuchern bepflanzte Anlage und ein rundlicher Brunnen sprudelte fröhlich vor sich hin. Wäre ich nicht wie ein Hamster im Käfig eingepfercht gewesen, hätte ich tatsächlich ein wenig Freude an diesem exquisiten Arrangement empfunden. So jedoch langweilte es mich nur noch mehr und ein theatralisches Seufzen entfuhr meinen Lippen.
"Zum Teufel,"
murmelte ich, wandte mich um und ließ mich lustlos aufs Bett fallen,
"wie lange will mich Shuu eigentlich noch hier gammeln lassen."
Immerhin war mein eigentlich mittlerweile recht akkurat fester Freund schlechthin das Erbe des unangefochtenen Vampirkönigs, als würde so ein dämlicher First Blood Dämon ihn einfach so aufhalten. Pah! Wie läppisch! Sollte ich jetzt vielleicht doch noch darüber nachdenken, Carla zu manipulieren? Ihn gegen seinen Bruder ausspielen und genießen wie die beiden sich einfach gegenseitig an die Gurgel gehen würden? Nur um dann grazil die Haare neckisch zurückwerfend selenruhig aus der Villa zu spazieren? Es hätte eigentlich etwas Episches an sich. Jedoch war wohl Carlas Psyche zu stabil, um einfach so manipuliert werden zu können. Aber wie sah das denn bei Shin aus? War er von den Beiden nicht offensichtlich der eher neurotisch veranlagte? Und hatte er nicht schon einmal gegen Carla den Kürzeren gezogen, und dabei sogar ein Auge verloren? Zumindest hatte mir das Yui während einem unserer wenigen Gespräche hier mitgeteilt. Grübelnd legte ich die Stirn in Falten.
   Ich entschloss mich dazu, nicht ganz so gemein zu sein, wie ich es eigentlich gerne gewesen wäre und entschied mich für den ungefährlichen Plan Nummer 17 – wie das brave Prinzessinchen auf Shuu warten und sich retten lassen. Das passte ja auch viel besser zu meiner faulen Lebensweise. Bestimmt würde diese Vorgehensweise auch aufgehen, daran hatte ich gar keine Zweifel, woher auch. Meine blonde Schlaftablette war immerhin bekannt dafür, die Dinge sofort in die Hand zu nehmen und Offensive zu zeigen. Da eilte ihm eindeutig sein Ruf voraus. Ich atmete tief durch. Ein Königreich für einen Kaffee, schoss es mir durch den Kopf und mit einem leicht bejahenden Nicken erhob ich mich. Ein Abstecher in die Küche würde mir mit Sicherheit guttun. Dass ich es jedoch nicht einmal bis dort hinschaffen würde, damit hatte ich nicht gerechnet. Kaum hatte ich die Tür geöffnet, fand ich mich auch schon einem gewissen weißhaarigen Dämon gegenüberstehend wieder. Seine schlangenhaften Augen erdolchten mich fast, als er mich - ohne mit der Wimper zu zucken - gegen die nächste Wand drückte und dabei kalt, mit scharfer Stimme sprach,
"du hast es erneut gewagt in Dingen herumzustöbern, die dich nichts angehen, Liebes."

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Danke an den kreativen Schub, der dieses Kapitel zustande gebracht hat.

Bis(s) Sie Mir Den Letzten Nerv Rauben (Diabolik Lovers FF)Where stories live. Discover now