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ᴛᴀɴᴀᴡᴀᴛ ᴄʜᴀɴɴᴀʀᴏɴɢ, ʟᴇᴏ | Es sind schon fast zwei Wochen vergangen, seit ich Milo alleine gesehen haben, ihn küssen und berühren konnte und auch heute werde ich – leider – sicherlich nicht die Möglichkeit dazu haben.

Zu meiner rechten sitzt Som. Sein Kopf ist leicht eingezogen, trotzdem lauscht er ebenso aufmerksam wie ich seinem Vater und meiner Mutter, die sich ein paar Zimmer weiter lauthals anschreien. Man kann fast nichts verstehen, aber ihre Ausrufe lassen mich schlimmes ahnen. Als die beiden hier eingetroffen sind, hat Som nur flüchtig und fast tonlos lediglich die Worte Überfall und hilflos von sich gegeben. Ich konnte mir bis jetzt keinen Reim darauf machen, wollte aber ebenso wenig nachhaken. Stattdessen habe ich seine Hand fest umschlossen und sein leichenblasses Gesicht besorgt beäugt. Er sieht noch immer geradezu krank aus. Seine Lippen zittern immer wieder leicht und sein Griff um meine Hand unterstreicht seine minimale Aussage. Er klammert sich gerade zu an mich, dabei ist er sonst ein wahrer Kampfgeist, den so schnell nichts schockt. Auch das bereitet mir Sorge. Hätte Mutter nicht erst reden wollen, hätte ich gleich den Notstand ausgerufen, aber das wird – egal was sie als nächstes vor hat – mein nächster Schritt sein.

,,Som...", flüsterte ich, einen Moment die aufgebrachten Rufe ignorierend, und tippe mit meinem Daumen auf seinen Handrücken. Sein Blick eilt zu mir – erschrocken und ängstlich, wie ich meinen besten Freund noch mit gesehen habe. Ich schlucke schwer, drehe mich nun aber doch etwas ungeduldig zu ihm. Eigentlich ist es nicht meine Art einfach rumzusitzen. Eigentlich würde ich sofort Pläne schmieden, Strategien überdenken und– Nein, jetzt nicht.

,,Som, geht es dir gut?", frage ich leise.
Er hat jetzt Vorrang.

Mir wird schlecht, als er wortlos schluckt. Seine müden und erschöpften Augen richtet er nicht auf mich und doch kann ich die Furcht in ihnen erkennen. Er schüttelt sachte den Kopf, meine Frage verneinend.

,,Was ist passiert?", frage ich weiter, wende mich ihm nicht nur weiter zu sondern falle beinahe etwas überstürzt vor ihm auf den Boden. Wieder zittert seine Unterlippe, während er sich achtlos durch die silber gefärbten Haare fährt und – in meinen Augen etwas schmerzhaft stark – daran zieht. ,,Leo–" Seine Stimme ist rau und kraftlos. Kratzig, als hätte er die vergangenen Stunden nur geschrien. ,,Leo, ich–" Er stockt gleich nochmals und wischt nun etwas unbeholfen über die wässrig gewordenen Augen – wie Boo, wenn er von Gefühlen überrumpelt wird und nicht recht weiß, wie er damit umgehen soll. Krampfhaft beiße ich auf meine Unterlippe. Ich spüre meinen kräftigen Herzschlag bis in meinen Hals und auch, wie die Übelkeit meinen Körper einnimmt. Ich fühle mich so besorgt, wie schon lange nicht, weiß nicht, wo mir der Kopf steht. Auch ich fühle mich hilflos, dennoch drücke ich die Hand des anderes einen Moment noch fester. Der kurze Mut scheint ihn zu locken und für den Bruchteil einer Sekunde schiebt der den schwarzen Pullover so hoch, dass ich einen festen Verband erkennen, der unmittelbar unter seinen Rippen schon von dunkelroten Blut durchtränkt wird.

,,Was–"

Alarmglocken beginnen in mir drin zu läuten und mit aufgerissenen Augen sehe ich kurz zu ihm hoch – doch er meidet meinen Blick – und dann zurück auf seinen Körper, der wieder bedeckt ist. ,,Som?..." Ach du scheiße...!

,,Som wurdest du angeschossen? Ich das eine Schussverletzung?" Sein schweres, unsicheres Schlucken reicht mir als Antwort. ,,Ein Durchschuss?", frage ich leise und klinge dabei hoffnungsvoll, dabei weiß ich selbst gar nicht, was mir lieber wäre. ,,Nein.", sagt er schnell. Seine Stimme ist dünn und zittrig, während seine Augen mit noch mehr Tränenflüssigkeit befüllt werden und die erste Träne, so groß und rund wie eine Perle, über seine Wange rollt. ,,Die Kugel–..." ,,Steckschuss.", nickt er schwach und sackt kurz in sich zusammen. Es scheint ihn viel Kraft zu kosten, sich wieder aufzurichten und doch versucht er stark zu wirken. Seinen kläglichen Zustand versucht er sogar mit einem Lächeln zu überspielen. Mein Magen dreht sich um und mit diesem flauen Gefühl im Magen stütze ich mich wieder in die Höhe. ,,Ist noch drin.", nicke ich also leicht und muss mit einem mal aufkommende Wut unterdrücken. Dass sein Arschloch von Vater lieber her kommt, statt seinen Sohn verartzen zu lassen, spricht mehr als deutlich gegen ihn. Sein Verhalten ist in meinen Augen unverständlich, gerade zu widerlich. ,,Wir kümmern uns darum.", murmel ich dann, drücke ihm mein Handy in die Hand und lege einen Arm um seinen Rücken, die andere unter seine Kniekehlen. Das ist aber bei weitem nicht die beste Position, um ihn zu befördern – wer weiß ob sie die spitze Patrone noch tiefer in sein Fleisch bohrt und noch schlimmere Schäden anrichtet. ,,Schreib Luca, dass er auf die Krankenstation kommen soll." ,,Aber Leo–" ,,Nichts aber!", keife ich ihn an und schüttel den Kopf, ,,Das gehört ärtzlich versorgt!" ,,Ich weiß, aber unsere Eltern–" ,,Sind mir gerade herzlich egal.", seufze ich. Schon wenig stolpere ich etwas unbeholfen in die gut ausgestattete Krankenstation. Unbeholfen deswegegn, weil ich vollkommen überstürzt rüber laufe, um ja keine Zeit zu verlieren, gleichzeitig aber will ich Som auch nicht zu viel bewegen, um schlimmeres zu verhindern. So sanft und geschickt ich kann, lege ich den Mann auf der gesäuberten Liege ab und lege gleich besorgt eine Hand an seine Wange. ,,Du weißt, dass Luca das immer für uns macht–" ,,Das ich was immer mache?", fragt er seufzend, bekommt aber gleich große Augen, die besorgt funkeln, als er Som erblickt. ,,Betäub ihn und nimm die Kugel raus.", fordere ich ohne seine Frage damit direkt zu beantworten. Natürlich versteht mein Bruder aber und reißt auch gleich, nachdem ich den Oberkörper meines besten Freundes entblößt haben, den Verband von seinem Körper. Er seufzt leise und sieht dann zu Som, dem die zweite Träne aus dem Augenwinkel rollt und mich weiter so hilflos ansieht. ,,Es ist alles gut.", versuche ich ihm zu verdeutlichen, doch das darauffolgende Nicken wirkt erzwungen. ,,Leo, ich–", beginnt mein Bruder, ohne von der schrecklichen Wunde aufzusehen. ,,Nimm ihn die Kugel da raus! Sofort!", knurre ich böse, presse jedes einzelne Wort mit solch einer Wucht heraus, dass er mich erschrocken ansieht. Er ist mein großer Bruder – immer standhaft und besonnen. Sein Nicken ist wie eine Erleichterung für mich. Einen tiefen Atmezug zieht er ein, dann dreht er uns dem Rücken zu, um seine Hände zu waschen und zu desinfizieren und sich dann mit Handschuhen und einem blauen Kittel zu bekleiden. Jetzt wieder zuversichtlich umschließe ich die Hand des Mannes, ziehe mit meiner anderen einen Hocker zu uns und setze mich neben ihn. ,,Ich bleibe hier, also mach dir keine Sorge.", flüstere ich ihm zu, auch wenn er davon nicht viel mitbekommen wird – Luca wird ihm sicherlich unter Vollnarkose stellen. Noch immer tosen tausende Gefühle in mir, ich weiß nicht, was ich denken soll. Mir brennen so viele Fragen auf der Zunge, aber Soms Zustand und Lucas Konzentartion zuliebe bleibe ich leise, streiche stattdessen fest über die Hand des etwas Kleineren.

bruises and twisted guns ☾ ⋆*・゚Where stories live. Discover now