Kapitel 8

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„Was soll ich denn sonst machen? Meine kleine Schwester ist verschwunden und geht nicht an ihr Handy, ich hab schon hunderttausend Mal versucht, sie anzurufen, aber es geht nur die Mailbox ran."
„So kannst du jetzt nicht Auto fahren... Komm, entspann dich mal kurz. Mach die Augen zu und atme tief ein und aus."
Ich schließe also meine Augen und atme ein paar mal durch, als mein Handy klingelt. Blitzschnell greife ich nach dem Gerät und da steht tatsächlich der Name meiner kleinen Schwester.
„Wo bist du? Geht's dir gut? Was ist los?" gehe ich eventuell auf ganz klein bisschen panisch ran.
„Ich bin bei nem Freund" meint sie nur nebensächlich.
„Ich versuchen dich seit fast einer Stunde zu erreichen und Mum schon viel länger, was ist los? Warum hast du geschwänzt?"
„Hatte kein Bock auf Schule."
„Warum? Was is los? Soll ich nach Hause kommen?"
„Nein, du musst arbeiten."
„Was ist los? Ich mache mir Sorgen."
„Kann ich zu dir nach München kommen?"
„Shay, so läuft das nicht, es ist mitten in der Woche und du hast Schule geschwänzt. Ich komm demnächst nach Hause und wir reden, du, Mama und ich."
„Wiwi, bitte, ich will zu dir kommen" fleht sie.
„Tut mir leid, ich kann das echt nicht erlauben und Mum auch nicht."
„Ach du bist scheiße, ich hasse dich!" brüllt sie dann und legt auf.

Das tat weh...

„Ich fahr jetzt nach Hause, meine Schwester hat mir grade unschwer zu verstehen gegeben, dass sie mich hasst."
Ich springe auf und schnappe mir meinen Rucksack, Kevin gibt mir grünes Licht, dass wir das mit dem Song schon irgendwie schaffen. Nachdem ich das Studio verlassen habe, fahre ich noch schnell bei Fabi's Wohnung vorbei, um meine restlichen Sachen zu holen, bevor ich mich auf den Weg nach Hause, in den Norden, mache.

Als ich auf der Autobahn bin, fällt mir auf, dass ich Mum noch nichtmal angerufen hab. Somit wähle ich ihre Nummer und stelle die Freisprechanlage an.
„Hast du was von ihr gehört?"
„Ja, sie ist bei irgendeinem Freund. Sie hat mich gefragt, ob sie nach München kommen kann und als ich ihr gesagt hab, dass ich das nicht erlauben kann, meinte sie, dass ich scheiße bin und hat aufgelegt. Ich sitze jetzt im Auto und bin morgen früh zuhause."
„Ach Junge, was ist mit dem Studio?"
„Das ist mir grade total egal, wenn meine Schwester mir sagt, dass sie mich hasst, kann ich das nicht so stehen lassen. Wir bekommen es schon hin, den Song fertig zu machen, zur Not kommt er eben nicht vor der Tour raus, sondern erst danach. Ich telefoniere gleich mal mit Anna deswegen."
„Okay, hat sie gesagt, welcher Freund?"
„Nein, sie hat nur gesagt ein Freund. Sie hat nicht gesagt, was los ist oder sonst irgendwas."
„Okay, Wincent, fahr bitte vorsichtig. Ich versuche es nochmal bei Claras Mutter, vielleicht weiß Clara ja, wo sie ist."
„Okay, bis später."
„Bis dann."
Wir legen auf und ich wähle direkt einmal die Nummer meiner Managerin.
„Womit hab ich denn die Ehre?" geht sie ran.
„Anna, weißt du eigentlich, dass du die beste Managerin überhaupt bist?" frage ich scheinheilig lieb.
„Oh Gott, was muss ich bei der Plattenfirma gerade biegen?"
„Wir schaffen es nicht, 'Kein Lied' rechtzeitig zur Abgabe fertig zu machen. Zuhause gibt's Probleme und da kann ich nicht im Studio sitzen und am Song arbeiten."
„Was ist los?"
„Weiß ich noch nicht genau, aber meine Schwester hat mir eben am Telefon deutlich zu verstehen gegeben, dass ich ein richtig schlechter Bruder bin."
„Sag sowas nicht, Wincent. Du bist ein toller großer Bruder, sonst würdest du dich nicht direkt auf den Weg nach Hause machen. Ich kläre alles mit der Plattenfirma."
„Du bist wahrhaftig die beste Managerin."
„Kein Problem, aber fahr vorsichtig."
„Mach ich."
„Wir hören uns."
„Jo, bis dann."
Wir legen auf und ich versuche es nochmal bei meiner kleinen Schwester, die auch tatsächlich ran geht.
„Was?" fragt sie genervt.
„Shayenne, ich weiß nicht, was los ist, aber ich bin gerade im Auto und morgen früh zuhause. Dann reden wir in Ruhe. Ich hab dich lieb, Mama hat dich lieb, wir sind immer für dich da, aber du musst mit uns reden. Bitte, geh nach Hause. Mama ist krank vor Sorge" rede ich ruhig auf sie ein.
„Shay, dein Bruder hat Recht" höre ich dann einen Jungen.
„Shayenne, bitte. Ich will für dich da sein."
„Ach, jetzt auf einmal?"
„Shay, du weißt, dass ich immer für dich da bin, du bist meine kleine Schwester."
„Okay, ich fahr nach Hause."
„Ruf Mum an und lass dich abholen, es ist schon fast dunkel."
„Mama wird sauer sein und mich anschreien, dass ich geschwänzt hab."
„Wird sie nicht, wir klären das morgen, alle zusammen und in Ruhe, okay?"
„Von mir aus" murmelt sie „Und Wiwi... Du bist nicht scheiße, ich hasse dich nicht."
„Ich hab dich lieb, Kleines."

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