Kapitel 195

753 47 9
                                    

Inzwischen verheiratet kommen wir nach einigen Stunden im Restaurant wieder in unsere Wohnung.
„Es ist noch früh, wie wäre es, wenn wir doch nochmal zum Strand fahren? Nur wir beide?" lächelt Leo mich an.
Ich bin sofort Feuer und Flamme für diese Idee, also ziehen wir uns einfach nur schnell was bequemeres an, Leo schminkt sich tatsächlich ab und dann machen wir uns los. Bis an den Strand brauchen wir mit dem Auto nicht wirklich lange. Ich spüre den Sand zwischen meinen Zehen, während ich die Hand meiner Frau halte. An einer recht leeren Stelle, lasse ich mich mit Blick zum Meer in den Sand fallen. Leo setzt sich sofort zwischen meine Beine und lehnt sich an meine Brust. Meine Hände liegen auf ihrem Bauch, in der Hoffnung, meinen Sohn mal wieder zu spüren, aber der Kleine ist mal wieder echt ruhig. Ich schließe einfach etwas meine Augen, um den Augenblick wirklich genießen zu können. In meiner Nase liegt der Duft vom Meer und das Parfüm meiner Ehefrau. Perfekter kann es wohl kaum werden.

Ich bin gerade komplett in meinen Gedanken gefangen und merke erst gar nicht, dass Leo mich beobachtet.
„Ist was?" schmunzle ich und sehe in diese wunderschönen Augen.
„Lass uns langsam nach Hause fahren, ich will mit meinem Mann komplett alleine sein" flüstert sie und beschert mir damit eine leichte Gänsehaut.
Mit einem Grinsen im Gesicht erhebe ich mich und helfe auch Leo hoch. Mit fest ineinander verschränkten Händen gehen wir zurück zum Auto.
„Und was machen wir zuhause noch schönes?" frage ich unschuldig, als ich losfahre.
„Das Bett nicht mehr verlassen" kommt die Antwort und sie legt ihre Hand auf meinen Oberschenkel.
Sofort tauchen sehr viele Bilder in meinem Kopf auf und ich muss mich wirklich extrem auf die Straße konzentrieren. Das merkt meine Frau natürlich auch direkt. Neben mir höre ich sie lachen und blicke für knapp eine Sekunde zu ihr. Die Haare fallen ihr locker ins Gesicht, auf ihren Lippen liegt ein Grinsen. Sie ist glücklich und für den Rest unseres Lebens will ich sie mindestens so glücklich machen wie sie jetzt gerade wirkt. Sie ist mein Ein und Alles. Ich nehme ihre Hand und drücke einen Kuss auf ihren Handrücken. An der nächsten Kreuzung muss ich halten, da auf der Hauptstraße für sonstige Verhältnisse recht viel los ist. Aber kurz bevor ich dann anfahren will, werden wir regelrecht auf die Hauptstraße gestoßen. Ich weiß nicht, wie viel Zeit vergeht, aber irgendwann bin ich wieder in der Lage mich einigermaßen zu besinnen.
„Fuck" murmle ich, mein Kopf sowie mein Rücken tun extrem weh, aber so gut es geht blende ich dies aus und drehe meinen Kopf zu Leo, was durch den ausgelösten Airbag gar nicht mal so einfach ist.
„Wincent?" höre ich sie dann meinen Namen weinen.
„Ja, ich bin hier, mir geht's gut. Ist alles okay?"
„Ich weiß nicht genau, ich... ich..."
„Sch... ganz ruhig, okay? Alles wird gut, ich verspreche es dir" rede ich auf sie ein, als jemand meine Autotür öffnet.
„Ist alles okay bei Ihnen? Sind Sie verletzt?" fragt ein Mann.
„Mit geht's gut, meine Frau auf dem Beifahrersitz ist schwanger!" rattere ich nur runter und sofort höre ich, wie er wahrscheinlich ums Auto rumläuft, und auf der anderen Seite die Tür öffnet. Wenig später kommt jemand anderes zu mir und holt mich aus dem Auto raus. Ich schaue mich sofort nach Leo um, und als ich sie schon auf auf einer dieser Tragen entdecke, wird mir noch unwohler.
„Können Sie mir sagen, wie Sie heißen?" werde ich dann von dem angesprochen, der mich da gerade rausgezogen hat.
„Hm?" mache ich, während mein Blick noch auf Leo gerichtet ist.
„Wie heißen Sie?" fragt er nochmal ruhig und lässt mich mich hinsetzen.
„Wincent" antworte ich schließlich „Was ist mit meiner Frau und unserem Kind? Sie ist schwanger!"
„Sie wird, wie es aussieht, gleich ins Krankenhaus gebracht."
„Ich muss mit!"
„Ganz ruhig, wir fahren mit Ihnen auch gleich ins Krankenhaus. Ihre Verletzungen sind auf den ersten Blick zwar nur oberflächlich, aber sie müssen dennoch nochmal genauer untersucht werden."
Mich interessiert nichts. Was er mir zu meinen Verletzungen sagt. Irrelevant. Das kaputte Auto. Unwichtig. Selbst der andere Fahrer ist mir total egal. Ich will nur zu Leo.

Ziemlich schnell befinde ich mich dann auch im Krankenhaus und will eigentlich direkt zu meiner Frau. Jedoch will oder kann mir hier keiner sagen, was zur Hölle mit ihr ist.
„Also ihre Verletzungen scheinen wirklich nur oberflächlich zu sein."
„Was ist mit meiner Frau und meinem Sohn?" murmle ich.
„Als ihre Frau eingeliefert wurde, hatte sie starke Blutungen, durch den heftigen Aufprall hat sich die Plazenta vorzeitig gelöst, das führt zur Sauerstoffunterversorgung des Kindes. So etwas kann sehr gefährlich sein, für das Kind und die Mutter, ja, aber sie befindet sich schon auf dem Weg in den OP. Ihr Sohn wird noch heute das Licht der Welt erblicken."
Sie erklärt mir noch mehr, aber richtig zuhören kann ich nicht. Heute ist unser Hochzeitstag... vor ein paar Stunden noch haben wir mit unserer Familie zusammen gesessen und mit ihnen auf unsere Ehe angestoßen... Ich wollte immer, dass unsere Hochzeitsnacht unvergesslich wird, aber nicht auf diese Weise! Überhaupt nicht auf diese Weise! Irgendwer bringt mich ins Wartezimmer, wo ich mich auf einen der Stühle setze. Jemand setzt sich dann neben mich, aber so richtig aus meiner Trance komme ich nicht raus. Ich hab heute meine große Liebe geheiratet... Erst vor ein paar wenigen Stunden... Mein Sohn sollte eigentlich erst in fast zwei Monaten zur Welt kommen... Langsam überkommt mich die Angst, heute alles zu verlieren. Meine Frau, mein ungeborenes Kind... alles...

Unsere Geschichte... Ist die wirklich schon vorbei? Nach nur so kurzer Zeit?

Lauf nicht wegWo Geschichten leben. Entdecke jetzt