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„Lerne."

Ich schloss kurz die Augen, um die aufkommende Enttäuschung zu unterdrücken. „Keine Abschiedsworte?"

„Wir sehen uns in den nächsten Sommerferien." Mein Vater lächelte nicht, sondern zog seine rechte Augenbraue hoch und trommelte ungeduldig mit seinen Fingern auf dem Lenkrad rum.

„Bis Weihnachten.", antwortete ich und schlug die Tür zu. Ich würde nicht über Weihnachten in diesem verdammten Schloss bleiben. Nicht schon wieder.

Noch bevor ich mein Gepäck auf den Wagen gehievt hatte, war das Auto meines Vaters schon nicht mehr zu sehen.

Auf dem Weg hierher hatten wir im Stau gestanden und ich hatte sogar den Gedanken gehabt, dass es ein Zeichen des Schicksals gewesen wäre, wenn ich den Zug hätte verpassen sollen, aber mein Vater war, als wir den Stau hinter uns gelassen hatten, so schnell gefahren, dass wir die gesamte Zeit wieder aufholen konnten. Zu meinem Missgunsten.

Ich zog dir Kapuze über meinen Kopf und ließ sie tief in mein Gesicht fallen. So lief ich in Richtung Gleis 9 ¾, auch wenn ich da nicht hinwollte. Könnte nicht vielleicht kurz mal ein Meteorit einschlagen und so verhindern, dass ich dorthin musste?

Aber so viel Glück hatte ich auch in diesem Jahr nicht.

Kurz bevor ich zu den Bahnsteigen abbog, griff ich beim Vorbeigehen schnell nach der Bäckertüte, die ein Mann auf seinen Koffer abgelegt hatte, während er telefonierte.

Hoffentlich hatte er einen guten Geschmack. Ein leckeres Schokoladencroissant würde mich vielleicht nicht glücklich machen, aber zumindest wäre das ein Anfang.

Wie schon all die Jahre zuvor, hoffte ich, dass die Mauer heute einfach nur eine Mauer sein würde und mich nicht durchließ, doch auch in diesem Jahr blieb es bei einem Traum.

Auf der anderen Seite herrschte wildes Treiben. Eltern verabschiedeten sich unter Tränen von ihren Kindern, kleine Kinder schauten sich mit großen Augen um und andere fielen sich in die Arme.

Augenverdrehend kämpfte ich mich durch, ohne Rücksicht zu nehmen und so immer wieder jemanden anrempelte. Dabei ignorierte ich die Rufe, Beleidigungen und Flüche, die diese ausstießen.

Ganz hinten im Zug setzte ich mich auf die Bank und legte meinen Rucksack neben mich. Es sollte keiner wagen sich neben mich zu setzen. Wobei das wohl sowieso keiner wollen würde.

Am liebsten würde ich meine Kopfhörer aufsetzen und so die ganze Welt um mich herum ausblenden, aber, wie alles schöne, funktionierte das hier nicht. Stattdessen holte ich meinen Sammelband von Maurice Leblanc heraus und begann zu lesen.

Um mich herum sprachen alle aufgeregt durcheinander und lachten. Es schien ganz so als wäre ich weit und breit die Einzige, die überhaupt keine Lust hatte dorthin zurückzukehren.

Was fanden alle nur daran? Wie in diesen ganzen Fantasybüchern. Es wurde einem immer so verkauft als wäre es wahnsinnig toll zu erfahren, dass man eine Hexe sei, doch für mich war dieser Tag, vor mittlerweile über fünf Jahren, der schlimmste meines Lebens gewesen.

Damals war meine Welt in sich zusammen gebrochen. Ich, eine Hexe? Das konnte doch nicht wahr sein. Aber ich, eine Hexe, die auf ein Internat musste und somit nicht an der Seite meines Vaters stehen konnte, das war ein absoluter Albtraum. Mein persönlicher Albtraum, der Realität geworden war.

Ich hatte damals fast einen Monat lang kein Wort gesagt, doch mir hätte klar sein sollen, dass ich meinen Vater so nicht überzeugen könnte. Tatsächlich wusste ich bis heute nicht, ob er das überhaupt realisiert hatte, dass ich nicht sprach. Er hatte kein Wort darüber verloren, vielleicht war es ihm nicht einmal aufgefallen oder es war ihm schlicht und ergreifend egal.

Mehrere Stunden später, zogen dann auch die letzten ihre Schuluniformen an. Das unmissverständliche Zeichen, dass wir bald ankommen würden. Ich hingegen ließ meine Jeans an. Sollten sie mir doch mit dieser verdammten Schuluniform für diese verdammte Schule für diese verdammte Zauberei und Hexerei gestohlen bleiben.

Allein die Tatsache, dass ich einen Rock tragen sollte, fand ich schon grausam. Die waren so unpraktisch. Warum in aller Welt sollte man so etwas freiwillig länger tragen als nötig? Und warum überhaupt war es nötig? Wieso musste ich, nur weil ich weiblich war, einen Rock tragen. Das war doch ungerecht. Wieso konnte ich nicht einfach meine Hosen anbehalten?

Aber nein, ich musste einen verdammten Rock tragen. Ich musste in Hogwarts zur Schule gehen. Ich musste meine Familie verlassen. Ich musste eine verdammte Hexe sein.

Ob ich es wollte oder eben nicht. 

Bis ich ihm die Wette stahl (Harry Potter - Rumtreiber - Fan Fiction)Where stories live. Discover now