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Draecon hatte den Gipfel des Berges fast erreicht. Sein Herr hatte ihn gerufen und er war folgsam wie immer dem Befehl nachgekommen.

Als Assassine unterstand der Elf jeder der herrschenden Himmelsschlangen, an oberster Stelle jedoch stand der Silberne. Nach den ersten Jahren seiner Schulung hatte Draecon die Wahl zwischen den fünf Drachen gehabt – und sich für den Silbernen entschieden.

Die Bindung zwischen Assassine und Drache war mit nichts anderem vergleichbar. Dieses Band, das die beiden Schicksäle untrennbar aneinanderkettete, war weder mit dem Schwur von Liebenden noch mit König und Untertan zu vergleichen. Der Silberne war das fehlende Stück, das Draecon vollständig machte.

Der Elf war, dem Wunsch seines Herrn zufolge, den Reyngrath hinaufgestiegen. Der Berg ragte im hohen Norden Nyrathurs mitten im gleichnamigen Gebirge auf, nahe einem der Wohnsitze der silbernen Himmelsschlange.

Die Luft hier oben war dünn und die tiefen Spuren, die Draecon im Schnee hinterließ, waren selbst für ungeübte Kinderaugen leicht zu verfolgen. Kälte fraß sich in seine Knochen, die Haut um seine Fingerknöchel spannte sich bis zum Zerreißen. Schneidender Wind riss an Draecons altem Jagdmantel.

Aber der Assassine scherte sich nicht um das tödliche Eis ringsum. Vergeudete keinen Blick an die toten, unter der Last des Schnees zusammengebrochenen Bäume. Kahl und schwarz, bedeckt von einem Leichentuch aus pulvrigem Weiß, säumten sie Draecons Weg.

Schon jetzt spürte der Elf die mächtige Präsenz seines Gebieters. Fühlte die warme Magie, die ihre Finger nach dem Assassinen ausstreckte und ihn in ihrer Mitte begrüßen wollte. Fühlte, wie die Welt um ihn erbebte bei den Atemzügen des Silbernen.

Es war kein Wunder, dass man sich in Nyrathur vor diesen Weltenhütern fürchtete. Dabei waren sie nichts weiter als das: die Himmelsschlangen waren Beschützer, berufen Nyrathur vor allen möglichen Gefahren zu bewahren. Zu schnell vergaß man eben dies bei ihrer Anwesenheit.

Draecon wusste, dass der Silberne nun in seinem Blickfeld war, und hob den Kopf. Da stand er, in all seiner tödlichen Schönheit.

Die silberne Himmelsschlange ragte inmitten von Schnee auf, das Weiß spiegelte sich in den glänzenden Schuppen wider. Ein Körper, erschaffen um zu herrschen, schlank und mächtig und wunderschön. Kräftige Lederschwingen saßen auf Schulterhöhe, ihre gewaltige Spannbreite nun durch das Einfalten nur im Ansatz erkennbar.

Draecon fiel auf die Knie, es brauchte dafür seinen Willen gar nicht. Das Erscheinungsbild seines Herrn trug schon genug dazu bei.

„Ich danke Euch, Meister Draecon."

Die Stimme des Silbernen war tief und dröhnend und bezwingend zugleich. Die Bäume, die schon seit Monaten tot sein mussten, schienen durch diese Worte zu vibrieren und ihre leblosen Äste vor diesem Klang zu beugen. Ächzend warfen sie den Schnee von sich, um dem Silbernen wenigstens ansatzweise angemessen gegenüberzutreten.

„Es war mir eine Ehre, Herr", antwortete Draecon mit noch immer gesenktem Kopf. Seine Stimme klang so flach und sterblich im Vergleich zu der seines Gebieters.

Der Silberne brummte - seine Art der Freude Ausdruck zu verleihen.

Der Elf erhob sich, blickte in die glänzenden Augen des Drachen. Silber und Schnee tanzten dort miteinander inmitten eines grauen Sturms.

„Meine Geschwister verlangen nach einem Treffen. Die Aufstände im Süden Nyrathurs häufen sich und die Flammende hat wohl endlich eine Lösung für das Problem gefunden."

Der Silberne senkte sein Haupt, sodass Draecon die unterarmlangen Zähne in dem leicht geöffneten Maul erkennen konnte. Der warme Atem der Himmelsschlange schlug dem Assassinen ins Gesicht, Magie rauschte durch seinen erkalteten Körper.

Breath Of Death - Silbernes LodernWhere stories live. Discover now