XVIII

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Draecons Augen weiteten sich. Nach all der Zeit, die er bereits mit dem Suchen verschwendet hatte, hatte er kaum noch daran geglaubt, dass er tatsächlich fündig werden würde. Wie von alleine griffen seine Hände nach den Listen, nahmen sie aus dem geheimen Fach und legten sie auf dem Tisch aus. Mit einem leisen Quietschen schob Draecon die Holzplanke wieder zurück und ein Klicken ertönte, sobald das Holz wieder in seiner ursprünglichen Position war.

Rasch schob sich der Assassine den Stuhl herbei und setzte sich an den Tisch. Seine Augen rasten über die Listen, die meisten von ihnen waren im alten Drachisch geschrieben, verschlüsselt für all jene, die nicht an einer Schule für auszubildende Assassinen waren. Die großen, fein säuberlich aufgeschriebenen und eckigen Buchstaben lasen sich, einmal beherrscht, so leicht wie Elfisch oder Zwergisch.

Nachdem Draecon das erste Stück Pergament überflogen hatte, schob er das Schriftstück beiseite. Nichts Wichtiges, eine Beobachtungsmission mit Vermerkungen. Auch die zweite und dritte Schrift besaßen nichts Ausschlaggebendes. Es ging um die Hexen von Xofori, schwammige Mutmaßungen derer, die dieses verfluchte Land nie betreten hatten.

Die vierte Schrift allerdings ließ Draecon kurz innehalten. Seine Augen schweiften über die Wörter, entschlüsselten die wunderschöne Schrift. Es ging um die fünf Himmelsschlangen, dieses Stück Pergament war aus den Zeiten, in denen der Silberne von seinen Geschwistern noch geachtet worden war. Nox hatte die Worte eines unbekannten Dichters zitiert, unter dem Text stand in Klammern, dass das öffentlich zugängliche Stück vernichtet worden war.

Allerdings schob Draecon auch dieses Stück bald schon zur Seite, es war einfach nicht das, was er brauchte. Fünf weitere Schriftstücke folgten, ähnlich jenem, das der Assassine eben noch gelesen hatte. Auch in ihnen handelte es sich um Drachen, Assassinen und Diener, die ihren Herren alles geben würden, was in ihrer Macht stünde.

Draecon hatte schon beinahe die Hoffnung aufgegeben, als er das zehnte Stück Pergament zu sich zog. Die Sonne war bereits untergegangen, ihr Schein durch die Kaminöffnung nach draußen war verschwunden. Stattdessen saß Draecon im Zwielicht der Öllampe, die brennende Flüssigkeit war schon fast aufgebraucht.

Die Schriftrolle war ein Stammbaum aus dem Jahr 12.089. Zwei Jahre alt. Das Pergament war noch nicht vergilbt, keine Flecken ließen sich darauf blicken.

Auf das Papier hatte jemand mit Hast die Stammbäume der Kentaurenfürsten gekritzelt. Draecons Finger schweifte zu dem Namen Appalusius, der neben dem Bild eines stattlich aussehenden Kentauren prangte. Ein Pfeil nach links, Efelia, Ehefrau und Genossin. Keine Kinder. Vater von Efelia: Ingolfius. Vater von Appalusius: Caniad. Beide tot. Geschwister: keine. Andere Verbindungen: nichts.

Draecon legte die Stirn in Falten. Es kam ihm merkwürdig vor, dass Appalusius keine Kinder oder Verwandten hatte. Auch war dieses Schriftstück nicht in Drachisch, sondern in der Sprache der Kentauren geschrieben. Hatte Appalusius extra befohlen, nichts über seine Familie zu verbreiten, oder hatte er wirklich niemanden außer seiner Ehefrau Efelia?

Draecon schob das Pergamentstück nach vorne, legte es nicht auf den Stapel mit den unbrauchbaren. Seine Hand griff zur nächsten Schriftrolle. „Alle bekannten Verbindungen der Kentauren zu den anderen Völkern", prangte in Großbuchstaben über der Liste.

Die Augen des Assassinen leuchteten auf. Vielleicht würde er so Elyssus auf die Schliche kommen. Warum hatte er Draecon gerade mit dem Gift des Draith vergiften wollen? Natürlich wirkte es schnell und stark, aber es gab noch Dutzende andere Giftpflanzen anderer Völker. 

Die Trolle zum Beispiel nutzten irgendein Kraut, das in den Bergen des Höhlengebirges wuchs. Auch die Elfen hatten sich einer Blüte bemächtigt, die dem Opfer binnen Sekunden Übelkeit und den Tod des Erstickens brachte.

Draecon fuhr mit dem Finger herab, bis er bei der Kategorie „Xoforis Gifte" landete. Angestrengt zog er die Augenbrauen zusammen, nach kurzem Suchen fand er Draith.

„Draith: tödliches Gift, Kentauren haben keinen Zugriff darauf. Allerdings die Kobolde. Verbindungen zu ihnen möglich", mehr stand darunter nicht. Dennoch legte der Elf auch diese Schriftrolle zu der mit den Stammbäumen.

Er griff zu dem letzten Stück Pergament. Kopfschmerzen hatten sich bereits in Draecons Kopf ausgebreitet, das Lesen bei dämmrigen Licht überforderte seine Augen. Dennoch zwang sich der Assassine, die kantigen Buchstaben zu entschlüsseln. 

„Spitzel der Drachen unter Kentauren", hieß die Schrift. Sofort war Draecon wieder hellwach. Er konnte sein Glück kaum fassen. Dass Nox ihm unwissend so viele Informationen gab, war ein riesiges Geschenk.

Seine Augen rasten über die Zeilen, Namen um Namen entschlüsselten sie.

„Freya, magisch begabte Elfe; Gnobbry, weit gereister Kobold mit vielen Informationen; Unathiel, einer der besten Kämpfer in Nyrathur;..." so ging es weiter.

Kurz entschlossen nahm Draecon die weggelegten Schriftstücke und legte sie sorgfältig wieder zurück in das Geheimfach. Nur das Pergament mit den Namen nahm er mit sich, so unerwartet viele standen darauf, dass er sie sich nicht alle einprägen konnte.

Er hatte eine Spur. Mithilfe der Namen auf dem Schriftstück könnte er endlich herausfinden, wer wirklich hinter dem Giftanschlag auf ihn steckte.

Breath Of Death - Silbernes LodernWo Geschichten leben. Entdecke jetzt