XXIV

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Die Blaue rekelte sich in der untergehenden Sonne. Heute war ein wahrlich schöner Tag gewesen. Sie hatte ihrem Assassinenhaus einen Besuch abgestattet, jeder einzelne ihrer Mörder war gekommen. Jeder einzelne hatte sein Mission abgebrochen, um ihrem Ruf zu folgen. Stolze einhundertsiebenunddreißig Assassinen besaß die blaue Drachin.

Sie hatte sich lange mit Nox unterhalten. Er war ihr Favorit, das wusste er und jeder andere Assassine in ihrem Namen beneidete Nox darum. Es tat der Blauen förmlich in der Seele weh, all ihre Kämpfer in den Dienst der Flammenden zu überschreiben, aber sie hatte keine andere Wahl.

In den Gesetzen der Himmelsschlangen hieß es, dass man sich dem Drachenkaiser zu unterwerfen hatte, wenn zu dem Wohl aller Ältesten beitrug. Ab wann aber eine Situation als solche bezeichnet wurde, war unklar. Und genau diese Schwachstelle nutzte die Rote aus, um ihren ehrenlosen Kampf auszufechten. Sie rechtfertigte ihn damit, dass durch die Aufstände das Leben der Himmelsschlangen gefährdet sei. Dass dies aber noch lange keine Erklärung für ein Massaker war, ignorierte sie geflissentlich.

Die Ruhige hatte kein gutes Gefühl dabei, der Flammenden einfach so zu folgen. Die Rote war aufbrausend, ihre Meinung konnte sich in Sekundenschnelle ändern, aber das Risiko, sie zur Feindin zu haben, war der Blauen zu groß. Schmerzlichst erinnerte sie sich daran, dass der Silberne wahrscheinlich gegen seine jüngere Schwester vorging. Das war vermutlich der größte Fehler seines Lebens, für den er bezahlen musste.

Sie wehrte sich dagegen, der Flammenden einfach so zu folgen. Sie wollte ihre Assassinen nicht in einen so abscheulichen Krieg schicken, schon gar nicht Nox. Er war der beste ihrer Assassinen, zu schmervoll würde es sein, ihn zu verlieren. Aus diesem Grund hatte sie ihn weggeschickt. Es tat ihr weh, ihn nicht in ihrer Nähe zu wissen, aber so war es besser. Sowohl für ihn als auch für sie.

Stattdessen hatte die Ruhige Nox damit beauftragt, Draecon zu suchen. Seitdem der Silberne verstoßen war, war alles durcheinander und sie hatte nicht die leiseste Ahnung, wo der Assassine sich aufhalten würde.

Wenn Nox Draecon aber finden würde, so sollte er ihn mit zu ihr bringen. Sicherlich hatte Draecon viele und wichtige Informationen, die sich ihr nützlich erweisen könnten. Und sie würde Draecon beschützen. Die Drachin wusste, wie viel dem Silbernen an seinem Assassinen lag und sie wollte das Herz ihres Bruders nicht brechen sehen, wenn Draecon in dem Feuer ihrer Geschwister sterben würde.

Die Blaue versuchte, die Pläne ihrer Geschwister zu erkennen. Es war wie in einem Spiel. Ein Spiel, in dem alle zusammen offensichtlcih für etwas kämpften, aber auch, in dem jeder einzelne etwas Eigenes, Undurchschaubares im Hinterhalt vollführte.

Sieben Himmelschlangen gab es - sieben Figuren, die es alle im Auge zu behalten galt. Die Grüne war in den letzten Jahrzehnten aus dem Offensichtlichen gewichen und hatte sich zurückgezogen. Umso gefährlicher war sie nun, da keiner der übrigen Altdrachen wusste, wo sie sich aufhielt und ob sie sich in ihr Handeln einmischen würde.

Man musste vom Schlimmsten ausgehen und das schlimmste war, dass die Grüne sich mit dem Silbernen verbündete und gemeinsam mit ihm gegen die Flammende vorging.

Die blutrote Drachin allerdings schien durch ihren Hass auf Nyrathur blind für alles andere geworden zu sein. Oder verfolgte sie ein eigenes Ziel, eines, das die Blaue nicht erkannte? Wollte die Rote noch mehr erreichen als sie jetzt schon besaß? Wollte sie alles und jeden unterjochen und ihnen, den übrigen Himmelsschlangen, ihre Macht entziehen?

Der Purpurne schien ebenso undurchdringlich. War er wirklich so naiv wie er sich präsentierte oder verfolgte auch er geheime Pläne? Wollte auch er den Rang des Drachenkaisers einnehmen und tat nur so unschuldig? Nein, das konnte sich die Blaue nicht vorstellen. Nicht bei dem Purpurnen. Was aber hatte er dann vor? Es lag nicht in ihren Genen, dass sie sich mit wenig zufrieden gaben. Irgendetwas musste auch den Träumer bewegen.

Blieb noch der Goldene. Seine Ehrerbietung der Flammenden gegenüber war für alle deutlich zu spüren. Was wollte er damit erreichen? Ihr Wohlwollen ihm gegenüber? Seine Kühnheit den anderen beweisen? Die Blaue schüttelte den Kopf. Wahrscheinlich wollte der Goldene bedeutender, größer werden. Aber er war der jüngste, der naivste Drache von ihnen. Seine Versuche des Eroberns würden kläglich scheitern, zu unerfahren war der Jüngling.

Die tiefblaue Drachin seufzte tief. Wie gerne sie mit dem Silbernen Kontakt aufnehmen wollte. Nur ein Treffen, ein einziges, bei dem sie sich unterhalten würden, bei dem seine tiefgründige und entschlossene Ruhe auf sie überstrahlte und ihre rasenden Gedanken für nur wenige Stunden zum Halten bringen würde.

Die Himmelsschlange entfaltete ihre Flügel. Ein letztes Mal sog sie die kühle Meeresluft der naheligiegenden Ostküste ein, dann begann sie mit ihren Schwingen zu schlagen und erhob sich in den verhangenen Himmel. Die Wolken verschluckten ihre Gestalt und die Winde trugen sie in ferne Länder.

———

Das Kind sah ihn an. Große, blaue Augen, in denen sich die Tränen sammelten. Von der Ferne her durchdrang der schrille Schrei seiner Mutter die Nacht, aber Draecon war wie gebannt von dem Anblick des kleinen Jungen. Das Kind blickte nicht unbedingt erschrocken, nicht verängstigt, sondern eher enttäuscht. Enttäuscht von ihm, von sich selbst und von seinem Leben, das nur allzu kurz gewährt hatte.

Blut benetzte langsam die schmalen Lippen des Jungen und die rosigen Wangen begannen zu verblassen. Doch noch immer hielt der Blick in Draecons pechschwarze Iriden das Kind aufrecht auf den Beinen. Obwohl es eine Hand fest auf die blutende Wunde gepresst hatte, stand es gerade, um seinen Mörder, um Draecon, in die Augen sehen zu können.

Dem Assassinen glitten die Messer aus den Händen, versteinert stand er da, unfähig den Blick von den Augen des Kindes zu nehmen. Der Junge sollte getötet werden, eine Anweisung des Silbernen, seines Herrn. Der Knabe wäre ein Tyrann geworden, ein Kronprinz, der das Volk der Elfen ins Verderben gestürzt hätte, das hatte die Zukunft dem Silbernen verraten.

Aber noch hatte nichts darauf deuten können, dass der Elf einmal grausam werden würde. Draecon hatte Jahrzehnte des Mordens und des Machtmissbrauchs verhindert, indem er den Jungen getötet hatte.

Ein Zucken ging durch den Körper des Jungen und kurz schien es Draecon, als würden die Augen des Knaben weiß schimmern und das Haar schwarzem Fell weichen.

Als der Junge dann aber zu Boden fiel, war die Einbildung vorüber. 

Draecon sackte auf die Knie. Jetzt, zu diesem Zeitpunkt, hatte man nicht wissen können, was der Elf einmal sein würde. Jetzt war Draecon das Monster, das seelenlose Biest, das einem unschuldigen Kind das Leben geraubt hatte.

Die Augen des Jungen flatterten und verloren ihren Glanz. Ein Schrei durchfuhr die Stille und Draecon fuhr schweißnass und mit pochendem Herzen aus seinem Schlaf auf. Der Junge war das erste Kind gewesen, dessen Leben er beendet hatte. Seit diesem Vorfall nannte man Draecon nicht mehr nur den stillen Tod, sondern auch Kindermörder. Und auf diesen Titel war er wahrlich nicht stolz.

Breath Of Death - Silbernes LodernWhere stories live. Discover now