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Die restliche Zeit, die die beiden noch bis zum Lyander-See brauchten, zog sich ewig und war gleichzeitig nach einer gefühlt viel zu kurzen Weile vorbei. Nur am Rande nahm Draecon wahr, wie sich die Umgebung um ihn herum veränderte. Wie der Geruch mit jeder größeren Siedlung, der sie sich näherten, eine Note von deftigem Fleisch und brennendem Schnaps annahm. Wie das Zirpen der Grillen und Zwitschern der Vögel an- und abschwoll. Wie manchmal das Donnern der Kentaurenhufe spürbar war.

All das spürte der Assassine nicht. War äußerlich scheinbar gefasst, wie er da saß, den Rücken gerade, die Schultern gestrafft, den Kopf erhoben. Das einzige Indiz, das auf seine Unruhe hätte schließen können, war der Griff um sein Messer. Es lag ihm schwerer als sonst in der Hand. Zu schwer. Er war dieser Waffe nicht länger würdig.

Der Elf durfte froh sein, dass Nox den Wagen lenken musste und er somit seine Ruhe hatte. Den Assassinen hier bei sich würde er nicht ertragen.

Hätte Nox ihn in der Gasse sterben lassen, hätte Draecon sich jetzt nicht diesen schrecklichen Gefühlen stellen müssen, die ihn von innen auffraßen. Das, was er gerade dachte, war egoistisch und dumm, aber er müsste jetzt nicht die Konsequenzen für sein Handeln tragen. Dafür, dass er nicht für Garwhens Sicherheit gesorgt hatte, damit er ihn lebend und kerngesund mit seinem Karren sicher aus Neehri gebracht hätte.

Hätte Draecon nicht überlebt, müsste man dem Silbernen nicht die Bürde auftragen, sich um seine Strafe zu kümmern.

Mit einem Mal hörte das Ruckeln des Wagens auf. Von vorne schlug Nox gegen das Holz, wohl als Zeichen, dass sie angekommen waren.

Die Hand schon an der Tür, atmete Draecon ein letztes Mal durch. Eine Ruhe und seltsame Ordnung hatten seine kreisenden Gedanken zum Stillstand gebracht. Was das hieß, konnte er sich denken. Konnte er fühlen.

Der Silberne war bereits hier.

-

Dem Silbernen stieg ein vertrauter Geruch in die Nase. Es duftete nach Wald. Nach einer Mischung aus Erde und Kiefer. Da wusste er, dass Draecon und Nox angekommen waren.

Mit einigem Abstand zwischen sich kamen zwei Gestalten zu ihm, die unterschiedlicher nicht hätten sein können. Ein Assassine, getaucht in schwarze Dunkelheit und ein Kind der Nacht, hinter sich ein anderer Elf, gesegnet von Licht und geküsst vom Sonnenschein.

Als Draecon und ein wenig später Nox den Drachen erreichten, fielen beide auf ein Knie und senkten ehrerbietig ihre Köpfe.

Der Silberne schwieg. Er wusste, dass er es Draecon damit nicht einfacher machen würde. Wusste, dass der Assassine einen Fehler gemacht haben musste. Aber das Einzige, was er nicht wusste, war, ob er es riskieren sollte.

„Mein Herr." Obwohl Draecon seine Stimme verdammt gut unter Kontrolle hatte, merkte der Silberne ihm sein Unwohlsein an. Für einen Außenstehenden schien alles in guter Ordnung zu sein, aber die Art, wie Draecon dort ein wenig steifer kniete, den Kopf etwas gesenkter hielt oder seine Kiefermuskeln langsam arbeiteten, zeigte ihm, dass es ernst war.

Er ging nicht darauf ein, was sein Assassine gesagt hatte, sondern lenkte seinen Blick zu Nox.

„Gestattet Ihr uns einen Moment, Meister Nox?", fragte er. Der Assassine der Blauen nickte, erhob sich dann und verschwand leise.

Die Himmelsschlange verwandelte sich. In Elfengestalt würde es Draecon vielleicht leichter fallen, mit ihm zu sprechen. Zwar würde seine allseits zu spürende Macht nicht mit seiner wahren Gestalt gehen, dafür aber womöglich die Angst vor seinem Erscheinungsbild.

Die beiden gingen ein paar Schritte. Der Blick von hier oben herab auf den See löste etwas in dem Silbernen aus.

Hier war nichts, was seine Gedanken ablenken oder beeinflussen konnte.

„Was ist geschehen?", wollte der Silberne wissen, auch, wenn ihm das schon bekannt war.

„Nachdem Appalusius durch meinen Pfeil verletzt oder gar getötet wurde, sollte Garwhen mich etwas außerhalb erwarten. Als ich ihn fand, lag er getötet zu meinen Füßen. Ich musste mich entscheiden, Zeit für ihn zu opfern, um ihm die letzte Ehre zu erweisen, oder aber zu fliehen und ihnen sein Gesicht zu zeigen. Ich entschied mich für Ersteres."

Trotz all der Gefühle, die in Draecon toben mussten, war seine Stimme klar und fest. Stand in keinerlei Beziehung zu seinem wohl aufgewühlten Wesen.

Die Himmelsschlange blieb stehen. Vertiefte sich in den Anblick des Sees und in ihre Gedanken.

Das Blau wirkte grau, beinahe schwarz, die Sonnenstrahlen, die das Wasser hätten wärmen und erstrahlen lassen sollten, waren hinter dicken, grauen Wolken verschwunden.

„Nox hat Euch dann gefunden?", fragte der Älteste. Als Antwort erhielt er ein Nicken.

„Ohne Nox... wäre ich gestorben", fügte Draecon hinzu, sein Zähneknirschen war dabei deutlich zu hören.

Der Silberne ging auf diesen Satz nicht ein. Starrte lediglich wieder auf den ihnen zu Füßen liegenden Lyander-See.

„Ihr...", er stockte kurz, du, Draecon, weißt, welche Konsequenzen dein Handeln mit sich ziehen könnte. Ich möchte niemanden beunruhigen, aber aufgrund der schon jetzt angespannten Situation zwischen meinen Geschwistern und mir ahne ich Böses."

Er ließ die Worte wirken, schwieg kurz.

Es war gespenstisch still. Die Raben, die anfangs auf den Bäumen gesessen und gekrächzt hatten, waren jetzt verstummt. Das leise Rascheln des Windes in den Baumkronen hatte nachgelassen. Und somit auch die vereinzelten Geräusche, die er aus der Umgebung hierhin getragen hatte.

„Womit rechnet Ihr?", fragte Draecon leise. Und es war immer noch keine Angst in seiner Stimme zu hören.

„Sie werden die höchste Strafe suchen, die sie dir und mir auferlegen können. Für sie bin ich schon lange überflüssig, die Rote giert nach meiner Macht. Meinem Einfluss. Für sie bin ich schon lange nicht mehr der Älteste und schon gar nicht der Drachenkaiser."

Das war keine richtige Antwort, das wusste der Silberne. Aber er wusste auch, dass er Draecon jetzt nicht unnötig beunruhigen sollte.

„Ich werde Rücksprache mit der Blauen halten. Ihr solltet Euch dorthin zurückziehen, wo Ihr vorerst sicher seid. Kehrt heim."

Das waren harte Worte für einen Assassinen. Es war eine vorübergehende Beurlaubung. Ein Schlag ins Gesicht.

Und all dessen war sich der Silberne nur zu sehr bewusst.

Aber dies war das erste Mal, dass einer seiner Assassinen dann einen Fehler gemacht hatte, als die Situation zwischen ihm und seinen Geschwistern mehr als angespannt war.

Und der Silberne wusste bei ganz Nyrathur nicht, was dieser Fehler bewirken würde.

Breath Of Death - Silbernes LodernWo Geschichten leben. Entdecke jetzt