XXV

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Egal wie sehr Draecon den schwarzen Rappen anpreschte, egal wie sehr der Wind an seinen Kleidern riss. Es war egal wie viele Vorwürfe er sich machte und es war egal wie viele Tränen er seit diesem Kindermord vergossen hatte.

Der Assassine würde der Vergangenheit nie entkommen können. Nicht nur der Vergangenheit, sondern auch der Gegenwart und der Zukunft. Er hatte einen Jungen getötet, er war ein Kindermörder und er würde immer ein Kindermörder bleiben. Egal wie sehr er dies ausblenden wollte oder stillschweigend um Vergebung bat.

Der Schweiß des stolzen Hengstes sammelte sich unter Draecons Beinen. Der Atem des Tieres ging stoßweise, der Elf hatte während des Rittes jegliches Gefühl für Zeit verloren. Einen solchen Albtraum hatte Draecon fast noch nie gehabt. Genau gesagt einmal, damals in der ersten Nacht nach jenem Ereignis. Dass ihn heute diese Erinnerung wieder eingeholt hatte, ließ Draecon nervös werden. Warum hatte er ausgerechnet jetzt einen Albtraum? Hing es damit in Verbindung, dass der Silberne - und somit auch Draecon - seine Kraft verloren hatte? Oder kam in letzter Zeit einfach zu viel zusammen?

Draecon wusste es nicht. Jedenfalls verfluchte er sich dafür, dass er eine solche Schwäche besaß. Albträume waren etwas für Kinder, die sich vor den Monstern im Dunkeln fürchteten, nicht aber für einen Assassinen, der seit Jahrzehnten im Namen der Himmelsschlangen mordete.

Der erste Sonnenstrahl kämpfte sich am Horizont den Weg durch die dicke Wolkendecke. Der Himmel im Osten hatte sich rosa verfärbt und während der Mond und die Sterne wichen, ging die Sonne auf. Langsam aber sicher verdrängte sie die Kälte der Nacht und somit auch Draecons Furcht vor einem erneuten Eindösen, in dem der Junge ihn wieder heimsuchen würde.

Der Assassine ließ die Zügel des Hengstes los und ließ das stolze Tier in einen langsamen Trab fallen, bis er schließlich abstieg und den Rappen zu einem kleinen Flüsschen führte. Gierig trank das Pferd, während Draecon daneben stand und sich im reflektierenden See anstarrte.

Dunkle Schatten lagen unter seinen Augen, die unruhige Nacht sah man ihm deutlich an. Mit einem kurzen Blick zum Himmel begann er, sich zu entkleiden. Er brauchte dringend eine Wäsche. Unter seinen Fingernägeln klebte Schmutz, Dreck verkrustete seinen Körper an Stellen, die er sich nicht einmal ausgemalt hätte. Seine Klamotten waren durchgeschwitzt und die ständig an ihm haftende Müdigkeit schien ihn nicht loszulassen.

Langsam stieg er in das kühle Nass, es war so kalt, dass er schon nach wenigen Herzschlägen seine Finger nicht mehr spürte. Mit einem Seufzen glitt er weiter ins Wasser, mit jedem weiteren Atemzug in dem Fluss schien er wieder wacher zu werden. Draecon tauchte unter und als er die Wasseroberfläche wieder durchstieß, lag sein Blick auf einer prunkvollen Stadt. Der Elf hielt inne.

Dass er Cadania schon so nah war, hatte er nicht gemerkt.

Selbst aus der Ferne und bei sprälichem Licht glänzten die bronzenen Dächer. Die Wände waren aus Pflasterstein und die Straßen geteert. Üblicherweise legten Kentauren nicht viel Wert auf ihre Siedlungen, aber bei Großstädten wie eben Cadania war es anders.

In der Ferne wurde der Fluss breiter, bis er dann zwischen den ersten Häusern verschwand.

Schnell stieg Draecon aus dem Wasser, rieb sich halbherzig mit seinem Umhang trocken, ehe er sich anzog und den schwarzen Hengst weiter antrieb.

Ebenso wie er selbst schien auch der Rappe wieder erneute Kraft geschöpft zu haben. Mit langen Schritten näherte er sich Cadania. Schon bald hatten sie die ersten Äcker erreicht.

Draecon zügelte das Tier und stieg ab. Langsam tätschelte er den verschwitzten Hals, während er sein Gepäck von dem Rappen löste.

„Ich danke dir", sagte der Assassine und kraulte dem Pferd die Stirn. „Du bist frei."

Der Hengst schnaubte und warf den Kopf zurück. Draecon stöhnte. „Komm schon, ich habe wenig Lust darauf, unnötiges Aufsehen zu erregen", knurrte er. Das Pferd wieherte einmal kurz, dann stieg es auf die Hinterbeine und entfernte sich mit einem schnellen Galopp.

Der Elf blickte dem prächtigen Tier nachdenklich hinterher. Da stand er nun, ein Assassine eines gefallene Drachen, alleine mit seinem Gepäck vor Cadania. Merkwürdigerweise vermisste er das Pfed. Er war schon immer alleine gewesen und das hatte ihn nie gestört. Er hatte immer den Glauben gehabt, dass der Silberne auf ihn Acht gab. Tat er ja auch. Er war nur nie materiell da gewesen.

Im Gegensatz zu den Kobolden hatte das Pferd ihn auch nicht gestört. Weil ihm die Sprache verwehrt war, konnte es ihn nicht mit dummen Dingen zutexten. Es war ein stiller Begleiter gewesen, es nun gehen zu lassen, tat Draecon weh.

Immer noch blickte er auf die Stelle, an der das Pferd aus seinem Sichtfeld verschwunden war. In Gedanken taufte er es Lōd. Lōd wie das Orakel, dessen Existenz zwar fragwürdig, aber dennoch von Person zu Person unterschiedlich war.

Draecon persönlich war davon überzeugt, dass solche Orakel nicht exisistierten. Die einzigen Orakel Nyrathurs waren die Himmelsschlangen, aber die Vorstellung, was für Sagen um Lōd spielten, gefiel ihm.

Lōd, das Mächtige, Geheimnisvolle, dessen Vorhersagen die Grausamkeiten der Zukunft widerspiegelten.

Draecon wandte sich ab. Er konnte nicht ignorieren, dass er hoffte, Lōd eines Tages wiederzusehen.


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Hello hello an alle Leser, die es tapfer bis hierhin durchgehalten haben.

Ich kann euch sagen, dass ihr schätzungsweise etwas mehr als einen Drittel dieser Geschichte nun abgeschlossen habt (ich kann das noch nicht genau sagen, weil ich dieses Buch noch nicht komplett zu Ende geschrieben habe).

Ein großes Dankeschön geht derweil an @LittlePolarfox. Danke für deine große Unterstützung in Form von Votes und Kommentaren, das hilft mir immer sehr!

Wir lesen uns im nächsten Kapitel

Versenklang

Breath Of Death - Silbernes LodernHikayelerin yaşadığı yer. Şimdi keşfedin