XXXVII

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Dreniul schloss resigniert die Augen. Er hatte sich zurückgezogen, um ein wenig mit sich und seinen Gedanken alleine zu sein. Er würde Draecon ohne zu zögern helfen, er bewunderte den Assassinen und auch dem Silbernen würde er sich sofort fügen.

Allerdings brachte der Elf es auch nicht übers Herz, seine Mannschaft, die ihm seit Jahrzehnten treu diente, auf eine ungewisse Reise zu schicken. Vermutlich hatte Draecon recht: wenn Xofori doch einen so gefährlichen Kurs hatte, wie konnte dann beispielsweise das Gift vom Draith bis zu den Kentauren gelangen?

Das Hexenreich war verdammt und gefährlich, die Kobolde dort waren mächtig und klug. Sie hatten Waffen - tödliche Waffen, die nur sie zu führen vermochten. Wenn Draecon dort auf dieser Insel umkommen würde, würde sich der Zorn des Silbernen womöglich auch gegen Dreniul richten. Schließlich wäre er dann jener Mann gewesen, der Draecon in den Tod gefahren hatte.

Ein Blick durch das runde Fenster verriet Dreniul die vorangeschrittene Zeit. Es war bereits Abend und noch immer hatte er keinen Entschluss gefasst. Er sollte seine Mannschaft fragen, zumindest seine Vertrauten. Sie hatten das Recht zu entscheiden und er würde ihre Entscheidung ohne zu zögern umsetzen.

Der Elf öffnete die Tür zu seinem Gemach und schritt durch die Gänge hinauf aufs Deck. Um diese Zeit saß der Großteil seiner Mannschaft in der Kombüse beim Essen, nur seine treuesten Gefolgsleute waren noch am Arbeiten.

Knapp befahl Dreniul einem Schiffsjungen, seine Vertrauten zusammenzurufen und kaum dass sie da waren, erläuterte der Kapitän seine Lage. Es dauerte keine halbe Stunde, da hatten sie entschlossen, die Reise anzutreten. Seit mehr als 38 Jahren segelte die Sturmflut immer dieselben Wege, lief immer dieselben Häfen an und erlebte immer dieselben Meeresgänge.

Der Wunsch nach Abwechslung hatte sich in jedes ältere Bordmitglied gefressen.

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Draecon stand an der Reling und sah auf das nächtliche Meer hinaus. Von Merilvor bis Xofori waren es nicht viele Meilen.  

Wenn man der schmalen Verbindung von dem Kontinent mit den Kentaurenlanden folgte, traf man auf ein weiteres, großes Stück Land. Es erstreckt sich fast über die ganze Nordhalbkugel Nyrathurs und reichte von den nördlichen Gebirgsketten bis nach unten zu den Elfenstädten.

Eine dieser Elfenstädte war Merilvor, segelte man von dort aus westlich, stieß man auf Xofori, dem - vergleichsweise - kleinen Kontintent, auf dem Dutzende Gifte hergestellt wurden.

An sich könnte man meinen, die Reise sei nicht gefährlich, aber die Unkenntnis über diese Route ließ Zweifel aufkommen. Es konnte gut sein, dass schwer erkennbare Felsen ihr Schiff aufrissen, dass ihnen unbekannte Gestalten auf noch unbekannteren Ländern den Weg kreuzten. Es konnte sein, dass die Monster, die die Zwerge und Trollen ihren Kindern erzählten, Wirklichkeit waren und sie alle verschlang.

Aber selbst wenn es so sein sollte, dann war Draecon für den Silbernen gestorben. Der Tag, an dem ein Elf zu ihm gekommen und ihn mit zu der Schule für Assassinen genommen hatte, hatte sein ganzes Leben geändert. Der Elf erinnerte sich nicht gerne an sein Leben vor dem Silbernen. Auch wenn es mehr als hunderte von Jahren zurücklag, waren ihm immer noch einige Dinge im Gedächtnis geblieben.

Draecon war ein Straßenjunge gewesen. Er war ein Waise gewesen, seine Eltern hatte er nie kennengelernt. Entweder waren sie schon früh gestorben, oder aber sie hatten sich nicht sonderlich für ihn interessiert. Draecon glaubte eher letzteres.

Er war ein armes, mitleidserregendes Kind gewesen, hatte von Diebstählen und Spenden gelebt. Abends war er manchmal stundenlang umhergelaufen aus Angst vor der Dunkelheit und Einsamkeit. Er hatte neben Straßenkötern geschlafen, hatte Kobolde besucht und sich in Ställe geschlichen. Sobald man ihn aber erwischt hatte, wurde er erbarmungslos vertrieben. Die Elfen waren kein gutes Volk. Er hatte kein Mitleid, keine Wärme von ihnen erfahren.

So war er zu einem unglücklichen Mann herangewachsen. Ja, er war unglücklich gewesen, aber er war stark und hatte sich behaupten können. Er hatte die unfreundlichsten Charakterzüge kennengelernt, hatte in den kältesten Nächten draußen geschlafen und in den erntereichsten Zeiten gehungert. Draecon wusste wahrlich, was es hieß ein schweres Leben zu haben.

Der Assassine blickte in den Himmel. Die Sterne leuchteten träge, die Wolken schoben sich ungerührt vor die leuchtenden Dinger. Auch der Mond schien abgestumpft, seine abnehmende Sichelform war kaum noch zu erkennen.

Schritte schlurften träge über das Deck und als Draecon sich umdrehte, sah er das leuchtend blonde Haar von Dreniul und sein verbranntes Gesicht dahinter.

„Wir nähern uns Xofori. Es ist ruhig. Zu ruhig", sagte der Elf tonlos. Als Draecon nichts darauf erwiderte, stützte auch der Kapitän der Sturmflut seine Hände auf die Reling.

„Siehst du die Wellen?", fragte er und deutete mit dem Kinn an den Horizont. Der Assassine nickte. „Sie deuten einen Sturm an. Ich bin mir nicht sicher wann er einbrechen wird, aber er wird heftig", stellte Dreniul fest.

Das Holz unter ihren Füßen begann leise zu knarzen und die schlaffen Segel bewegten sich träge. „Irgendetwas stimmt nicht", sagte er noch, bevor ein Zittern durch die Holzplanken lief.

Augenblicklich erschienen weitere Elfen mit Öllampen auf dem Deck. Draecon sah zu Dreniul auf. „Ich denke, es wäre besser, wenn du das Steuer übernehmen würdest", schlug er ihm gleichgültig vor. Dreniul nickte, wobei sein glänzendes Haar das entstellte Gesicht verdeckte.

„Kapitän Dreniul, was ist das?", rief ein Seemann dem Schiffsführer zu, als dieser auf das Steuer zuging. „Xofori. Es heißt uns nicht willkommen", entgegnete Dreniul rau, ehe er das Holz umfasste und das Steuer herumriss.

Die Sturmflut gab ein stöhnendes Ächzen von sich und etwas schrammte an der Unterseite des Handelsschiffes entlang. Die Haare auf Draecons Unterarmen stellten sich auf und die Mannschaft von Dreniul erstarrte.

„Matrose, wie lange noch bis zum Festland?", rief Dreniul einem schwarzhaarigen Elfen zu. „Ich weiß es nicht, der unregelmäßige Wellengang und der aufkommende Nebel erschweren das Abschätzen!", berichtete er seinem Kapitän. Der Wind wurde lauter und blähte die Segel auf. Wieder hörte Draecon etwas an dem Kiel entlangfahren.

„Aus welcher Richtung kommt der Wind?", fragte Dreniul. „Nördlich", antwortete ein anderer Seemann. Kurz blieb es still, dann befahl der Kapitän: „Bergt die Segel! Der Wind wird uns abtreiben!"

Draecon ging auf den blonden Elfen zu. Immer wieder kratzten unterseeische Riffe über das Holz. Das Geräusch bereitete ihm eine Gänsehaut.

„Seht nach, ob die Unterseite der Sturmflut beschädigt ist!", trug Dreniul zwei anderen Elfen auf. Augenblicklich verschwanden sie im Unterdeck.

„Wie lange noch bis nach Xofori?", wollte Draecon wissen. Der Kapitän kniff leicht die Augen zusammen. „Ich weiß es nicht", gestand er, „wir verlieren an Fahrt. Die Gefahr, die von den Riffen ausgeht, zwingt uns vorsichtig zu fahre. Dazu der Wind - wir sind auf ihn angewiesen, kommt er aus dem Norden treiben wir immer weiter ab."

„Kapitän, wir haben ein Leck", rief einer der Elfen, die Dreniul eben noch ins Unterdeck geschickt hatte. „Scheiße. Wie groß?", verlangte er daraufhin zu wissen.

„Nicht groß, nur etwa zwei Fäuste. Es ist aber davon auszugehen, dass es nicht nur bei diesem einen bleiben wird", erwiderte der Seemann.


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An dieser Stelle möchte ich mich einmal offiziell bei @Fortuna_Fox bedanken - vielen Dank für deine Kommentare, deine Kritik, Fragen und das Lob, mit dem du mir immer wieder ein Lächeln auf die Lippen zauberst! ❤️

Breath Of Death - Silbernes LodernWhere stories live. Discover now