XXXIX

31 5 16
                                    

„Alle Mann aus den Kojen!", schrie ein schwarzhaariger Elf. Draecon blinzelte. Auch wenn er es hatte vermeiden wollen, war er wohl oder übel eingenickt. Mit dem Rücken an der Wand lehnend hatte er anscheinend zu der Minderheit gehört, die schlafen konnte. Acht Seemänner wälzten sich stöhnend aus ihren Betten, die restliche Mannschaft war demnach auf dem Deck.

Der Sturm hatte zugenommen, laut heulte er draußen und das stetige Brechen einer Welle war das einzige Geräusch, das den Wind übertönte.

Draecon kletterte die schmale Treppe hinauf aufs Deck. Wieder einmal flammte sein Zorn auf, als ihm seine kleine Größe Schwierigkeiten bereitete. Aber die Verwandlung war ein Zweck zum Ziel. Bald schon würde er wieder ein Elf sein und die paar Tage, in denen er ein braunes, kleines Heinzelmännchen war, würden sich am Ende auszahlen.

Als der Assassine schließlich auf dem Deck stand, peitschte ihm kalter Regen ins Gesicht. Die Tropfen fielen so dicht, dass man kaum etwas erkennen konnte. Vage machte der Elf die Gestalt von Dreniul aus. Der Kapitän stand wieder am Steuer, sein Gesicht war gleichgültig, in seinen Augen aber stand Schmerz.

„Überall sind Riffe. Wir sind dem Spiel des Windes ausgesetzt, uns bleibt nur zu hoffen, dass wir nicht zu viele Lecks kriegen", rief der Elf gegen den Sturm an. Draecons Blick heftete sich auf das Land am Horizont: Xofori.

„Es sieht allerdings gut aus", berichtete der Kapitän der Sturmflut, „die Lecks bisher haben wir gut zu reparieren bekommen und der Wind kommt aus Nord-Osten. Wenn es so bleibt, werden wir lebend an Land kommen."

Draecon nickte knapp. Er spürte keine Erleichterung, keine Last, die ihm jetzt von den Schultern fiel. Er hatte gewusst, dass er nicht auf dem Meer sterben würde. Wenn sein Tod anrückte, dann würde er an der Seite des Silbernen sein, in dem letzten Versuch, die Himmelsschlange zu schützen. Ein solch bekannter Assassine wie er ging nicht einfach unter. Sein letzter Kampf würde voller Ehre sein und noch Jahrhunderte später würde man sich an Draecon, den stillen Tod erinnern.

Die Seemänner hatten die Segel der Sturmflut erneut gesetzt, wütend blähten sich die großen Stofflaken auf und trieben das Schiff an. Die Sturmflut gewann an Fahrt, es dauerte nicht mehr lange, da würde sie das Moor von Xofori erreichen.

Der Wind heulte inzwischen so laut, dass man das Scharren der Riffe nicht mehr hörte. Das Einzige, was die Mannschaft signalisierte, dass die Sturmflut über Felsen schrammte, waren die Rucke, die in Sekundenabständen das Schiff erbeben ließen.

Immer wieder meldeten Elfen eindringendes Wasser im Unterdeck, wobei die Kajüte ein ums andere Mal nicht betroffen war.

Alle Elfen, die auf der Sturmflut segelten, hatten sich an der Reling versammelt. Felsen ragten am Horizont bedrohlich auf und verdeckten das Licht der Sterne. Niemand schien die Ankunft erwarten zu können, obwohl es Xofori war, das sie ansteuerten.

Immer wieder ächzte das Holz der Sturmflut gequält auf und doch schaffte das Schiff es, bis die ersten Felsen aus dem Meeresboden ragten.

„Spannt weitere Segel!", schrie Dreniul und mit geübten Handgriffen wurden weitere Stofflaken in die Höhe gerissen, die die Segel bei ihrer Arbeit unterstützen sollten. Die Elfen hatten trotz ihren durchtrainierten Muskeln große Schwierigkeiten, die Stoffe zu halten. Unbarmherzig riss der Wind daran und trieb die Sturmflut an.

Das Auf und Ab der Wellen brachte Übelkeit mit sich, nicht wenige Seemänner erbrachen sich in dem schwarzen Meer. Sobald die nächste Böe aufkam, machte das Schiff einen Satz nach vorn. Jeder Elf auf dem Deck spürte das Knirschen, das Zersplittern des Holzes. Panisch meldete ein Seemann ein großes Leck, dieses Mal nahe der Kajüte. Als Draecon einen Blick ins Unterdeck warf, sah er Massen von Wasser in das Schiff eindringen.

Einige Elfen sanken auf die Knie und beteten zu nicht existierenden Göttern. Ihr Anblick war kümmerlich, nur die Himmelsschlangen konnten jetzt noch über ihr Schicksal bestimmen.

Als Draecon seinen Blick von dem überflutenden Unterdeck löste, erkannte er, dass Xofori nicht mehr weit entfernt war. Er sah einigen Elfen förmlich an wie sehr sie sich danach sehnten, einfach vom Schiff zu springen und die restliche Strecke zu schwimmen. Vermutlich wäre das keine schlechte Idee, wären da nicht die Riffe.

Mit einem letzten Holpern lief die Sturmflut schließlich die felsige Küste an. Schiefergraue Steine bildeten eine scharfkantige Bucht, Flechten hatten sich mit der Zeit auf dem festen Material niedergelassen. Risse spalteten das Gestein an einigen Stellen, mehrere Schritt hoch reichte die Felswand, sie bei dieser Nässe einfach zu überwinden stand nicht unbedingt in seinem Sinne, aner wenn es sein musste, würde es der Assassine ohne zu zögern tun. 

Noch immer zerrte der Wind an Draecons Kleidern und der Geruch nach Moor und Verwesung trieb ihm in die Nase.

Dreniul war der erste, der die Sturmflut verließ, dicht gefolgt von Draecon. Die Steine waren bei dem Regen rutschig und einige Elfen hatten damit zu kämpfen, das Gleichgewicht zu halten. Niemand sagte etwas, ein bedrückendes Gefühl hatte sich hier niedergelassen. Xofori war wahrlich kein Ort, an dem man willkommen geheißen wurde. Hier wurde Gift geerntet, Gift, das um die ganze Welt geschickt wurde und das verantwortlich für so viele Tode war.

Auch Draecon benutzte Gift, aber er hatte noch nie nach dem Draith oder anderen Giften aus diesen Mooren gefragt. Stets hatte er mindere Toxine benutzt, Säfte oder Beeren von Pflanzen, die auf den großen Kontinenten Nyrathurs wuchsen und nicht in Xofori.

Der Kapitän der Sturmflut blieb vor der meterhohen Steinwand stehen. „Wir werden dich noch bis da oben begleiten. Von dort aus werden wir uns um unser Schiff kümmern, versuchen, die Lecks zu reparieren. Ich weiß nicht wie lange wir brauchen werden, ich schätze drei bis vier Tage, weil wir das benötigte Material erst noch besorgen müssen. Solltest du bis dahin noch nicht zurückgekehrt sein, fahren wir ohne dich zurück", stellte Dreniul klar.

Draecon nickte und nahm eines der Taue entgegen, die ein Elf herumgab. Er band es sich um die Hüfte und nahm zwei seiner Messer in die Hand. Der Aufsteig sollte trotz des Sturms und der Nässe nicht allzu fordernd sein. Der Assassine hatte schon gefährlichere Dinge erlebt, er fürchtete sich nicht vor dem Klettern. Denn er war schließlich Draecon und das hier war seine Geschichte. Und eben diese Geschichte würde nicht so einfach enden. Sie würde enden, wenn er als Autor den letzten Punkt setzte.

Breath Of Death - Silbernes LodernWo Geschichten leben. Entdecke jetzt