XLI

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Draecon musterte Freyas Karte. Laut der Zeichnung war Xofori eine schmale, längliche Insel, umrandet von Gebirgsketten. Die Sturmflut war an der Südkuste, den ‚Teufelsfelsen', angelaufen. Der Name erklärte sich von selbst; die Riffe sprachen für sich.

Wenn der Assassine weiter nach Westen ins Landesinnere wandern würde, stöße er auf die ‚Ätzenden Seen'. Draecon wollte sich nicht ausmalen, warum der Elf, der diese Karte skizziert hatte, sie so genannt hatte.

Die ‚Ätzenden Seen' erstreckten sich durch die gesamte Mitte Xoforis. Weiter nördlich stand ‚Öde Wüste' geschrieben. Dass es einen „öden" Ort in Xofori gab, wollte Draecon nicht glauben. Überall auf dieser Insel gab es Gift. Toxin, das durch das Land pulsierte wie das Blut durch einen lebendigen Körper.

Unten auf der Karte, dort, wo ‚Todesreich - Draithplantagen' geschrieben war, war schemenhaft die Masse eines großen Waldes angedeutet. Draecon strich mit einem Finger über die Bäume. Er hasste Wälder. Überall könnten dort Gefahren lauern, Tiere, Hexen und anderes unbekanntes Leben.

Er drehte sich um. Zwei weitere Elfen hatten bereits die Klippe bestiegen und standen kaum zwei Schritt von dem Assassinen entfernt. Einer von ihnen war Dreniul. Er hatte seine Augen zusammengekniffen, das Wind peitschte ihm ins Gesicht und offenbarte immer wieder seine entstellte Haut.

Draecon ging zu ihm, wobei er gekonnt die Karte verschwinden ließ. Es war besser, wenn so wenige davon wussten wie nur irgends möglich.

„Wir brauchen Waffen", stellte Draecon klar, „der einzige Ort, an dem ihr Holz für eure Reparaturen finden werdet, ist dort." Er deutete mit einer Hand gen Süden.

Dreniuls Augen wurden noch schmaler. „Ich glaube ich will nicht wissen, woher du das weißt", knurrte er und gab seinem Begleiter ein Zeichen. Während dieser den Seemännern, die noch bei der Sturmflut waren, die Notwendigkeit für Waffen zu verstehen gab, legte Draecon den Kopf schief.

„Ich bin Assassine", antwortete er, „meine Informationen reichen weit."

Dreniul nickte nur knapp, dann wartete er gemeinsam mit Draecon auf die restliche Besatzung des Schiffs.

———

Yascaena war eine bildschöne Stadt. Sie war durch eine breite Mauer in zwei verschiedene Gebiete eingeteilt. Der äußere, etwas ärmere Stadtring wurde von großen Fachwerkhäusern gekennzeichnet. Der weiße Verputz stand im großen Kontrast zu den schwarzen Holzbalken und den dunklen Dächern. Hoch aufragende Laternen erleuchteten den Stadtteil mit warmen tanzenden Lichtern, die lange Schatten in die Gassen warfen. Die Straßen Yascaenas blitzten im Licht hell, fast weißlicher Stein bedeckte den Boden und von hier oben sah man die vier großen Straßen, die den äußeren Bezirk mit dem inneren verbanden.

Auch die Mauer, die beide Teile trennte, war aus diesem sonderbaren Stein erbaut.

Yascaenas inneres Gebiet strahlte noch mehr Reichtum aus. Auf den hellen Gebäuden saßen silberne und goldene Dächer, Edelsteine waren ab und zu in ihnen eingelassen und warfen das Sonnenlicht in Tausenden von Farbtönen zurück.

Der Purpurne seufzte. Sein Herz zog sich schmerzhaft zusammen, als er auf die Stadt sah und sich vor Augen führte wie lichterloh sie brennen würde.

Man hatte den purpurnen Drachen und dessen Assassinen eingesperrt. Seine Geschwister hatten Angst, dass er eingreifen würde, dass er sich gegen sie auflehnen würde in dem Versuch, Yascaena zu schützen.

Resigniert trat der Purpurne einen Schritt zurück. Niemals würde er sich gegen die Flammende und ihre Mitläufer stellen. Er war nicht so dumm, sie herauszufordern wo er doch wusste, zu was sie fähig waren. Allerdings würde er es auch nicht über sich bringen, eine solch schöne Stadt wie Yascaena zu zerstören.

Die Himmelsschlange wandte sich ab. Das Vogelgezwitscher war schon vor Stunden verstummt, Nyrathur ahnte wohl, dass irgendetwas nicht stimmte.

Der Friedliche schwankte, bevor er auf den Boden ging. Er wusste nicht, was die Flammende schon wieder Teuflisches angerichtet hatte, aber man hatte ihn in einen mit Zauber belegten Käfig gesteckt wie ein Tier. Der Drache spürte, wie mit jedem seiner Atemzüge immer mehr seiner Kraft aus ihm gezogen wurde und es war nicht schwer zu ahnen, was es war, das ihn so schwächte.

Der Purpurne hatte sich in Elfengestalt verwandelt, sein schwarzes Haar fiel ihm derangiert in die Stirn, seine Kleidung war schmutzig und seine Energie aufgebraucht. Die Flammende wollte ihn nicht töten, aber sie wollte ihn auslaugen, sicherstellen, dass er nicht doch irgendwie entkommen könnte.

Es traf den Friedlichen schwer, dass die Blaue ihm nicht geholfen hatte. Als die Rote offenbart hatte, was sie mit ihm anstellen würde, hatte die Ruhige nur geschwiegen, ihre blauen Augen hatten schwer auf seinem Gesicht gelegen.

Nun war er alleine, geschwächt und dazu verdammt einer Kulturstadt wie Yascaena beim Untergang zuzusehen.

Der Purpurne kämpfte nicht mehr. Er hatte bereits alles versucht und nichts hatte funktioniert. Er hatte an den Stäben gerüttelt doch mit jeder Berührung war mehr seiner Kraft entschwunden. Er hatte geschrien, gewütet, bis er heiser war und doch war niemand gekommen. Es brachte alles nichts. Er war hilflos.

Plötzlich drang ein Laut zu ihm, er glich dem eines raschelnden Ungeheuers bis ins Detail. Augenblicklich zog sich alles in dem Friedlichen zusammen. Das Geräusch war kein zufälliges Windesrauschen oder Tier im Gebüsch. Nein, es war der Startschuss für einen Krieg.

Der Drache stützte seinen Kopf in die Hände und musste sich doch einen Blick auf Yascaena erlauben. Bildete er es sich nur ein, oder bewegte sich der Wald um ihn herum? Waren es die Erdkriecher, die sich auf den Angriff vorbereiteten oder war es nur eine Illusion seines Geistes?

Der Purpurne wurde ruckartig aus seinem Betrachten der Umgebung gerissen, als sich ihm eine Elfe näherte. Sie war ansehnlich, verführerisch mochte man meinen.

Ihre weißlichen Haare waren zu zwei Zöpfen gebunden und die Himmelsschlange hätte die Elfe nach ihrem Namen gefragt, wären da nicht diese beiden klaren, blauen Augen.

„Flieh. Meine Zeit ist knapp, die Flammende kehrt in wenigen Minuten von ihrem Jagdausflug zurück", sagte die Blaue und der Purpurne erhob sich. Er schwieg, wollte gar nicht wissen, wie die Ruhige zu dem Schlüssel für seinen Käfig gelangt war.

Seine Schwester konzentrierte sich, ihre Lippen bewegten sich lautlos. Ihr stummes Flüstern schwoll zu einem heiseren Keuchen an, bis sie sich von dem Metall los riss und schwankend zu Boden ging. 

„Du musst verschwinden. Die Flammende wird wissen, dass ich dich befreit habe. Es scheint alles Teil eines undurchschaubaren Plans zu sein, ansonsten hätte sie mir nicht den Schlüssel zu deinem Gefängnis gegeben", fuhr die Blaue flüsternd fort.

Der Purpurne trat aus dem Käfig. Ihm wurde schlecht, wenn er an das dachte, was die Rote vermutlich mit seiner Schwester anstellen würde. Die Ruhige hatte ihn befreit und sich dafür selber in Gefahr gebracht. Was hatte das für Konsequenzen für sie? Was würde ihr wiederfahren und wie konnte der Friedliche das verhindern?

Die Ruhige schien ihm seine Gedanken im Gesicht ablesen können, denn sie fügte hinzu: „Versprich es mir. Mach dir um mich keine Sorgen, verschwinde und bring dich in Sicherheit!"

Ihre Augen verdüsterten sich. Das friedliche Blau wurde eisig, hell und bohrend. Verlangend. Bittend.

Der Friedliche schluckte hart, nickte dann aber. „Danke", sagte er und er spürte förmlich, wie die Spannung von seiner Schwester abfiel. 

Sie nickte, dann verschwammen ihre Konturen und auf Haut legten sich Schuppen. Flügel ersetzten die Arme und das hübsche Elfengesicht zog sich in die Länge zu einem Abbild der Angst, Schrecklichkeit und Bösartigkeit. 

Mit wenigen Flügelschlägen war die Ruhige verschwunden und dem Purpurnen fiel das Atmen schwerer, als er darüber nachdachte, ob das womöglich für immer sein würde.

Breath Of Death - Silbernes LodernWo Geschichten leben. Entdecke jetzt