XII

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Dieses Mal hatte die Blaue den Treffpunkt gewählt. Ihre Heimat, das Meer, war hier allgegenwärtig. Eine Insel, umrahmt von in Wasser stehenden Bäumen, wurde leidenschaftlich von der See geküsst. Die Insel war klein, fünf ausgewachsene Altdrachen fanden kaum darauf Platz. Das Ufer bestand aus lehmiger Erde, auf der einen Seite schmiegte sich Wasser an das Land wie ein Liebender. Doch auf der anderen Seite schlugen die Wellen nur so an die Böschung, ihre Gischt spritzte bis zu dem Silbernen herüber und der stürmische Wind, der das Meer antrieb, verteilte den Geruch von Salz in der Luft.

Wasserpflanzen hatten die Ufer der Insel für sich eingenommen, der starke, von Moos überwucherte Fels dort gab ihnen den Halt, den sie brauchten, um dem Meer zu widerstehen. Tief hatten sich ihre Wurzeln in die Insel gewunden.

Der Silberne sah die Blaue an. Im Licht der aufgehenden Sonne schimmerten ihre Augen wie zwei Saphire, nur um ein Vielfaches schöner. Um die geschlitzte Pupille lag ein Rand aus einem dunklen, beruhigenden Marineblau. Dort ging die Iris in ein helles, fast schon grünliches Türkis über, mit so vielen Blaupartikeln bestückt, dass sich das Auge daran nicht sattsehen konnte. Den Rand der Iris verzierte wieder das Marineblau.

Die Blaue senkte den Kopf ein Stück, wobei der Silberne ihr nun unmittelbar in die Augen starren musste. „Bruder, ich weiß, dass es dir nicht gelegen kommt, aber dieses Treffen war wichtig. Es gibt so Vieles, das es zu besprechen gilt. Das Scheitern deines erfahrensten Assassinen ist nur ein kleiner Teil davon. Ein kleiner Teil einer Revolution, die wahrscheinlich nicht gut ausgeht."

Der Älteste horchte auf. Woher wusste die Blaue so genau Bescheid? Er hatte angedeutet, dass es Probleme gab, aber er hatte weder Draecons Namen gesagt, noch genau erklärt, was geschehen war. Er kniff seine grauen Augen zusammen.

„Nox traf auf Draecon. Die beiden unterhielten sich ein wenig, und treu, wie Nox ist, überbrachte er mir sofort alle Neuigkeiten", erklärte die Drachin. Der Silberne entspannte seine Augenlider wieder. Obwohl Draecon alles und jedem gegenüber misstrauisch eingestellt war, war Nox kein schlechter Elf. Er war zwar, was Frauen und Verführungen anging, ungehalten, aber an sich war er ein hervorragender Assassine. Seine Arbeiten den Drachen gegenüber waren fehlerfrei und ohne Einwand, seinem Zugeständnis zu einer Mission konnte man blind vertrauen.

„Gleich, wenn die anderen kommen, werde ich dich enttäuschen müssen. Ich mag dich wirklich gerne, Bruder, aber hier geht es nicht um dein oder unser aller Wohlempfinden. Es geht um Nyrathur, die Welt, der wir verpflichtet sind sie zu führen. Ich sage es dir nur deshalb schon jetzt, um dir später die böse Überraschung zu nehmen. Die Rote und der Goldene haben...", die Blaue verstummte, ihr Blick fokussierte sich auf etwas, das hinter dem Silbernen war. Der Drache drehte sich um. Auch er hatte das Schlagen von Flügeln gehört, aber in dem Bann von den Augen seiner Schwester hatte er es ausgeblendet. Das Gerücht, dass die Ruhige einen nur mit ihren Augen entwaffnen konnte, schien zu stimmen.

Strahlend hell zeichnete sich die Gestalt des Goldenen vor dem noch roten Himmel ab, seine langen Flügel trugen seinen schmalen, funkelnden Körper ohne auch nur ein Anzeichen von Müdigkeit.

Mit einem dumpfen Vibrieren kam der Drache auf dem Boden auf und legte die Flügel an. Das Gold seiner Schuppen brach das Sonnenlicht und warf es in tausend Tönen von Gelb, Orange, Rot und Gold zurück. Der Blick, mit dem er den Silbernen bedachte, war siegesgewiss und höhnisch.

Der Älteste erkannte die stumme Aufforderung in dem Blick des Jünglings. Unbarmherzig hielt der Silberne dem wortlosen Duell bestehend aus Blicken Stand und konnte sich ein kleines Grinsen nicht nehmen lassen, als durch die sonst so gleichgültige Maske des Goldenen ein Hauch seiner brodelnden Persönlichkeit zum Vorschein kam. Der Jüngling kämpfte darum, sie vor seinem Bruder zu verbergen, aber ganz schaffte er es nicht.

Sie schwiegen sich an, verloren keine Worte zur Begrüßung und die Sonne kletterte immer weiter den Himmel herauf. Bald schon war das Rot verschwunden, wich einem leichten Gelb, dann dem nur allzu bekannten Blau. Die Minuten verstrichen, bis der Friedliche erschien, man erkannte ihn sofort an seinen purpurnen Schuppen, die das Sonnenlicht matt zurückwarfen. Sein Körper hob und senkte sich beim Fliegen, anders als bei dem Goldenen, und doch waren seine Bewegungen voller Anmut.

Nachdem der Friedliche festen Boden unter den Füßen hatte, hörte er auf mit den Flügeln zu schlagen. Sein Kopf glitt in den Nacken und die restlichen Drachen folgten seinem Blick. Die Rote hatte die Insel fast erreicht, ihre flammenden Augen, die wie blutrote Rubine glitzerten, stierten unablässig auf ihre Geschwister. Sie kam zum Halten und raste in einer Geschwindigkeit hinab, die ein gewöhnliches Auge wie das eines Bewohners von Nyrathur nicht erfassen konnte.

Drohend senkte sie den Kopf. Flammen schienen aus ihren Augen zu züngeln und verbrannten jeden, der ihren Blickkontakt erwiderte. Der Silberne seufzte. Noch war er der Älteste, noch war er der Mächtigste. Noch eröffnete er das Treffen, auch wenn es zum letzten Mal sein sollte. Er unterdrückte ein leises Knurren, dann sagte er wie gewohnt: „Willkommen, Brüder und Schwestern. Lasst uns beginnen."

———

Draecon riss sich von der Zwischenwelt los und kam keuchend wieder zum Hier und Jetzt. Nox saß ihm wieder gegenüber, seine Miene ließ nicht darauf schließen, wie viel Zeit vergangen war, seit Draecon in die Zwischenwelt gegangen war. 

„Was ist passiert?", fragte Nox, überrascht und zugleich erschrocken von Draecons Gesichtsausdruck. Der Assassine stieß die angestaute Luft aus. Wäre er nicht so aufgebracht gewesen, hätte er Nox nie die Wahrheit erzählt. Aber in diesem Zustand konnte er nicht lügen, noch weniger diskutieren.

„Sie rufen ein Treffen ein, wie lange war ich weg?", Draecons Stimme bebte vor unterdrückten Gefühlen. Nox legte kurz den Kopf schief, schien zu überlegen, dann antwortete er: „Etwa eine Stunde."

Wieder ein Schlag. Draecon spürte, wie er noch blasser wurde, als er eigentlich schon war. Seine Hände krallten sich an den Tisch, ihm wurde übel. Womöglich diskutierten die Drachen schon über das Geschehen. Er war zu lange dort, in der Zwischenwelt gewesen, nachdem der Silberne verschwunden war. Draecon hatte sich der Dunkelheit übergeben und sich ihr überlassen wie einer Welle, die ihn tragen sollte. Er hatte viel zu viel Zeit verschwendet!

Wenn die Drachen jetzt gegen den Silbernen vorgingen, jetzt, da einer seiner Assassinen den Funken ausgelöst hatte, den sie brauchten, hatte Draecon keine Zeit mehr zu verlieren. Er musste seinem Gebieter dienen, er musste ihn beschützen. Ein einziges Mal kam es nun darauf an, all die vergangenen Missionen schienen dem Assassinen unwichtig. Jetzt, da er wusste, wie es um den Ältesten stand, war seine Existenz noch nie notwendiger gewesen.

Draecon griff nach der Türklinke und fuhr sich mit der anderen Hand über die schweißnasse, eiskalte Stirn.

„Wohin willst du?", fragte Nox, er sprang behände auf. Draecon schüttelte den Kopf, sein Blick war ins Leere gerichtet, er sah den Silbernen, den Ältesten, seinen tollwütigen Geschwistern ausgeliefert. „Ich gehe zum Silbernen. Er braucht mich", brachte der Elf hervor.

Nox legte den Kopf schief, als würde er nicht ganz verstehen. „Ich komme mit", beschloss er, die Andeutung eines Lächelns flog über sein Gesicht. Draecon nickte nur mit dem Kopf. Gemeinsam durchquerten sie die Straßen, der Weg lag Draecon klar vor Augen. Er wunderte sich, dass er nicht gegen Nox' Vorschlag, ihn zu begleiten, protestiert hatte. Aber die Angst um seinen Gebieter war in diesem Moment größer als jedes andere Gefühl. Jede angebotene Hilfe könnte dem Silbernen helfen und das war jetzt wichtiger als alles andere.

Breath Of Death - Silbernes LodernWhere stories live. Discover now