XLVII

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Der Rückweg kam Draecon kürzer vor als die Strecke, die er von den Teufelsfelsen bis zur Draithplantage zurückgelegt hatte. Es könnte daran liegen, dass er nicht länger das Gefühl hatte, stets beobachtet zu weden. Aber das war nur eine Vermutung.

Trotz der Tatsache, dass die Kobolde ihn geachtet hatten und ihn demnach in Ruhe ließen, spürte der Assassine wie Xoforis ganz eigener Zauber an ihm nagte. Er griff nach der Lebenskraft des Elfen und riss an seiner Koboldgestalt, wollte sie ihm gewaltsam abnehmen. Noch hielt Freyas Zauber an, aber Draecon hoffte, dass diese Zeiten schon bald vorbei sein würden.

Er hatte jedes Gefühl für Zeit verloren. Der graue Himmel, der in Xofori allgegenwärtig war, ließ nicht darauf schließen, ob es Tag oder Nacht war. Keine Sonne oder Sterne erhellten das wolkenverhangene Himmelszelt und der Mond war ebenfalls Fehlanzeige. Es konnten erst wenige Stunden aber auch schon Dutzende von Tagen vergangen sein.

Draecon fluchte bei dieser Vorstellung, zwang sich aber, nicht seinen Schritt zu beschleunigen. Wenn es zu spät war, dann könnte er jetzt eh nichts mehr dagegen unternehmen.

Weiter entfernt im Nebel erkannte er die Klippe. Zufrieden steckte der Assassine Freyas Karte weg. Ohne sie hätte sich wahrscheinlich selbst er hoffnungslos verirrt.

Draecon ging auf das Tau zu, das er grob im Nebel ausmachte. Noch immer war es befestigt und schien noch ganz gut im Stand zu sein. Auf ein Rucken von Draecon bewegte es sich ebenfalls nicht. Hatte Dreniul das Seil hier einfach hängen lassen oder waren sie tatsächlich noch nicht aufgebrochen?

Auf seinem Rückweg hatte der Elf einige gefällte Bäume vorgefunden, Zeit um Rohstoffe zu besorgen hatten die Besatzungsmitglieder der Sturmflut also genug gehabt. Draecon verharrte kurz. Er hörte kein Hammerschlagen, kein Sägen, das darauf schließen würde, dass sie noch immer hier waren.

Der Elf griff nach dem Seil und stieg rasch und kontrolliert die Felswand herab. Das Wellenrauschen wurde lauter und verdrängte die Furcht vor diesem Kontinent. Das vertraute Geräusch erinnerte Draecon an den großen Westkontinet Nyrathurs, das vertraute Land, das durch ihn so unsicher wurde.

Seine kleinen Füße fanden nur schwer Halt auf den großen, feuchten Steinen. Spitze Bruchstücke schnitten ihm in die Sohlen und ließen ihn bluten. Durch die Nässe war es selbst für Draecon schwer das Gleichgewicht zu behalten und die ständig niederschlagenden Wellen machten es auch nicht gerade einfacher.

Als der Assassine dann aber in der Ferne den Umriss eines Schiffs erkannte, hielt er kurz erleichtert inne. Die vertrauten Segel der Sturmflut blähten sich im Wind auf, man hatte das Schiff weiter von den Felsen geschoben und zurück ins Meer gebracht, wo das Wasser spielerisch an dem Bug leckte. Ein Beiboot schaukelte wenige Meter von ihm entfernt, ein Besatzungsmitglied winkte ihm zu.

Draecon ging weiter auf ihn zu und schenkte dem Seemann ein Nicken, ehe er ins Boot stieg.

„Wir haben alles repariert", sagte der junge Elf mit einem breiten Lächeln im Gesicht. Draecon brummte. Gute Nachrichten - wie lange hatte er so etwas nicht mehr erlebt?

Sie erreichten die Sturmflut und als die beiden das Deck betraten, wurden sie von einer Mannschaft erwartet, die wieder Spaß an ihrer Berufung hatten.

Noch immer spürte Draecon das unangenehme Ziehen der Magie Xoforis, während er zu Dreniul trat. Ein schwaches Lächeln zupfte an den Mundwinkeln des Kapitäns, bevor er sagte: „Wo geht unsere Reise hin?"

Draecon brachte nichts mehr über die Lippen, als er unerwartet und doch so vorhersehbar das unangenehme Reißen in sich spürte, was er zuletzt noch vor mehreren Wochen gespürt hatte.

Seine Knochen brachen. Die Muskeln in seinen Armen und Beinen spannten sich gewaltig und rissen an einigen Stellen schmerzhaft. Plötzlich schien der kleine Koboldkörper nicht mehr genug zu sein für das, was in Draecon war. Seine Haut brannte, es fühlte sich an, als würde sie durch das plötzliche Volumen an sämtlichen Stellen aufklaffen. Doch Draecon wusste, dass es kein Blut war, dass da in Strömen an ihm herablief. Es war das Meerwasser, das ihn vorhin im Beiboot durchnässt hatte.

Der Assassine fiel in die Knie. Sein unterdrücktes Stöhnen war das einzige Geräusch, das bis an seine Ohren drang. Alles schmerzte. Alles tat weh.

Aber wenn das hier der Preis war, den er zu zahlen hatte, um eine Mission für den Silbernen zu erfüllen, dann würde er diesen Schmerz überstehen. Sein Hochmut erwachte wieder. Er würde es sich nie verzeihen, wenn er vor diesen Elfen winseln würde wie ein Hund.

Er war ein Assassine.

Er war Draecon.

Und er war nicht schwach.

Der Elf erhob sich langsam, unterdrückte dabei sein Taumeln. Ruckartig öffnete er die Augen, alles drehte sich in rasender Geschwindigkeit um ihn. Als er dann aber so weit war, sich nicht länger an der Reling abzustützen, war es vorbei.

Draecon atmete mehrmals tief durch, ehe er sich umdrehte und anhand den Gesichtern der Seemänner erkannte wie eindrucksvoll seine wirkliche Gestalt war.

Von seiner Verwandlung war nichts weiter übrig geblieben als die nun kurze, zerissene Hose, die er als Kobold getragen hatte.

Nichts bedeckte seine von Muskeln definierte Brust und die breiten Oberarme. Alle sahen nun die Narben, die seinen Körper bedeckten. Das schwarze Haar fiel dem Elfen glatt über die Schultern und die Messer, die in seiner alten Gestalt so riesig ausgesehen hatten, wirkten nun nicht mehr lächerlich in seinen schlanken Händen.

Als Draecon die Blicke der Elfen bemerkte und ihnen kalt in die Augen starrte, senkten sie beschämt den Kopf. Nur einer war fähig, sich zu regen.

„Draecon", sagte Dreniul mit einem Lächeln im Gesicht. Der Assassine blickte den Kapitän starr an.

„Wir segeln nach Süden, über die Westliche See. Dort ist zwischen Neehri und dem Rabenmeer ein Ort namens Daidia. Ich wäre dir dankbar, wenn du mich dort an der Küste absetzen würdest, Dreniul", erwiderte der Assassine.

Dreniul neigte den Kopf. Das war Draecon Antwort genug und er wandte sich ab, um der Besatzung dabei zuzusehen wie sie stillschweigend in ihrer Arbeit versanken und die Sturmflut bereit für eine zweite, vielleicht tödliche Reise machten. 

Breath Of Death - Silbernes LodernWo Geschichten leben. Entdecke jetzt