LXII

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Noch während der Silberne zustieß, sah er den Schrecken in den Augen der Flammenden aufblitzen. In ihrem Zorn hatte sie sich nicht darauf konzentriert, dass der Älteste seinen Mund auch zu etwas anderem als Sprechen nutzen konnte.

Angst flackerte in den brennenden Iriden auf, aber sie beide wussten, dass die Rote ihm nicht mehr ausweichen konnte.

In einem letzten Versuch riss sie den Kopf noch weiter nach hinten. Es würde nichts bringen.

Die Zähne des Silbernen berührten bereits das blutrote Schuppenkleid der Drachin, als die Grüne ihm mit schriller Stimme eine Warnung zurief.

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Draecons Augen weiteten sich vor Schreck. Sein Herz setzte aus. Der Atem stockte.

Der Silberne hatte seine Reißzähne fast in den Hals der Drachenkaiserin gegraben, als der Goldene ihn zur Seite stieß.

Wie in Zeitlupe wurde der Älteste zur Seite gerissen, weg von der Flammenden. Der Schrei der Grünen fuhr dem Assassinen durch Mark und Bein und Nox' Griff an seinem Arm verlor an Kraft.

Doch selbst wenn Draecon die mögliche Kraft dafür aufgebracht hätte: seine Beine bewegten sich nicht vom Fleck.

Viel zu genau sah er, wie der Goldene mit dem Kopf nach vorne fuhr. Wie seine Augen funkelten. Wie er endlich das bekam, was er so lange haben wollte: Macht.

Sein Maul senkte sich zu dem tödlichen Biss hinab.

Die Flammende riss erschrocken die Augen auf. Ihre Miene hellte sich auf, wandelte sich von Angst zu Überraschung und schließlich hässlicher Genugtuung.

Die Zähne des Goldenen berührten das silberne Schuppenkleid. Noch ehe er seine Kiefer vollständig in seinem Bruder versenkte, floss Blut.

Der Älteste wehrte sich noch einmal ein letztes Mal, schlug mit den Krallen nach dem Goldenen, aber der wich nur leichtfüßig aus.

Die Grüne und die Blaue waren erstarrt. Nox' Gesichtszüge entgleist. Die Flammende blickte demütigend auf ihren Bruder herab.

Und Draecon schrie. Tränen sammelten sich in seinen Augen.

Nur unscharf erkannte er, wie dem Ältesten langsam die Kraft ausging. Wie er sich immer schwächer wehrte. Wie der Goldene mit jedem Schluck Blut die Kraft des Silbernen in sich aufnahm. Wie dessen schwarzes Blut auf den goldenen Schuppen im Sonnenlicht glitzerte.

Der Assassine fiel auf die Knie. Er sackte in sich zusammen, würgte.

Er hätte schwören können, dass ihm das Herz brach. Fast schon hörte er das Klirren der Splitter.

Seine ganze Kraft verließ ihn mit einem Mal. Höhlte ihn aus und ließ nichts zurück außer der Trauer und der Wut.

Immer und immer wieder schlug der Silberne verzweifelt mit dem Schwanzende auf dem Boden auf.

Draecon konnte nicht sagen, was schlimmer war: der Moment, in dem er seinen Gebieter noch so verzweifelt und schutzlos sah, oder der Augenblick, in dem er sich nicht mehr rührte und der Goldene das Haupt hob.

Von Blut besudelt und mit Gier in den Augen.

Den Blick der Flammenden: berechnend, erleichtert.

Die fassungslosen Mienen der Grünen und der Blauen.

Draecons Schrei brachte die Luft zum Beben und seine Hände krallten sich in den Boden. Seine Schultern bebten und er ergab sich.

Zwei Hände berührten ihn an seinem Rücken, aber sie fühlten sich durch den Mantel eiskalt an.

Schauder überliefen Draecons Körper. Seine Finger suchten irgendetwas, an dem er sich festhalten konnte.

Aber da war nichts.

Der Boden unter ihm schwankte und die Welt geriet ins Wanken.

Seine verzweifelten Schreie verstummten erst, als seine Stimme heiser war.

Er hob den Kopf. Sah alles nur durch einen grauen Schleier.

Und bemerkte doch den Blick des Goldenen, der nun auf ihm lag.

Selbst sein Kampfgeist war gebrochen. Wofür lohnte es sich jetzt noch zu stehen?

Draecon wollte nicht mehr aufstehen, nicht mehr atmen, nicht mehr leben.

Welchen Sinn hatte sein Leben noch ohne den Silbernen?

Er war derjenige gewesen, der ihn aus dem Dasein eines Taschendiebs und Bastards befreit hatte. Er war der gewesen, der für ihn da war. War der gewesen, der ihm gelehrt hatte, dass es auch Freude geben konnte.

Und all das hatte Draecon nun verloren. Für immer.

Eine schiere Ewigkeit hockte er so zusammengesunken auf dem Boden und keine Sekunde wichen die Hände auf seinem Rücken.

Als der Assassine den Kopf hob, waren seine Lippen verkrustet und das Gesicht angeschwollen.

Die Grüne war verschwunden, ebenso der Goldene und die Flammende. Nur die Blaue war noch da.

Ihre einnehmende Präsenz erinnerte Draecon schmerzlich an den Silbernen.

Seine Kraft, die körperliche wie die geistige, war mit ihm verklungen. Genauso wie sein Innerstes mit seinem Gebieter gestorben war.

„Draecon", die Stimme der Blauen hatte etwas Beruhigendes und in ihr schwang so viel Mitleid mit, dass es ihm das Herz gebrochen hätte, wenn es nicht schon kaputt wäre.

Auch sie hatte mit dem Verlust ihres Bruders zu kämpfen. So viel Traurigkeit spiegelte sich in ihren Augen, die ein Sterblicher nie hätte tragen können. Draecon konnte seine eigene ja schon nicht tragen.

„Die Grüne musste fliehen, aber ich soll dir von ihr sagen, dass sie nahe dem Reynari-Fällen auf dich wartet. Sie will dir noch etwas im Namen des Silbernen sagen."

Am liebsten hätte Draecon die Blaue angeherrscht, den Namen seines Gebieters nie wieder zu erwähnen. Zu groß war die Trauer, die bei seinem Klang mitschwang.

Sein Blick richtete sich auf den leblosen Körper der silbernen Himmelsschlange, der im Sonnenlicht wie ein Edelstein funkelte.

Sie hatten ihn einfach so liegen lassen wie einfaches Aas.

Endlich fühlte Draecon wieder etwas: Wut.

Seine Augen schweiften langsam weiter zu Neehri. Zu den Rauchschwaden, die langsam schwanden.

Draecon wusste, dass er Zeit brauchen würde. Dass er noch lange nicht bereit war, aber irgendwann würde er sich bei dem Goldenen und der Flammenden rächen. Wenn er so lange mit der Trauer leben konnte, auch wenn es jetzt gar nicht danach aussah, würde er sie töten.

Langsam und qualvoll.

Er würde ganz Nyrathur gegen die Himmelsschlangen aufhetzen.

Die Augen der Blauen waren auf Nox gerichtet.

„Du bist frei von all meinen Befehlen", sagte sie an ihn gerichtet. Sofort versteifte er sich und schluckte.

„Es tut mir leid", brachte er hervor, aber die Blaue unterbrach ihn.

„Dir muss nichts leidtun. Du hast mir gut gedient, jetzt kümmere dich um Draecon. Er braucht dich mehr als ich dich brauche. Führe ihn wieder zurück zum Licht."

Mit einem zweifelndem Blick nickte Nox schließlich.

Draecon senkte den Kopf. Ob mit oder ohne Nox an seiner Seite, mit oder ohne Streitmacht im Rücken.

Jetzt, in diesem Augenblick, war er allein.


Breath Of Death - Silbernes LodernWhere stories live. Discover now