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Die Flammende grinste. Endlich war es so weit: Nyrathur würde für das bezahlen, was sie über die Drachen dachten. Die rote Drachin ließ den Blick über ihre versammelten Geschwister gleiten. Der Goldene, dicht an ihrer Seite, die Blaue, deren Blick undurchschaubar war, und der Purpurne, dem sein Unbehagen deutlich anzusehen war.

Zusätzlich hatten sich noch Srúna und Morph, der Häuptling der Horndrachen von Xofori, zu ihnen gesellt. In kürzester Zeit hatte die Drachenkaiserin alle möglichen Truppen zusammengerufen, die sie nur finden konnte. Ihr folgten ihre Geschwister mit deren Assassinen, ihr folgten die Horn- und Sonnendrachen und ihr folgten dutzende Erdkriecher, die keinem richtigen Volk angehörten oder aber verstoßen worden waren. So nannten sich auch einige Eisdrachen Soldaten ihrer Armee.

Die Flammende ging ein paar Schritte auf und ab. In ihr brannte ein Feuer, das Handlung verlangte. Handlung in Sinne eines Krieges, sie wollte Blut sehen, Leiden verbreiten und die Angst vor den Himmelsschlangen auffrischen. Jedes Geschöpf Nyrathurs, das nicht älter als 700 Jahre war, glaubte daran, dass die mächtigen Himmelsgeschöpfe nur ein Märchen der Eingesessenen waren. Vor etwa einem Jahrtausend waren die Ältesten unter das Volk von Nyrathur gegangen, hatten sich ihnen gezeigt und klargestellt, wo die Grenzen lagen.

Sie hatten Tempel errichtet, jedes Geschöpf, das einen solchen betrat, zeigte seine Anerkennung den Drachen gegenüber. Ein Fest entstand, eine Feier, die jedes fünfte Jahr, wenn der Mond genauso stand wie beim Errichten der Tempel, ganz Nyrathur zusammenrief.

In dieser Nacht zeigten sie alle Ehrerbietung, bis die vorerst heimlichen Widerstände lauter wurden.

Elfen, Kentauren, Trolle, Zwerge; sie alle lehnten sich gegen die Herrschaft der Himmelsschlangen auf. Ihre Tempel wurden zerstört und von den einst prunkvollen Bauten blieb nichts anderes übrig außer einem Häufchen Steine. Der Silberne hatte damals nicht reagiert. Er erklärte das Handeln von Nyrathur damit, dass sich einfach nicht alle fügen wollten. Das sei noch lange kein Grund, sie alle zu töten.

So hatten die Drachen keine Erlaubnis, jene zu bestrafen, die es eigentlich verdient hatten.

Sie mussten sich im Hintergrund halten, durften sich nicht zeigen. Stets sprach der Silberne davon, dass man das Leben der Bewohner von Nyrathur nicht zerstören dürfe. Zwar lehnten sie sich gegen die Himmelsschlangen auf, aber das sei noch lange kein Grund, sie alle hinrichten zu lassen. Erst, wenn sie begannen, die Ältesten anzugreifen, solle gehandelt werden.

Über solche Gedanken konnte die Flammende nur den Kopf schütteln. Es war gut, dass der Silberne endlich abgedankt hatte. Sein Herz Nyrathur gegenüber war zu weich und er blendete alle Gefahren aus.

"Ihr wisst alle, warum ihr hier seid", begann die Rote. Sie spürte, wie sich das Feuer in ihrem Körper ausbreitete, sie von innen heraus versengte. Es wollte endlich freigelassen werden, Sieldungen und Städte vernichten und Nyrathur sollte auf Knien vor ihr sitzen, verrußt und bettelnd, dass sie sie doch am Leben lassen möge.

"Die Elfen sind die mächtigsten Bewohner Nyrathurs. Zwar bringen sie nicht so viele Widersacher hervor wie beispielweise die Kentauren, aber wenn es welche gibt, dann sind sie die Mächtigsten. Demnach sollten wir uns erst auf sie konzentrieren. Ihre Hauptstadt, Lycadur, soll brennen. Jeder Elf im Umkreis von Dutzenden von Meilen soll Kunde erhalten. Sie alle sollen leiden für das, was sie und am liebsten antun würden", setzte sie knurrend fort.

Ihr flammender Blick glitt über die Versammelten. Entsetzen spiegelte sich in der Miene des Purpurnen und einiger Erdkriecher wider, stoische Ruhe in der der Blauen, Gleichmut in der Mimik des Goldenen.

"Schickt eure Truppen Richtung Wald. Ich werde mit meinen Assassinen dort sein und die ersten Lager errichtet haben. Sobald alle eingetroffen sind und sich wieder erholt haben, beginnt der Angriff."

Niemand sagte etwas. Nur der Goldene räusperte sich kurz, überlegte es sich dann aber doch anders und verstummte wieder.

"Bruder", die Flammende wandte sich dem Jüngling zu. "Du bleibst noch ein wenig. Ich habe Wichtiges mit dir zu besprechen."

———

Nox starrte nachdenklich in die Ferne. Allzu oft fragte er sich, was die Blaue gerade tat. Bereitete sie sich bereits auf das Massaker vor oder versuchte sie, ihre Schwester im letzten Moment noch von ihrem ehrenlosen Plan abzubringen? Er hoffte inständig, dass die Ruhige der Flammenden einfach gehorchen würde. Er fürchtete um seine Herrin, wollte nicht, dass sie irgendwie zu Schaden kam, während er nicht da sein konnte.

Die Mission der Blauen war aber deutlich gewesen: er sollte Draecon suchen. Zum ersten Mal schien es ihm gut, dass der Assassaine des Silbernen entdeckt worden war. Gerüchte über ihn verbreiteten sich wie Lauffeuer und wo sollte Nox anfangen zu suchen, wenn nicht bei den Kentauren?

Der schwarzhaarige Elf zog sich sein schneeweißes Hemd wieder über den Kopf. Dabei glitt sein Blick auf das Bild, das die Blaue ihm vor über hundert Jahren in die Haut eingestochen hatte. Er erinnerte sich gerne an jene Nacht zurück. Sie war voller wohligem Schmerz gewesen und damals war er der Himmelsschlange so nah gewesen wie noch nie.

Nun zierte Nox' Rücken ein riesiger Drache, seine Flügel spannten sich über seine Schulterblätter bis hin zu den Oberarmen, der Schwanz endete kurz über seinem linken Knie. Dieses Bild würde die Blaue und ihn für immer verbinden und bei diesem Gedanken breitete sich ein warmes Gefühl in ihm aus.

Der Assassine konzentrierte sich wieder auf seine Aufgabe. Innerlich freute er sich doch ein wenig über sie, er konnte es nicht abtun, Draecon nicht zu bewundern. Der Elf hatte sich in Dutzenden von Jahren einen Ruf gemacht, um den ihn jeder andere Assassine beneiden würde. Man fürchtete ihn und es hieß, dass einige sogar freiwillig den Tod antraten, anstatt von Draecon gemeuchelt zu werden.

Einst wurde ein Messer von ihm gefunden und man hatte es ausgestellt, um zu zeigen, dass Draecon nicht unbesiegbar war. In der Nacht darauf wurden alle Schaulustigen getötet und noch heute ist nicht sicher, ob es wirklich Draecon war oder aber Diebe, die sich einzig und allein seinem Messer bemächtigen wollten. Am nächsten Morgen war die Waffe verschwunden gewesen.

Niemand wusste so recht wie alt der Assassine war. Er lebte sicherlich schon seit Jahrhunderten, er soll sogar noch die letzte Zeit miterlebt haben, in der die Grüne Drachenkaiserin war.

Nox war vor etwa vier Jahrhunderten in den Dienst der Blauen übergetreten und seitdem hatte er sich stets ein Vorbild an Draecon genommen. Er würde gerne so sein wie er, aber Nox merkte, dass er das nicht immer schaffte. Damals, als er Draecon vor dem Gift gerettet hatte, da hatte er versucht, möglichst kühl zu wirken. Er hatte es geschafft, aber er spürte, dass er eigentlich jemand anderes war. Er war fröhlicher, redseliger, aber durfte man das als Assassine sein?

Noch heute hatte er keine Antwort darauf gefunden und womöglich würde er das auch nie tun.

Breath Of Death - Silbernes LodernWhere stories live. Discover now